Was wir glauben sollen
Thomas Urban erklärt in Nebensätzen wieder einmal das Problem der Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Wir wissen es ja. Die EU ist dagegen, die Bundesregierung ist dagegen, die Regierung in Madrid ist dagegen. Jetzt brauchen wir nur noch die Gründe dafür, weil Herrschaft des Volkes und Freiheit mit Beherrschung eines Teilvolkes durch Gefängnis und Polizei nicht für alle so harmonisch klingt wie für die Presse.
Die Löslösung ist Illegitim
Unabhängigkeit ist in der spanischen Verfassung von 1978 nicht vorgesehen. (Art. 2. Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation) Vorgänger dieses Artikels waren die faschistischen Verfassungsgesetze von 1938 die weit deutlicher definierten, was Einheit bedeutete; die Unterdrückung von Regionen und Menschen, wenn „der Staat – der national ist“ „insoweit (er) ein totalitäres Werkzeug im Dienste der Integrität des Vaterlandes ist“. Vier der 7 Väter der Verfassung von 1978 waren Faschisten. Der König wurde von dem Diktator Franco eingesetzt. Die Einheit Spaniens war nach der Niederschlagung der Republik mit Hilfe der deutschen (Legion Condor) und italienischen (Blaue Division) ein mit Gewalt erreichter Akt.
Die Spanische Verfassung sichert Autonomie zu. Anders als in England (Schottland) ist die aber nicht vom Volke, sondern von Madrid abhängig.
“Nur eine Minderheit von 47,2% ist für die Unabhängigkeit”
In Deutschland kann die Hälfte der Abgeordneten nur ins Parlament, wenn sie eine Partei finden, die aufstellt. Weniger als 5% bedeutet 0% der Stimmen. Im Mutterland der Demokratie regieren die Tories in London mit nur 42,2% der abgegebenen Stimmen. Dafür erhielten sie aber 318, das sind 49% aller Parlamentssitze. Donald Trump wurde von knapp 30% der Wahlberechtigten gewählt. In Katalonien mit seiner Wahlbeteiligung von 82% (UK 69%; USA 59%; Deutschland 76%) waren es 39% aller Wahlberechtigten. Es gibt kein Land der Erde, wo die Mehrheit der Bevölkerung nach Köpfen regiert. Das Grundgesetz formuliert aus gutem Grund nicht, dass „Alle Macht des Staates beim Volke liegt, sondern sie „geht vom Volke aus“.
“Es sind Sezessionisten und keine Freiheitskämpfer”
Sezessionisten (Loslöser) , dass ist die negative Variante des regionalen Strebens nach Freiheit gegenüber einer als fremd empfunden Zentralmacht, Diese Variante dominiert das Katalonienbild, wonach die Partei, die den Parlamentsprädidenten stellt, „seit Generationen die Loslösung ihrer Heimatregion von Spanien anstrebt und deshalb während der Franco-Diktatur verfolgt wurde“. Katalonien folgt hier Schottland in der Presse. Freier Markt (EU) und starkes Militär (Nato) verlangen von uns eine Sicht, die mit dem „Volk“, dass dort „herrschen“ soll, nicht viel anfangen kann.
Es ginge ja auch ganz anders. Die Löslösung der baltischen Staate oder der Ukraine von Russland war ja eine Befreiung und keine Sezession. Dafür waren die amerikanischen Südstaatler, die ihr Sklaventum behalten wollten, Sezessionisten.
Es gibt daher auch noch andere Gründe, warum man in totalitären Staaten nach Unabhängigkeit strebt, z.B. wenn die eigene Sprache verboten, die regionalen Politiker ermordet, Kultur geschändet wird und das Militär herrscht. Das liegt bei Katalonien nicht ganz fern. Noch in den neunzehnhundertsiebziger Jahren erdrosselte das Regime in Madrid seine zum Tode verurteilten Gegner. „Sie taten den Blumen Handschellen an“ dichtete Arabal. Die katalanische Sprache war verboten, ebenso die baskische. Es ging ihnen ähnlich wie den Iren, die sich 1918 mit Gewalt von England loslösten.
Die kulturelle Spaltung
Spanien ist das am längsten faschistisch verwaltete Land Europas. Es wurde gehätschelt, weil es als Modell für den Hinterhof der USA in Südamerika gebraucht wurde. Das hat zu einer historischen Spaltung der Gesellschaft geführt. Die Nachfahren Francos regieren in Madrid, die Vertreter der Republik im historischen Norden Spaniens, wo seine Wiege stand. Die Sozialdemokraten haben sich als Wirtschaftspartei ohne kulturelles Bekenntnis den armen Süden geholt. Alles ist gespalten. Monarchisten und Republikaner, Katholiken und Atheisten, Stierkampffanatiker und Stierkampfächter, Kriegswillige und Pazifisten, Talare und Kostüme, Machismo und Emanzipation..
Die kulturelle Spaltung wurde durch Gewalt regionalisiert: Republik im Norden, Diktatur im Süden. Nur eine föderalistische Struktur mit kultureller Autonomie könnte hier helfen. Das aber wäre eine spanische Verfassungskrise, bei der auch das Operettenkönigtum auf den Prüfstand gehörte. Die Krise ist Madrid und nicht Barcelona. Vae victoribus, wehe wenn die Falschen siegen.
Die wirtschaftliche Spaltung
Es ist kein Zufall, dass Katalonien und Baskenland auch starke Wirtschaftszentren sind. Die extreme Korruption von Sozialisten und Popularen vor der Finanzkrise hat gezeigt, dass die Allspanischen Wirtschaftsparteien sich weiterhin bereichern und die Sozialisten entwurzelten. Damit gibt es auch ganz andere Abspaltungstendenzen. Nicht umsonst hatte sich vor einigen Jahren Katalonien mit der italienischen Lombardei (Lega Nord) und Baden-Württemberg zu einer Allianz der reichen Regionen in der EU zusammengeschlossen. Man möchte die Früchte der EU für den Binnenexport haben aber die Verantwortung für die anderen abgeben. Diese Rosinenpickerei gehört auch zu Katalonien und kennzeichnet die eigenartige Koalition aus reich und arm, wie wir sie auch in der Südtiroler Volkspartei vorfinden und Teile der Schotten kennzeichnet. Padania, wie die Italiener den Norden abspalten wollten, funktioniert aber nicht. Sie haben es aufgegeben und die Lega hat sich auf ganz Italien ausgebreitet.
Europa wäre eine Lösung
Die EU muss klären, ob es Katalonien als Wirtschaftsflüchtling oder Asylberechtigten behandeln will. In Brüssel gibt es das Europa der Regionen, das als Beratungsgremium schon fast abgeschafft worden wäre. Es passt nicht in die nivellierende Großraumpolitik der EU-Wirtschaft. Doch anders als der Schmelztiegel der USA wird Europa die Herausforderungen aus Fernost und anderer ehemaliger Entwicklungsstaaten nur meistern, wenn es wie in der gescheiterten Verfassung geschrieben eine „Einheit in Vielfalt“ erreicht. Die spanische Verfassung ist das Gegenteil. Sie ist weit undemokratischer als das was in Polen und Ungarn passiert. Wenn wir nicht das Regionale als Kulturgut begreifen, ausfüllen und stützen, um es in Brüssel zur Geltung zu bringen, dann werden wir denjenigen Begriff den Kampfbegriff des Nationalismus überlassen, die in der Diversität nur Fremdheit, im Andersartigen eine Bedrohung und in der eigenen Unfähigkeit ein Kulturgut zu erkennen glauben.
Mit einer Kommissionsspitze, die Madrid nur nachbetet, weil sie außer zu Wirtschaft und Markt wenig zu sagen hat, wird das schwer werden. Wirtschaft ist Zusammenarbeit, ohne Kultur kommt Zusammenarbeit über die Arbeitsteilung nicht hinaus. Wer Spanien liebt, der kann nur hoffen, dass wir mehr Unabhängigkeitsbestrebungen erhalten, die wirtschaftlich solidarisch und kulturell respektvoll mit den anderen Regionen umgehen.