Fast alle Städte beteiligen sich an der Aktion “Nur bei Grün – den Kindern zuliebe”! Zur Begründung heißt es: „Hierbei werden die Fußgängerampeln mit dem Aufkleber … ausgestattet, um die Fußgänger zum Nachdenken über ihr Fehlverhalten und zu einer Verhaltensänderung zu bewegen.“ Ist der Schutz des Lebens nachgeordnet? Ist erwiesen, dass es den Kindern nützt oder nützt es nur der Ordnung?
Gesetzestreue und Unfallprävention
Bin ich der einzige, der in der roten Ampel keinen Herrscher, sondern einen Freund und Helfer sieht, der uns sicher über die Straße geleiten soll? Seit 40 Jahren muss ich mich (zugegeben selten) als „Rotgänger“ beschimpfen lassen. Passanten sind entsetzt über meine Verantwortungslosigkeit. Mein Einwand: „Bisher hat noch keine rote Ampel ein Kind überfahren. Achtet auf die Autos“ zählt nicht.
Dabei ist die Frage, ob wir Gesetze an sich einhalten oder dafür nutzen wollen, um Kinder zu schützen, doch berechtigt.
Unfallursachen
Laut Bundesstatistik wurden im Jahr 2016 15.700 Kinder unter 15 Jahren als Radfahrer oder Fußgänger im Straßenverkehr meist von Autofahrern verletzt. Fehler beim Überschreiten der Fahrbahn machten 87,4% aus. Das Überschreiten der Fahrbahn ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten, war mit 55,5% häufigster Grund gefolgt vom plötzlichen Hervortreten hinter Sichthindernissen wie parkenden Autos. (26,7 %).
Was hilft?
Weil die Kinder dabei meist alleine sind, gibt es nur zwei unmittelbar einsichtige Lehrsätze zur Vorbeugung: Erstens, achtet auf die Autos. Zweitens, sorgt dafür, dass die Autos auf euch achten (können). Rote Ampeln sind dazu wichtige Mittel aber nicht der eigentliche Zweck.
Sie können sogar ablenken. Mein einziger Fußgängerunfall im Leben passierte, als ich kurz vor der Reeperbahn mein Fahrrad bei grüner Fußgängerampel über die Ost-West-Straße schob. Die Abendsonne stand tief. Der Autofahrer, der mich durch die Luft wirbelte, entschuldigte so seine Rotfahrt. Ich wusste, ich hätte nicht der Ampel, sondern meinen Augen trauen sollen.
Es gibt keine Statistik, wie viele Kinder von vornehmlich rechts abbiegenden Autos auf dem Fahrrad oder zu Fuß erfasst werden, nachdem sie vorschriftsmäßig bei Grün losgegangen sind. Dass die Statistik ihnen überwiegend ein Fehlverhalten attestiert widerspricht dem. Doch ich traue der Statistik nicht. Welcher Fahrer wird nicht behaupten, die Ampel für die Kinder habe auf Rot gestanden bzw. er hätte Vorfahrt gehabt. Welches Kind wird dem beweisträchtig widersprechen und welcher Polizist glaubt nicht ohnehin, dass Kinder Schuld haben?
Ampeln überfahren keine Kinder
Dabei gilt doch: es nützt nichts, wenn ich auf Ampeln achte, dann aber entweder bei Grün, auf dem Zebrastreifen oder an einer Straße, an der es keine Ampeln gibt, überfahren werde. Weil ich das seit 40 Jahren glaube, habe ich den Kindern und Enkeln bis heute eingeschärft, dass Autos gefährlich, manchmal auch brutal aber nicht dumm sind. Sie sollen daher in erster Linie nach Autos schauen, ihnen misstrauen und die Fahrbahn immer so betreten und überqueren, dass man sie sieht.
Autos können bremsen. Man nimmt, so zeigt ein Feldversuch in Holland ohne Verkehrsschilder und Ampeln, ohne den Wald von Rechtsbefehlen sogar mehr Rücksicht. Ampeln und Zebrastreifen sind daher eine wichtige Warnung aber keine Überlebensgarantie. Die deutsche Verkehrswacht könnte das statistisch überprüfen.
Manchmal kommt man zudem nicht legal über die Straße, wenn eine unendliche Autoschlange sich kontinuierlich bewegt und jeder Autofahrer den Motor aufheulen lässt, wenn man glaubt, man könne jetzt. Die jährliche stundenlange Motorradrallye in Hamburg ist dafür anschaulich. Die abgebremsten Fahrer zeigen bekannte Finger- und Kopfbewegungen. Sie sind ja im Recht. Das Recht hat wie schon für di Rechtsabbieger so auch für die Fußgänger keine Lösung. Andere Länder zeigen, dass man deswegen nicht verloren ist. Man darf nur nicht zurückweichen oder Angst haben. Der Fahrer muss wissen können, wohin das Kind geht. Keiner mordet absichtlich im Straßenverkehr nur weil er recht hat.
Wie sag ichs meinem Kinde?
Kinder sollen also noch vor den Regeln lernen, auf Autos zu achten, ihre Gefährlichkeit begreifen. Wie lernt man das am nachhaltigsten? Überzeugend ist man, wenn man sie dann auch dort, wo es keine Gefahr gibt und sie keinen Sinn macht, übertreten kann. Da ist kein Ratschlag, sondern eine Versuchsanordnung, der nur sehr kontrolliert funktionieren kann.
Gehen sie einmal mit Schulkindern bei Rot über die Ampel, wenn sie sicher sein können, dass kein Auto kommt und diskutieren sie dann die Reaktion der anderen. Das dürften die Kinder nicht vergessen. Ich prophezeie: die Kinder machen nicht mit. Sie lassen sie nicht einmal alleine gehen. Das ist auch gut so und natürlich haben die Kinder recht. Rot heißt Gefahr und die das anbieten kennen die Gefahr meist besser als die Kinder. Doch sie müssen die Regel begründen und darum geht es. Die Anzahl der Kinderunfälle im Straßenverkehr in Italien könnte deshalb geringer sein als in Deutschland, weil Autofahrer und Kinder mehr aufeinander achten. Allerdings sterben dort mehr, weil sie nicht angeschnallt sind oder vorne sitzen.
Staatsbürgerkunde auf der Straße?
Rechtsregeln sollen helfen richtig zu entscheiden nicht aber die richtige Entscheidung zu ersetzen. Ich gebe zu, dass man das auch anders sehen kann und ich eigentlich eher mit Worten als mit Taten diese Regeln verletze, zumal andere Kinder meine Erläuterungen nicht kennen und dann gar nichts mehr berücksichtigen, wenn sie mich als Rotgänger sehen. Doch wenn mich eins stört, dann sind es die Millionen selbsternannter Polizisten, die immer wissen, was man darf, soll und muss und schon lange den Regeln, die sie zu kennen glauben, keinen Sinn mehr zuordnen können. Mit der AFD haben wir auch wieder eine Partei, die so sauber, anständig und normal denkt, dass mir übel wird.