Pipers (kleine) Welt der Studien- und Kitagebühren
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Wer soll das bezahlen?
Nach den Studiengebühren stehen nun auch die Kitagebühren auf der staatlichen Streichliste zumindest im Norden der Republik. Viele finden dies gut, weil wir damit Kinder und Jugendliche fördern, die unser aller Zukunft bestimmen. Angesichts des Endes kolonialer Ausbeutung und des dringenden Fachkräftebedarfs brauchen wir das auch für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit, die man mit Steuersenkungen, wie sie die Wirtschaft als Antwort auf Trump in den USA, für 2019 fordert, allein kaum herstellt. Kinder und Jugendliche können das alleine nicht finanzieren. Es geht also darum, wer es bezahlen soll: die Gesellschaft, die den Nutzen trägt, die Eltern, denen man die Kinder als Privateigentum anlastet oder die Jugendlichen selber, indem man ihnen ihre Kosten als verzinsliche Darlehensschuld aufbürdet. Sie zahlen dann später den Kredit zurück, falls sie nicht zu den Privilegierten gehören, denen ein leistungsfernes Erbsystem und Reste von Familientradition Verschonung oder Schuldbefreiung gewährt. Doch wer den Nutzen hat sollte auch bezahlen.
Wer zieht daraus Geld?
Doch welcher Nutzen ist gemeint? Die Agrargesellschaft, deren Produktivität auf Familienarbeit beruhte, erklärte Kinderreichtum zum Nutzen. Dem Kapitalismus gefiel diese Kostenverteilung so gut, dass er die Kinder zum Eigentum der Eltern erklärte, für dessen Erhalt man zu sorgen habe, auch wenn andere als die Eltern deren Wertschöpfung nutzten. Man darf zwar Fußballspieler, die man herangezogen hat, nicht aber Kinder verkaufen. Mit der Sklaverei wurde auch diese Kostenverteilung abgeschafft. Stattdessen hat man in der Kreditgesellschaft die Kinder selber zu Nutznießern ihrer Ausbildung zu machen: je mehr Du aus Dir machst, desto mehr sollst Du verdienen. Das ist zwar ungerecht aber ein fantastisches Anreizsystem für effektivere Nutzungen, meint zumindest Nikolaus Piper in der SZ.
Wer macht „gute Kitas, Kitas“,
In der Kolumne Pipers Welt erfahren wir, dass Gebühren eine Garantie für gute Kitas-und Studiengänge sind. Der Feind ist nicht die Unterfinanzierung. Es sind die Kinder und Studierenden. Was sie nicht bezahlen können, lassen sie verrotten. Der Beweis ist dann der Vandalismus an öffentlichem Eigentum wie Telefonhäuschen und Bussen.
Sind nicht auch öffentliche Strände in Sizilien verdreckt. Ein Jahr freie Fahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln in Bologna erhöhte die Nachfrage ohne die Nutzung des Autos zu reduzieren. Für mehr Menschen habe, so Piper, die Münchener U-Bahn gar keinen Platz mehr. Privatschulen sind ja auch schöner und reicher und damit Tummelplatz der Reichen und Schönen. Das Grundgesetz verbiet soziale Sonderungen im Bildungssystem. Das gilt auch für Gebührenbarrieren. Doch Piper muss das nicht übertragen. Schulvereine zeigen, wie es geht. 300 € pro Monat Minimum. Für das Inkasso sorgt der Gemeinschaftsgeist der Besserverdienenden. Schulen sind in Villenvierteln überfinanziert, in den Stadtrandsiedlungen Bruchbuden.
Im ökonomischen Modell ist das einfach erklärt. Was nichts kostet, ist nicht wert, wer erntet, was er investiert, wird es schonen.
Wer die bessre Welt?
Adam Smith hat allerdings in seinem unterdrückten Hauptwerk über die „Theorie moralischer Gefühle“ (Theory of Moral Sentiments) festgestellt, dass der „Reichtum der Nationen“ (Wealth of Nations) eher überwiegend von ganz anderen Motiven als dem Egoismus erwirtschaftet wird. Die Menschen tun im Gegensatz zu Pipers Analyse oft Dinge, für die sie nichts bekommen. Dem kann man entgegenhalten, dass Diakonissen, Nonnen, Alleinerziehende und zu Altenpflegern mutierte Schwiegertöchter einfach nur dumm sind. Sie glauben, die Lohnzahlung sei nur aufgeschoben, bis sie im Himmel eintreffen. Doch warum privatisieren wir nicht die Straßen und die Bundesbahn? Kann man einstürzende Autobahnbrücken in Genua oder marode BritRail-Züge auch mit fehlenden Gebühren erklären? Militär und Polizei, so die Logik, haben (leider) keinen invidualisierbaren Nutzen. Deren Schutz müssen wir (leider) gratis erkaufen. Niemand will für sie bezahlen aber lähmt das auch das Interesse? Das glaubt man wohl in den USA, wo Mitgliedsausweise im Förderverein der Polizei im Auto ähnliche Wirkungen haben wie Anliegerparkausweise. Öffentliche Güter müssen auch dort öffentlich finanziert werden. Nur das andere schaffen Egoismus, Individualismus und Markt.
Kapitalismus ist nur eine Denkform, wir könnten mehr
In der 10.000jährigen Wirtschaftsgeschichte der Kooperation haben die Menschen immer gewusst, dass sie alleine nichts sind, dass sie langfristig alle tot sind, wenn sie nicht lernen kollektiv zu denken. Jeder individuelle Nutzen ist letztlich nur ein Abstrich vom kollektiven Nutzen, den wir schaffen. Umso langfristiger bzw. nachhaltiger wir denken, desto mehr erweisen sich die Modelle der Utilitaristen als Irrwege.
Das schmälert nicht die ungeheure Produktivität ihrer Ideologie oder Heuristik. (Das Geld Bd.2) Mit der Lüge, dass des Menschen Gewinn sich in einem individuell verfügbaren Geldbetrag erschöpfen kann, haben wir in der Tat die Dummheit der Menschen neben ihrer Wettsucht zum gewaltigsten Produktionsfaktor gemacht. Sie ergriff unsere Köpfe aber anders als die Wettsucht erst im 19. Jahrhundert und hätte sie wegen ihrer Liebe zum Kleinkarierten schnell wieder verlassen, wenn nicht Kolonialismus, Nationalismus und Raubkriege sowie Faschismus und Stalinismus die Aufgabe der Akkumulation und Industrialisierung übernommen hätten.
Reziproke Wirtschaft
Die HochZeit ist vorbei. Wir kommen an Grenzen. Wir brauchen zunehmend kollektive Güter wie Frieden, gesunde Umwelt, Kultur und individuelle Entwicklungschancen aller Menschen. Alle Versuche, sie käuflich zu gestalten, sind letztlich gescheitert. Wir müssen es direkt schaffen und das auch noch gegen die Widerstände derjenigen, deren Macht auf dem privatistischen Modell beruht. Aristoteles nannte diese andere Wirtschaftsweise reziprok: Du gibst, damit alle geben, Du erhältst, weil die Verwendung dessen was Du erhältst, letztlich allen nützt.
Das hat den Vorteil, dass niemand mehr arbeitslos ist. Fällt die unmittelbare Bezahlung weg, so gibt es unendlich viel zu tun. Auch kann niemand mehr behaupten, dass er der Wirtschaft mehr nützt, nur weil er oder sie mehr Geld haben. Was wir erarbeitet haben kann in einer Nutzerökonomie (die in der sharing economy eine Variante hat) vollständiger und sparsamer gebraucht werden, weil niemand mehr unter dem Vorwand exklusiven Eigentums mit seinen Luxuskarossen den öffentlichen Parkraum vollstellen wird. Die digitale Welt erscheint weder als künstliche Intelligenz noch als maschinelle Bedrohung, sondern als Mittel. Der zur Schau gestellte Luxuskonsum erweist sich öffentlich als Vernichtung von Ressourcen aus Langeweile und Machtgier. Wir stellen darin den Nutzen über das Besitzen, das Sein über das Haben. Wir schenken den Kindern eine Zukunft, weil wir uns damit selber beschenken. Jede Kette erscheint ist wieder nur so stark, wie ihre schwächsten Glieder. Fremdenhass und Krieg erweisen sich als unwirtschaftlich, so dass alle auch individuell geschädigt werden. Frankensteins personifiziertes Kapital der juristischen Personen wird in die Verantwortlichkeit natürlicher Personen wie Kapitalbesitzer und Manager zurückgegeben.
Individuum und Kollektiv
Das ist die eine Seite. Also alles frei, so dass jeder gebunden wird? Schütten wir das Kind nicht mit dem Bade aus. Das reziproke Denken ist nicht die Alternative zum individualistische Denken, sondern seine Erfüllung. Das Kollektiv ist kein Gegensatz zum Individuum. Es fasst deren langfristige Interessen zusammen und kann ohne dass das Wünschen zum Wollen wird sich nicht behaupten. Erst wo das Individuum die kollektiven Ziele etwa einer klimasicheren Zukunft in seine eigenen Konsumwünsche integriert, hat das kollektive Ziel eine demokratische Legitimation.
Im Pipers Welt gibt es das nur als Altruismus. Weil sie sich um den Alltag der Menschen, deren Denken und Streben nicht kümmern, bemerken die Ökonomen auch nicht, dass Menschen zunehmend Dinge wollen, die sie nur mit anderen zusammen erreichen können. Der Anteil der kollektiven Nutzung am individuellen Genuss erhöht sich ständig. Die Unfähigkeit der Ökonomen, dies in ihre Modelle zu integrieren, hat den Ruf nach einem starken Staat zurück in feudale Hierarchiemuster verstärkt.
Gebührenfreiheit ist kein Dogma
Aber Gebührenfreiheit ist kein Ziel, sondern nur ein Mittel. Im kapitalistischen Denken kann es unwirtschaftlicher Altruismus oder aber Wucher sein, im reziproken Denken kann es Missbrauch öffentlicher Güter oder Korruption bedeuten, in der Räubergesellschaft kann es Mangel an Macht bedeuten. Es ist auch nicht per se gerecht, weil die Finanzierung über die Steuern etwa bei den Studiengebühren durch die erfolgt, die sich gerade nicht so weiterbilden konnten.
Es kommt also darauf an, was mit dem (Teil des) Entgelt(s) finanziert wird, das reziprok (kollektiv) oder synallagmatisch (profitorientiert) organisiert ist.
Kinder oder Eltern?
Doch um wessen Nutzen geht es? Wenn Piper den Nutzen der Eltern anspricht, dann geht er weit hinter den Kapitalismus ins Sippenprinzip zurück: Kinder sind dann der Nutzen der Eltern. Deshalb stellte Aristoteles sie auch den Sklaven gleich. Es geht also nur um den Nutzen der Kinder und der Gemeinschaft. Bei den Kitagebühren ist das eindeutig: Kinder erhalten M der Kita nichts, was sie individuell zu Geld machen können. Nutznießer ist die Gemeinschaft. Die Eltern sind eher unqualifizierte Störenfriede. Man darf sie nicht im Gegenseitigkeitsprinzip bezahlen lassen, auch nicht über Elternvereine. Dann privatisieren sie auch den Nutzen der Kita. Das soll nicht die Initiative lähmen aber verhindern, dass sich reiche Eltern ihre Kitas unter welchem Vorwand auch immer (Montessori etc.) zurechtfeilen. Man sollte sich am kanadischen Schulsystem ein Beispiel nehmen. Kinder werden zugeordnet und mit Bussen morgens so verteilt, dass alle auch die reichen Eltern ein Interesse daran haben, dass alle Kitas eine hohe Qualität haben, weil sie eben nicht wissen, wo ihr Kind hinkommt.
Bei den Studiengebühren ist es komplizierter. Der Run auf BWl und Medizin ebenso wie EDV hat ja weniger mit Interesse am Thema als am späteren Verdienst zu tun. Doch wir brauchen eigentlich andere Studierende als die jetzigen. Bitten wir die BWLer so zur Kasse, wie die Juristen in den USA, dann haben wir nur noch solche, die den individuellen Nutzen über alles stellen. Helfen kann hier nur eine spezielle Ausbildungssteuer, die von den gehobenen Gehältern in diesen Bereichen kommen könnte.
Fazit
Piper, Deine Welt ist zu klein für uns geworden. Wir brauchen reziproke Konzepte und die Menschen müssen lernen, dass echter Egoismus sich daran beteiligt.
Egoismus bleibt ein wichtiges Mittel, wo kollektives Denken keine Chance hat. Eine Gesellschaft, die langfristig und nachhaltig wirtschaften will, muss aber damit anfangen, den Menschen praktisch klar zu machen, wie so etwas funktioniert. Welcher Ort dafür ist besser als Kita, Schule und Studium. Werden sie wie der Niedergang des US-amerikanischen Bildungssystem zeigt individualistisch organisiert, so mag es nicht wundern, wenn dann auch Kinder und Jugendliche Anpassung an die Mechanismen fordern, mit denen sie glauben reich werden zu können.