Hass und Gewalt
Hass ist eine innere Gewalt, die nach außen drängt. Einmal dort angekommen kann sie nur noch durch Notwehr gewaltsam gebändigt werden. Baut sich die innere Gewalt beim einzelnen auf, so erfahren wir dies als Aggression. Das lässt sich therapieren oder mit dem Gewaltmonopol des Staates bändigen. Die Chance vergeht, wo das aggressive Handeln des Einzelnen in den Hass einer Gemeinschaft eingebettet wird. Der Täter ist nur Beispiel. Terrorismus, Pogrome, Religions-, Bürger- und Nationenkriege finden hier ihre Nahrung. Das kann man vom Nationalsozialismus lernen. Er war ein perfektes System des allumfassenden Hasses gegen Juden, Sintis, Polen, Russen, Kommunisten, Liberale, Homosexuelle und alles was man mit Feindbildern als fremd und undeutsch belegen konnte. Er kam nicht über Nacht, sondern wurde seit 1923 systematisch aufgebaut.
Feindbilder
Ich habe diesen Prozess 1991 unter dem Titel „Gemeinschaft durch Feindschaft“ (Vgl. auch Das Geld Bd. I Fn. 16; II Fn 103) analysiert. Es scheint aktueller geworden zu sein. Hass und Gewalt nehmen mit den Feindbildern zu. Aufforderungen zur Feindschaft bestimmen keineswegs nur die sozialen Netzwerke. Nachdem „Kommunismus“ und „Faschismus“ als Feindbildern die Substanz entzogen wurde, arbeiten auch die traditionellen Medien mit immer neuen Kreationen. Das ist nicht Ausdruck einer neuen Freude an Opposition und Konflikt. Es ist eine Bewegung wie in Max Frisch’s Biedermann und die Brandstifter. Die Feindbilder identifizieren das Abgelehnte mit den Abgelehnten. Letztere sind so minderwertig, dass man sie zum Erkennungs- und Unterscheidungsmerkmal gegenüber der eigenen Bezugsgruppe macht. Untermenschen nannten sie die Nazis. „Ziehende Gauner“ („Zigeuner“ für Sinti und Roma), „Nigger“ (für Schwarzafrikaner), „Kanaken“ (für Türken), „Kakerlaken“ (für Tutsi in Ruanda) sind Beispiele, wie dem Hass ein menschliches Objekt zugeordnet wird, um in der gedacht gemeinsamen Ablehnung Gemeinschaftsgefühle entwickeln zu können. Woher der Antrieb kommt, ob aus Minderwertigkeitskomplexen, Sexualfantasien, Angst oder Habgier, Feindschaft bestimmt sich nicht durch den Grund, sondern durch seine instrumentelle Nutzung zur Selbstverwirklichung. Toleranz („Ertragen“) ist daher kein Gegenmittel, Freundschaft und Liebe eher utopische Ablenkungen. Was allen Feindbildern der Welt fehlt ist dagegen Respekt.
Personalisierung
Wer andere individuell herabwürdigt, hat zunächst nur ein soziales Defizit. Dieses Defizit wird normalerweise nicht ohne Antwort bleiben. Der Hass schlägt auf den Hasser zurück, so wie der Ruf aus dem Wald herausschallt. Dieser Mechanismus gehört zu den wichtigsten Erziehungsleistungen einer Kultur. Er funktioniert aber nicht, wo kollektive Feindbilder benutzt werden und die Kultur selber Hass braucht. Attentäter sehen sich dann als Vollstrecker einer Masse von Gleichgesinnten, die zum Handeln zu feige sind. In der Strafjustiz des Dritten Reiches markierte man dies mit dem Übergang vom Tat- zum Täterstrafrecht. Der Volksgerichtshof verurteilte Personen statt Taten, als er die Urteilsfomel abwandelte und sich Freisler an die Angeklagten wie folgt wandte: „Ehrgeizzerfressene, ehrlose, feige Verräter sind Carl Goerdeler …“ Das Strafgesetzbuch hat das noch nicht überwunden. Es verurteilt bis heute in den §§211 f den „Mörder“ und „Totschläger“ und nicht „Mord“ und „Totschlag“ und ist damit Vorbild und Legitimation für entsprechende Presse. Bei Körperverletzung und Diebstahl hat gelernt. Nur der Mörder ist dagegen nicht nur Täter wie der Dieb, sondern Feind.
Das Prinzip der Herabwürdigung funktioniert auch gegenüber ganzen Nationen. Die USA erfanden die Schurkenstaaten, die sie wie auf dem Schachbrett nach ihren außenpolitischen Präferenzen mit Figuren besetzten. Die Staaten wurden dazu auf ihre Präsidenten reduziert. Fidel Castro, Ho Chi Minh, Saddam Hussein, Ghaddafi, Kohmeini wurde die Diktatur als persönliche Eigenschaft auf den Leib geschrieben und mit herabwürdigenden weiteren Adjektiven geschmückt. Zugleich bekamen Tötung und Krieg Lösungsqualität. Waren die Diktatoren beseitigt konnten die westliche Werte so einziehen wie einstmals das Christentum in die Länder der Heiden oder Muslime. Inzwischen werden Putin (nicht schon Jelzin), Erdogan (nicht schon Evren), Assad (nicht schon Faisal I), Maduro (nicht schon Peréz) und Xi Jinping (nicht schon Chiang Kai-Shek ) regelmäßig so eingeführt, das man sie und ihre ganze Nation schon zu kennen glaubt, bevor man die Nachrichten dazu überhaupt gelesen hat.
Gemeinschaftsgefühle
Was macht die Attraktion der Feindbilder aus? Sie schafft Gemeinschaftsgefühle. Strafprozesse, so haben Psychoanalytiker wie Lacan, Alexander und Staub erforscht, dienen in erster Linie weder Opfer noch Täter, sondern dem Volk, dessen Gesetzestreue mit der Strafe der Abweichler belohnt wird. Je perverser die Norm, desto brutaler die Strafe.
Bei den Feindbildern ist es ähnlich. Der Feind selber ist letztlich unwichtig. Man muss ihn weder kennen noch mit ihm in Kontakt treten. Das Bild ist wichtiger als seine Realität. Allein die eingebildete Bedrohung schafft schon Kameradschaft, deren Verteidigung dann den Krieg zum Selbstzweck macht. Kriege werden zu persönlichen Erlebnissen zwischen den Kriegern, für die die Opfer nur Mittel sind. Eine Kompanie verschmilzt zu einer verschworenen Gemeinschaft. Die Kriegsbegeisterung zu den Weltkriegen zeigte den Verfall der echten Gemeinschaften Ende des 19. Jahrhunderts an.
Das hat sich nicht verändert. Zwei Weltkriege haben die Kosten deutlich gemacht. Aber das verblasst. Es besteht wieder Bedarf. Der Mensch ist nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein gemeinschaftliches Wesen. Schon in das Verhältnis von Mann zu Frau, von Eltern zu Kind, von Geschwistern zueinander ist die unmittelbar erlebte körperliche Nähe und Zuneigung eine Medizin, die jede Droge in den Schatten stellt. Anders als Kollektiv und Gesellschaft ruht dieser Zusammenhalt nicht auf einem gemeinsamen Interesse, sondern auf einem Gefühl der Nähe und Geborgenheit. Es ist also irrational und nicht einmal an Liebe gebunden. Im Stalking reicht auch Hass, um das Gefühl der Gemeinschaft wiederzuerlangen. Die Auflösung der Gemeinschaften (Globalisierung, Vergesellschaftung) schreitet voran. Nationalstaaten weichen den Staatenbünden. Zwecke ersetzen historisch-kulturelle Verbindungen, Parteien werden durch Bewegungen ersetzt, Familien durch Chat-Groups, Tanztees durch Partnervermittlung, Vereine durch Fitness-Clubs, Kirchen durch Glaubensgemeinschaften, Musikmachen durch Netflix und Nachbarschaft durch Hausverwaltungen. Befreundet ist man jetzt über Facebook, folgen tut man anderen auf Twitter. Sport ist Vorstufe von Beruf und Business. Bei Musik und Kunst zählen die Wettbewerbe. Der Markt schafft Zusammenarbeit indem er die Menschen voneinander trennt und gegeneinander antreten lässt. Über allem leuchtet die individuelle Freiheit als westlicher Wert in ihrer rein ökonomischen Form, für die Gemeinschaften als bedrohlicher Staat oder schädliches Kartell gelten.
Fazit: Freiheit, Respekt und Gemeinschaft in einer Nutzerökonomie
Die moderne Gesellschaft muss um ihres inneren Friedens willen die tatsächlichen Gemeinschaften fördern, um der Bildung ideologischer Gemeinschaften durch Feindbilder den Boden zu entziehen. Feindbilder gehören nicht in die moderne Demokratie. Sie sind Personifizierungen von Problemen, die falsche Lösungen nahelegen. Ausschließen, ausgrenzen, abschotten und vernichten sind archaische Bürgerkriegsformen, in denen echte Gemeinschaften um die knappen Ressourcen kämpften. Die Industriegesellschaft hat dies überflüssig gemacht. Wir könnten unsere Probleme friedlich lösen, die Kontakte zu den isolierten Werwölfen des Terrorismus herstellen. Das Geldsystem ist dabei eine schlechte Schule. Seine Nullsummenspiele lassen keinen Spielraum für Nähe und Gemeinschaft. Die gefeierten Geldmogule geben in ihrer Einsamkeit ein falsches Vorbild.
Wir müssen ihm nicht folgen. Dem Investmentbanking gehört die Vergangenheit. Die Nutzerökonomie bringt die Menschen wieder zusammen. Sie hat beides: effektivere Nutzung der durch Individualismus, Sacheigentum und Exklusion ungenutzten Ressourcen und vertrauensvolles Zusammenwirken unter den Nutzern. Der Privat-PKW steht zu 97% nur herum. Er konsumiert Raum, Risiko und Ressourcen. Das ändert sich gerade. Zur Eindämmung der Feindbilder sollten wir Verantwortlichkeiten schaffen. Wo Meinungs- und Pressefreiheit darin bestehen, andere herabzuwürdigen, zu beschimpfen und mit Feindbildern zu personifizieren reichen die Straftatbestände der Beleidigung und üblen Nachrede des 19. Jahrhunderts nicht aus. Die Volksverhetzung ist zu speziell. Man sollte das Hassrecht entkriminalisieren und dem Schadensersatzrecht unterstellen, das auch bei Entwürdigung Wiederherstellung verlangt. Bisher schützt es im Meinungsstreit vor allem das geistige Eigentum gegen die Freiheit der Rede derjenigen, die keine Lizenzgebühren zahlen können. Man kann es auch umdrehen.