Brief an den Vorstand vom 12.04.2019
Der Vorstand der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Fachbereichs Sozialökonomie hat die Selbstauflösung des Vereins angeregt, da seine Ziele nicht mehr verwirklicht werden können. Mit diesem Brief möchte ich die Studierenden des Fachschaftsrates unterstützen, die dem widersprechen.
Abschied oder Neubeginn?
Der Schritt zur Auflösung ist nicht unumgänglich, zumal gerade eine vom Senat eingesetzte Kommission mit auswärtigen Wissenschaftlern über die Zukunft der WiSo-Fakultät deutlich gemacht hat, dass eine Stärkung der Sozialökonomie in Hamburg der gesamten Fakultät Gesicht geben würde. Finanziell, sachlich und von den Studierenden her ist die alte HWP ohnehin nicht tot. Da zudem der BWL-Fachbereich, dessen Unverständnis für soziale Ökonomie die Abschaffung der Sozialökonomie beförderte, ausgegliedert wurde, wäre es bedauerlich, wenn mit der GdFF auch eine Unterstützermöglichkeit von außen entfallen würde. Sie könnte Sachverstand, Diskussion und finanzielle Mittel bereitstellen und damit helfen, den Dornröschenschlaf einer mit falschen Versprechungen ausgestatteten Managerausbildung zu beenden. Nicht dass es keine Managementschulen geben sollte. Doch davon hat die Welt schon genug. Ein Gänseblümchen im Brennnesselfeld der Ökonomen kann die aktuelle Aggressivität des Lehrkörpers gegenüber den wenigen Versuchen von Sozialökonomie kaum rechtfertigen.
- Die GdFF sollte möglichst vertreten durch einen paritätisch besetzten Vorstand aus Studierenden, Dozenten und Ehemaligen erhalten bleiben.
- Ziel sollte es sein, die institutionellen (relative Unabhängigkeit), personellen (explizite Sozialökonomen) und fachspezifischen (Gleichberechtigung der vier Disziplinen) Voraussetzungen für eine sozialökonomische Forschung und Lehre zu schaffen.
Institution oder Wissenschaft?
Die GdFF sollte sich von der trotz anderslautendem Bekenntnis weiterbestehenden Abhängigkeit von der Entwicklung der Institution FB Sozialökonomie zugunsten der Förderung sozialökonomischer Inhalte lösen.[2] So können auch andere Teile der Universität Hamburg und außerhalb ins Blickfeld kommen, ohne dass der Alumni-Charakter verloren ginge. Er gehört bis heute zur freundschaftlichen Atmosphäre des Studiums in der HWP.
In der Vorlesung zum „Abschied (von) der HWP“[3] habe ich im Juli 2012 einen Zehn-Punkteplan vorgelegt, den ich weiterhin für sinnvoll halte.
- Die GdFF sollte sich satzungsmäßig in „Gesellschaft der Freunde und Förderer der Sozialökonomie in Hamburg“ (GdFF) umbenennen.
Welche Sozialökonomie?
Die Gründungsgeschichte der Akademie für Gemeinwirtschaft als antifaschistischer, antikapitalistischer Institution ist ein Mythos. (a.a.O. S. 16 ff) Der Begriff Sozialökonomie ebenso wie die NS-belasteten Gründungsprofessoren müssen angenommen werden.[4] Der Begriff Sozialökonomie und Gemeinwirtschaft knüpfte an die Gemeinschaftsideologie der Deutschen Arbeitsfront an, die auch in den gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, für die die AfG ausbildete, Spuren hinterließ. Doch die spätere HWP emanzipierte sich nach 1968 von der Akademie. Mit dem Aufbaustudium Sozialökonomie wurde schließlich die politischen Ökonomie Thema und entwickelte die Sozialökonomie zu einer gesellschaftskritischen, freiheitlich und zugleich antifaschistisch verstandenen Wirtschaftswissenschaft.
- Sozialökonomie sollte allen Gesellschaftsmitgliedern und nicht nur Staat und Unternehmen dienen.
Welche Wirtschaft?
Zu den Zielen sozialer Ökonomie gehören das Gemeinwohl (VWL; Recht), die effiziente Produktion und Verteilung (BWL), Interessen und Schutzrechte der abhängig Beschäftigten und Konsumenten (Soziologie/Recht) und eine Behandlung aller Menschen im Sinne sozialer Gerechtigkeit.
- Sozialökonomische Wissenschaft steht zwischen Effizienz und Gerechtigkeit, zwischen Praxis und den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Solidarität.
Inter- oder Pluri-Disziplinarität?
Sozialökonomie ist Teil der Gesellschafts- und Sozialwissenschaften. Sie betrifft einen Gegenstand, der keiner Wissenschaft alleine gehört. Die Wirtschaftswissenschaften, die den Abschluss und damit das Berufsfeld der AbsolventInnen bestimmen, müssen sich daher in ihrer Effizienzsichtweise öffnen. Die Sozialökonomie erhält ihre Werte zur Beurteilung von Wirtschaft aus dem demokratisch legitimierten Recht. Mit der Soziologie ergänzt sie die Interessen aus Besitz und Eigentum durch Interessen an Konsum, Arbeit, Kultur. Sie dient Behinderten, Kindern, älteren Menschen und der Geschlechtergerechtigkeit. Sie zeigt Konflikte auf. Das Recht ist ihr Ansporn, den durch die Marktwirtschaft Benachteiligten gleiche Freiheit zu versprechen und sie vor Ausbeutung zu schützen. Gleichwohl bleiben alle vier Wissenschaften ihrem jeweiligen Erkenntnisinteresse und ihren methodischen Qualitätsanforderungen verpflichtet. Die Interdisziplinarität ergibt sich erst aus der Diskussion aller Ergebnisse in Bezug auf den jeweils konkret benannten gemeinsamen empirischen Gegenstand.[5] Arbeit, Konsum und Staat waren die Säulen des sozialökonomischen Studiengangs.
- Die Erforschung der ökonomischen Elemente in der Gesellschaft erfolgt in der Sozialökonomie mit Hilfe verschiedener Wissenschaften, die jedoch gleiche sozialökonomische Fragestellungen und Probleme behandeln, bewerten und sich in speziellen Kursen und Forschungsprojekten interdisziplinär und international austauschen.
Praxisbezug?
Das traditionell enge Verhältnis der HWP zur Praxis beruhte darauf, dass große gesellschaftliche Akteure hinter ihr standen, die die Ziele der Sozialökonomie gegen eine rein kapitalorientierte Ausbildung für die Wirtschaft verteidigten. Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltverbände sowie sozial orientierte Parteien und die von ihnen bestimmten Teile des Staates sahen die HWP als „ihre Universität“ und als Rekrutierungsfeld an. Das hat sich geändert. Es wird auch nicht mehr zurückkommen.
- Die Sozialökonomie muss sich direkt an die Studierwilligen wenden und für sie mit ihren Zielen attraktiv sein.
Zweiter Bildungsweg?
Arbeiterkinder ohne Abitur waren früher vom Studium ausgeschlossen. Die HWP war Vorreiter. Sie ging jedoch weiter. Sie setzte Quoten für Frauen und Ausländer und erkannte an, dass Bildungsungerechtigkeit keine Frage der Zulassung, sondern eine Frage aller Lebensumstände ist. Die OECD zeigt jährlich auf, dass in Deutschland das Studium für Arbeiterkinder nicht attraktiv ist.
Kinder aus Familien ohne akademischen Hintergrund und mit Berufserfahrung sollten daher ihre Interessen wiederfinden. Das war Markenzeichen der HWP. Das aktuelle Angebot schreckt eher ab.
- Das Studium der Sozialökonomie statt nur eines Studiums am Fachbereich Sozialökonomie wird Menschen anziehen, die den Praxisbezug wollen oder sogar mitbringen.
Fazit
- GdFF fortführen, neu ausrichten und umbenennen. Kommission einsetzen, die für Fortsetzung eintritt, Satzung anpassen und Kandidaten für einen später zu wählenden paritätischen Vorstand suchen. Eine schriftliche Mitgliederbefragung über den Fortbestand wäre angemessen.
udo.reifner@uni-hamburg.de HWP/Fb Sozialökonomie 1981-2012, 2016-2019
[1] https://fsr-sozialoekonomie.de/sozialoekonomie-ein-lebendiges-zukunftsprojekt/
[2] So auch das Ziel der GdFF: „weniger die institutionelle Förderung einer selbständigen Hochschule im Mittelpunkt, sondern der Kampf für die Erhaltung eines erfolgreichen Studienmodells“ https://gdff.de/verein/ .
[3] Kapitel E. Sozialökonomie – 10 Thesen für einen Neubeginn, S. 63 f; Download u.a. von https://fsr-sozialoekonomie.de/wp-content/uploads/2018/12/Abschiedsvorlesung_komplett.pdf
[4] Vgl. Abschied …. S. 16 ff
[5] Beispiel: Reifner, Das Geld Bd. 1 -3: Ökonomie des Geldes, Soziologie des Geldes, Recht des Geldes, Springer 2017 (Bd. 4 Die Finanzkrise). Das Werk entstand aus den Vorlesungen und Projekten in der HWP und folgte dem Buch von Norbert Reich, Markt und Recht, 1972. Im sozialökonomischen Diplomstudiengang des 7.-9. Semesters standen solche Themen und Projekte im Mittelpunkt.