Doktortitel und Plagiat: Schluss mit dem Zauber

Franziska Giffey wird mit dem Vorwurf, sich in ihrer Doktorarbeit mit fremden Federn geschmückt zu haben (Plagiat), aus dem Rennen um die SPD-Führung geworfen. 18 andere Politiker vor allem der FDP sind bereits betroffen. Insgesamt sind es 84 bei jährlich ca. 25.000 Dissertationen (2% pro Abschluss (Handelsblatt)). Lohnt das den Aufwand oder klappt hier selektiv eine sinnlose Normfalle zu?Doch Plagiat ist nicht gleich Plagiat. Während die Staatsanwaltschaft dem CSU-Mann Guttenberg wörtliches Abschreiben ganzer Passagen ohne Quellenangabe und damit strafrechtlich relevante Urheberrechtsverletzungen vorwarf, bemängelt Vroni-Plag schon Übernahmen, bei denen nur Sinn, einzelne Worte und Zahlen die Herkunft erkennen lassen. Bei Giffey sind es zudem vor allem öffentliche Texte, für die kein Urheberschutz besteht. Absurd sind die Forderungen, dass man auch eigene Texte nicht ohne Nachweis wiederholen darf.

Abkupfern ist gut, Abschreiben böse

Anders als im Journalismus soll in Wissenschaft und Forschung auf der Grundlage des neuesten Standes (mit Quellenangaben) gearbeitet werden. Die Wiedergabe der Texte anderer ist also Pflicht. Das Ganze soll aber vom Verfasser verantwortet werden. Der Wissenschaftler erkenntn dies bei der Lektüre. Eine Dissertation ohne eine Fußnote war Anfang der 1970ziger Jahre eine notwendige Revolution des Denkens. Die ständigen Wiederholungen in juristischen Texten, bei denen eine herrschende Meinung wiederzugeben ist, sind der Ausweis dessen, dass Jura nur teilweise zur Wissenschaft zählt. Der Laie oder die Bürokratie brauchen bei Titelvergabe dagegen formale Anhaltspunkte. Das sind dann die Zitate.

Das ließe sich leicht manipulieren, wenn man die Umformulierung einem Dritten aufträgt. Google und Co. werden dazu sicher noch ein Umformulierungstool anbieten. Auch heute schon könnte man die geklauten Stellen mit Google Translate ins Englische und dann zurück ins Deutsche übersetzen. Vroniplag hätte bei seiner Fahndung Mühe.

Bei den Tausenden von Arbeiten, die ich in 50 Jahren an der Universität korrigieren musste, reichte es mir, wenn nur sinngemäß abgekupfert statt wörtlich abgeschrieben wurde. Mehr kann man von Studierenden im modernen Prüfungsstress ohnehin nicht erwarten. Die kostenpflichtigen Hausarbeitsdatenbanken kommerzieller Anbieter stehen für Vroni-Plag ohnehin nicht offen. Das Plagiat ist dort ein Geschäftsinteresse.

Das Plagiat soll ein Erkennungszeichen für mangelnde Wissenschaftlichkeit sein, die der Titel dann ausweist. Aber wird beim Doktortitel dieser Ausweis überhaupt angestrebt?

Dissertation, Promotion, Doktor

Dissertation, Promotion, Doktorarbeit bedeutet Erörterung, Beförderung, Gelehrtheit. Mit diesen Funktionen hat sich der Doktorgrad, den Martin Luther bei seinem Widersacher Dr. Eck immer durch das Weglassen des Punktes (Dreck) persiflierte, etabliert. Der Titel soll nach den jeweils herrschenden Anschauungen wissenschaftliche Anerkennung von Professoren bezeugen, die nicht nur selber promoviert, sondern auf Grund weiterer Forschungsleistungen als Hochschullehrer ausgewiesen und ausgewählt wurden. Entsprechend ist der Erwerb des Doktortitels auch (mit Ausnahme der künstlerischen Fächer) Voraussetzung für den Erwerb einer Professur.

Berufsdoktoren

Für die Charakterisierung von Doktortiteln in Jura und Medizin ist das allerdings eine peinliche Verzerrung der Realität. Hier macht oder kauft man (20.000 €) den Titel, um das, was man ebenso mit Grafen- oder Geheimratstitel schaffte, nämlich einen zusätzlichen Marktwert als persönliches Merkmal vorzugaukeln. Nach C.H. Beck’s Berufsberatung für Juristen steigert dies das erwartete Durchschnittsgehalt der Juristen von 45.000 € auf 75.000 €. Auch wenn man die Promotion eher als Ergebnis der höheren Qualifikation sieht, zeigt die Erfahrung, dass vor allem Anwälte den Titel möglichst ohne Arbeit haben wollen. Das Forscherinteresse fehlt. Auch die Position eines Professors oder Research Fellows steht nicht auf ihrem Speiseplan. Selbst bei angestrebter akademischer Laufbahn ist der Professorentitel oft wichtiger.

Die Mehrzahl medizinischer wie juristischer Titel (vielleicht auch der Politologen) dürften Berufsdoktoren sein mit Marketingcharakter. Man verdient sie sich daher auch in den USA und teilweise in England durch berufspraktische Nachweise ohne Dissertation. Juridical und medical doctors brauchen anders als bei uns nicht die Weihen einer Fakultät, die Doktoranden für studentische Hilfskraftarbeiten ausnutzt, sie mit dem Doktortitel bezahlt oder Schulen bilden möchte. Die eigentliche Wissenschaftlichkeit solcher Arbeiten wollen und können die Fakultäten nicht kontrollieren. Allein schon die Aufgabe für jedes Fakultätsmitglied, 1000de von nichtssagenden Seiten zu lesen, um wenigstens oberflächlich informiert mitabzustimmen, ist Abschreckung genug. Zudem wird kaum ein Professor die Doktor-Söhne und Doktor-Töchter der Kollegen abschießen, die ihre geistigen Kinder oft nur aus Gründen des Prestiges oder des aufgebauten persönlichen Verhältnisses „durchbringen“ wollen.

In Italien hat man zudem gleich alle Juristen und Mediziner mit dem Titel „Dottore“ versehen. Er ist mit der „Laurea“ (Diplom) verknüpft. In Österreich, dessen Promotionen man einen leichten Zugang nachsagt, erlaubt dagegen sogar den Dreimaldoktor als DDDr. vor den Namen zu setzen, gleichzeitg aber auch die Anrede „Herr Hofrat“.

Alle anderen Länder verbannen die Doktortitel hinter den Namen wie der docteur en droit in Frankreich oder der PHD in den USA. Damit kann der Titel in Tagungsprogrammen fehlen, so dass man schon aktuellere Quellen für den Ausweis des Könnens der Referenten nutzen muss.

Wert und Unwert der Promotion

Politiker scheinen anzunehmen, dass die Wähler solche Titel goutieren. Das war früher eigentlich eher bei den bürgerlichen Parteien so. Adenauer ließ sich bei 23 Ehrendoktortiteln gerne mit Dr.Dr. anreden, bei Willy Brandt wusste man davon nichts. Auch der SPD-Professor Dr. Carlo Schmid ließ die Titel weg. Andererseits gibt es die Anekdote zum langjährigen Bundestagsvizepräsident der SPD, Hermann-Schmidt-Vockenhausen („HSV“). Ähnlich wie viele verdiente und einflussreiche Praktiker hatte er über einen Professorenfreund eine Doktorarbeit nach Art eines Berufsberichtes eingereicht. Beim Beschluss der Fakultät soll einer der Professoren gesagt haben, er lege Wert darauf, dass er in diese Arbeit nicht hineingeschaut hätte. Zu meinen Zeiten war es kein Geheimnis, dass man den Doktor in Würzburg in drei Monaten schaffen könne, wenn man keine wissenschaftlichen Ambitionen habe. Es soll Professoren geben, die über 60 Promoventen betreuen, wobei einflussreiche Berufspraktiker beliebt sind. Die Abhängigkeit schafft dem Elfenbeinturm Zugang zur Praxis (Gutachten, Beratung etc.), zu empirischen Details sowie Literaturrecherche. Im Übrigen ist das Universitätssystem selber Nutznießer, weil man nur die HÄlfte der Stelle mit Geld und die andere Hälfte in Natur mit der Promotionsmöglichkeit bezahlt. Dafür kann man sich seine Aktentasche schon einmal in die Vorlesung tragen lassen. Das überholte System ist wie bei vielen feudalen Reminiszenzen hochgradig korruptionsanfällig.

Doktortitel als Namensbestandteil

Als man als Studierender den Muff von 1000 Jahren unter den Talaren der Professoren entdeckte, habe ich seinerzeit auf die Frage meiner akademischen Lehrer, warum ich sie „mit bürgerlichem Namen“ anredete, geantwortet, dass ich dies so lange tun würde, wie Hochschullehrer diesen Titel wie eine Monstranz vor sich hertrügen. Bei meinem Doktortitel, den ein Mitbewohner wohl meinem Bäcker gemeldet hatte, so dass der stolz über so einen Kunden in Berlin mich aus der Schlange nach vorne rief, versuchte ich vergeblich, nicht nur die Klingelschilder, sondern auch meinen Personalausweis vom Doktortitel zu befreien. Er ist aber in Deutschland in den Namen eingefroren, was im Ausland die Häme brachte, dass mich befreundete Wissenschaftler in merkwürdig militärischem Deutsch als Herr Professor Dr. ansprachen und es damit assoziierten, dass wir Deutschen angeblich noch in Federbetten schlafen, Pickelhauben tragen und immerzu Sauerkraut essen und Titel lieben.

Dass der Dr. (eher nicht) und der Prof. (eher doch) zum Namen gehören sollen ist rechtlich gesehen eine Kopfgeburt der Gerichte, die hier ein Persönlichkeitsrecht statt eine Berufsqualifikation oder Berufsbezeichnung witterten. Immerhin gelang es jetzt 100 Jahre nach der bürgerlichen Revolution in Deutschland den Doktortitel aus den Reisepässen zu verbannen, wo sie die Welt in Erstaunen versetzten und die alphabetische Sortierung nach den Nachnamen sabotierten.

Das Vorhaben der drei Parteien links der Mitte, ihn auch aus dem Personalausweis und damit der Bürokratie insgesamt zu verbannen, scheiterte an den CDU Professoren. Schon jetzt besteht keine Eintragungspflicht, sondern nur ein Recht dazu. Aber wer verzichtet schon gerne, wenn es Vorteile bringt. Gleichwohl gilt: Mehr Schein als Sein verliert an Bedeutung.

Titel abschaffen

Die Entfernung des Doktortitels aus den Ausweispapieren und Dateien ist nur Kosmetik. Es geht darum, den internationalen Standard des Umgangs der Demokratie mit Titeln zu erreichen. Dabei gehören Titel nicht zum Namen, der der Identifikation eines Menschen dient. Titel bewirken das Gegenteil. Doktoren haben angesichts des Chaos bei seiner Erarbeitung keine gemeinsamen Merkmale.

Das bedeutet aber nicht, dass man auf die Bezeichnung Doktor bzw. Doktorin ganz verzichten muss. Segensreich hat bei den ProfessorInnen gewirkt, das man durch Umbenennung der Fachhochschullehrer in Professoren so viele davon geschaffen hat, dass sich das Elitäre zum Leidwesen der Patriarchen auflöste. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht den Ordinarien den (österreichischen) Titel eines Universitätsprofessors geschenkt. (In Österreich und den romanischen Ländern ist auch der Schullehrer Professor) Doch wer damit auftritt dokumentiert eine Gesinnung, wonach ihm der Unterschied zu sonstigen Professoren am Herzen liegt.

Professor ist seitdem eine Berufsbezeichnung, teilweise auch eine Anerkennung für einstmals geleistete Verdienste in Wissenschaft und Forschung. Letzteres verflüchtigt sich, ersteres ist zeitlich begrenzt. Bei Doktoren gibt es den Unterschied nicht.

Bei Juristen, Medizinern und vielleicht auch Politologen sollte man daher außerhalb der wissenschaftlichen Laufbahn einen durch Praxis erreichbaren Doktor schaffen. Er sollte keine erbettelten, durch Dienstleistungen verdienten, gekauften oder auch widerwillig erarbeitete Machwerke mehr erfordern, die keine Bedeutung für die Wissenschaft haben und nur die Zeit der Professoren stehlen. Wer mit dem Doktortitel dagegen Forschung dokumentieren und publizieren will, sollte wie in Italien oder den USA und vielen Ländern der Welt den einen Forschungsdoktor (dottore di ricerca; PHD bzw. ISCED-2011-Level 8) verliehen bekommen. Das würde auch den Auswahlprozess geeigneten Personals für Lehre und Forschung in den Hochschulen von Mogelpackungen befreien.

Das Problem des Plagiats ist nicht das Abkupfern oder Abschreiben, sondern das halbfeudale System der Doktortitel. Vroni-Plag schlägt ins Wasser statt auf das Problem. (UR)

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