110 Jahre Kriegskredite der SPD (Ukraine V)

Am 4. August 2024 jährte sich der Reichstagsbeschluss der SPD, mit dem 5 Mrd. Reichsmark Kriegskredite (heute 32 Mrd. € ) bewilligt wurden. Die Zustimmung erlaubte es den deutschen Militaristen zunächst Serbien und Russland und dann Frankreich, England und schließlich die USA in einen Weltkrieg zu ziehen. Wenige Tage zuvor hatte die SPD noch Massendemonstrationen gegen den Kriegshunger in Deutschland unterstützt. Die Zeiten wiederholen sich.

Kriegskredite 2020

Gem. § 4 Bundeswehrsondervermögensgesetz wurde das Bundesministerium der Finanzen  ermächtigt, zur Deckung der Ausgaben Kredite bis zur Höhe von 100 Milliarden Euro aufzunehmen.

„Am 3. Juni 2020 hat der deutsche Bundestag das sogenannte Sondervermögen Bundeswehr (20/1409) beschlossen. In namentlicher Abstimmung haben 593 Abgeordnete für das Sondervermögen und 80 Abgeordnete dagegen gestimmt. Sieben Parlamentarier haben sich der Stimme enthalten. Ziel des Sondervermögens mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro ist die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. … Ein von der Fraktion Die Linke zum Gesetzentwurf vorgelegter Entschließungsantrag  (20/2133) wurde abgelehnt. (www.bundestag.de).

Nach der Gesetzesbegründung müssen „die Ausgaben des Sondervermögens auf das NATO-Ziel für die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten anzurechnen sein.“ Dazu der SPD-Kanzler:

„Wir werden die Ukraine weiter unterstützen, ,,,, dass sie sich verteidigen kann, mit Waffenlieferungen, wie viele andere Länder in Europa das auch machen“(SPD.de)

„DIE LINKE lehnte Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Mehr Waffen schaffen keinen Frieden.“

Kriegskredite 1914 (SPD.de)

Am 4. August 1914 stimmte die sozialdemokratische Fraktion im Reichstag geschlossen für die Kriegskredite (5 Mrd. RM) …. Zwei Motive setzen sich dabei durch: Angesichts des nationalen Taumels wollen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht wieder als “vaterlandslose Gesellen” angeprangert werden. Und: Sie finden es richtig, dem zaristischen, rückständigen Russland die Stirn zu bieten. In den Schützengräben findet die Kriegsbegeisterung bald ein blutiges Ende….Ein Jahr später kehren überlebende Soldaten traumatisiert und oft verkrüppelt aus dem Krieg zurück. Der Kaiser dankt ab. Sozialdemokraten übernehmen Verantwortung in einem wirtschaftlich und seelisch zerstörten Land. (www.SPD.DE)

„Russenfurcht“

Der Spiegel schreibt zu 1914 (Der Sündenfall der SPD v. 24.9.2013)

„1914 organisierte die SPD noch Massendemos gegen den drohenden Waffengang – wenige Tage später stimmte die Partei den Krediten für den Ersten Weltkrieg zu. Wie kam es zu dem fatalen Meinungswechsel?

Schlau schürte die Regierung die in der Arbeiterbewegung tief verwurzelte Angst vor dem Despotismus im Osten: Seitdem die Zarentruppen 1849 die Niederwerfung der Freiheitsbewegung in Österreich-Ungarn angeführt hatten, war Russland allen europäischen Demokraten, vor allem den Sozialdemokraten, als Bollwerk der Reaktion verhasst. Sogar Parteichef Bebel hatte 1904, damals schon 64 Jahre alt, im Reichstag erklärt, gegen einen Angriff des Zarismus würde er persönlich das Gewehr schultern.

Für den 2. Weltkrieg schreibt das offizielle Geschichtsprojekt der staatlichen historischen Stiftungen Lemo (https://www.dhm.de/lemo/projekt):

Am 22. Juni 1941 eröffnete das Deutsche Reich auf breiter Front zwischen der Ostsee und den Karpaten den Krieg gegen die offensichtlich überraschte Sowjetunion. … Die Sowjetunion galt als Träger des “jüdischen Bolschewismus” und als eine unmittelbare Bedrohung für das Deutsche Reich. Aus nationalsozialistischer Sicht war der Kampf der überlegenen “arischen Rasse” gegen die sowjetischen “Untermenschen” unausweichlich. In einem siegreichen Eroberungskrieg gegen die Sowjetunion sah Adolf Hitler seine wahre “Mission”

Dies Bild von Russland beherrschte nicht nur die Nationalsozialisten, sondern wurde durchgängig in den deutschen Eliten von Wirtschaft, Militär, Beamtentum und Bildung akzeptiert.

Im Kalten Krieg wurde das alte Russland Bild reaktiviert. Allein die Außenpolitik Willy Brandts brachte eine kurze historische Korrektur, die von Respekt und Geschichtsbewusstsein gekennzeichnet war.

Putin der „Verbrecher“

Nach dem der Zerfall des Sowjetsystems 1988-1991, der einen machtlosen Sowjetführer Michail Gorbatschow und einen mächtigen aber unfähigen russischen Präsidenten Boris Jelzin hervorgebracht hatte, dominierte  im Westen zunächst ein positiveres Bild. (Vgl. Peter Brandt, Das deutsche Bild Russlands und der Russen in der modernen Geschichte, http://willy-brandt-kreis.de/pdf/brandt_russlandbild.pdf). Der nächste  Präsident, Wladimir Putin, trat im Westen wieder als Repräsentant eines korrupten und primitiven Russlands in Erscheinung. Der Dualismus zwischen Herrscher und System, zwischen Zar Nikolaus und dem Zarenreich, Stalin und dem Sowjetsystem kehrte wieder.

Putin wurde zur Personifizierung eines Negativsystems. Bezeichnungen wie „Ewiger Diktator“ (ZDF), „(Kriegs-)Verbrecher“ (NZZ), „Demagoge“ (DLF, DW), „Aggressor“ (N-TV), „Kreml-Despot“ (Bild), „Lügner, Täuscher, Hasardeur“ (Die Zeit) kennzeichnen nicht erst sein Handeln, sondern ist eine Eigenschaft der Person. Nach der in der NS-Zeit vorherrschenden Tätertyplehre, deren Denken bis heute die Kapitalverbrecher kennzeichnet, ist das Böse Ausdruck der bösen Person.  Nicht die Tat (Mord, Totschlag), sondern die Person.(„der Mörder“ §211 StGB oder „als Totschläger“ (§212 StGB) wird bestraft.“ Damit war die Ausrottung der Mörder und auch die Todesstrafe mitgedacht, die sich in den Straffantasien vieler Kriegsbefürworter wiederfindet. Dass damit auch viele Russen ihre 24 Mio. Opfer von Wehrmacht, SS und SA im zweiten Weltkrieg dem Tätertyp des „Deutschen“ zuordnen könnten, findet sich in Putins Antifaschismus wieder. Die deutsche Presse sollte nicht aus dem Glashaus werfen. Ausländische Medien sind da respektvoller: „Le président russe“ heißt in Le Monde; “Putin, el líder al que Occidente cortejó, perpetúa la dictadura de una Rusia cada vez más bélica” in El Pais oder schlicht “Putin” in der New York Times.

Das Volk entscheidet

Die Umfragen zeigen, dass es in der deutschen Bevölkerung keine Mehrheit für die neuerlichen Waffenlieferungen gibt. Die Einschüchterung der Ostermarschierer als Russen- oder Putin Freunde war nicht überzeugend genug. Die überparteilichen Waffennarren Merz, Söder, Hofreiter, Strack-Zimmermann, Baerbaum, Pistorius, Roth, von der Leyen geben getrieben von den baltischen Staaten und Polen den Ton an. Danach wird der NATO nach dem Vorbild der Angelsachsen faktisch die Einstellung der Ziele ihrer nach Russland fliegenden Raketen angedient: ein weiterer Schritt zum Kombattantenstatus. Die Nato meint allerdings, es komme allein darauf an, dass man nicht von seinem eigenen Land aus schießt. Doch von wo aus geschossen wird ist gleichgültig, wenn man nur trifft. Das gilt erst recht im Zeitalter der Fernsteuerungen, wo die Generäle ins home office wechseln, während die Waffen im Niemandsland der Meere und des Weltraums kreisen und dort gezielt sprengen, wo sie Tausende vernichten.

Wer bewirkt diese Megakoalition für Waffenlieferungen, zu dem sich auch das „nein aber“ innerhalb der Linksfraktion (Bartsch, Gysi) gesellte, ganz zu schweigen von der Partei, die einstmals von den Friedensaktivisten Petra Kelly und Gert Bastian gegründet wurde? Während die einen die Stärke des Westens verteidigen, geht es den anderen um Menschenrechte, mit deren gewaltsamer Verteidigung das höchste Menschenrecht, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, geopfert werden kann.

Wie populistisch sie auch erscheint, die BSW drückt tatsächlich als einzige das aus, was seit 110 Jahren die so oft von der SPD beschworenen „fleißig Arbeitenden aus der Mitte unserer Gesellschaft“ verlangen – das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Als späte Abkömmlinge der europäischen Kriegstreiber und Kolonialisten will die AFD kein Gewaltverbot, sondern nur andere Feinde und Waffen: Pistolen statt Kanonen, Bürgerkrieg statt nationale Kriege. Sie will den nationalen Kuchen gleichgültig auf welche Weise er zusammengeraubt wurde nicht teilen müssen oder wie es die Hitlerjugend intonierte: Und heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.

Ihre Aufforderung zur Vertreibung oder Ausrottung der „Fremdvölkischen“ ist keine Absage an kriegerische Gewalt, sondern nur deren andersartige Instrumentalisierung.

Verteidigungskriege sind Angriffskriege

Kriegsvölkerrecht ebenso wie das nationale Straf- und Zivilrecht kennen keine Rechtfertigung eines Krieges. Da mag die Riege der Waffenbrüder argumentieren, die NATO führe einen legitimen „Verteidigungskrieg“, weil die Aggression Russlands ein „Angriffskrieg“ i.S. des Art. 26 GG ist. Doch einen Verteidigungskrieg oder Nicht-Angriffs-Krieg kennt das Völkerrecht nicht. Danach sollen über die Aggression Gerichte und nicht Militärs entscheiden. Sonst wäre nach der vordemokratischen Auffassung des Generals Clausewitz der Krieg keine Tötungsveranstaltung mehr, sondern nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Der Rechtsstaat ist dann nur die Option des Stärkeren. Dabei ist die Pflicht zur friedlichen Auseinandersetzung so selbstverständlich, dass das Gesetz nur seine Grenzen verkündet.

Nach § 227 Abs.2 BGB ist Notwehr diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Es reicht also nicht, gebetsmühlenartig die Rechtswidrigkeit und moralische Verwerflichkeit der Aggression oder der Aggressoren zu wiederholen. Gewalt ist erst legal, wenn und soweit sie 1. erforderlich ist, um 2. einen Angriff abzuwehren, der 3. auch gegenwärtig noch fortdauert und nicht nur fortwirkt. Bestrafung und Rückeroberung rechtfertigen ihn nicht. Das haben die Polizeieinsätze der USA in Vietnam oder Irak letztlich nicht widerlegen können. Das liegt nicht nur an den unschuldigen Kollateral-Opfern unter Frauen, Kindern, Alten und Behinderten. Auch die toten Soldatinnen und Soldaten hatten ein Recht auf Leben.

Wer daher wie Israel aber auch die Ukraine oder die USA bei 9/11mit seiner Verteidigung zu spät kommt mag zwar bei seinen Gegenschlägen mit wehrlosen Opfern moralisch im Recht sein. Doch dient das Völkerrecht nicht der Genugtuung, sondern dem Frieden und den stört auch die Gewalt der Verteidiger, wo sie nicht mehr behaupten kann, andere Leben zu schützen.

Noch so wohlklingende Wortschöpfungen wie der „vaterländische Krieg“, die Vorwärtsverteidigung, der Freiheitskrieg, der Krieg gegen den Kommunismus, der Antiterrorkrieg, der Glaubenskrieg, der Krieg für Menschrechte konnten den Krieg als solches nicht legitimieren. Hiroshima bleibt ein strafwürdiges, wenn auch moralisch legitimes Verbrechen. Der Krieg rechtfertigt keine Gewalt, sondern beschreibt nur ihre extreme Form.

Ideologische Abrüstung

  • Die Alternative zum Krieg ist der Frieden. An die Stelle der Macht des Stärkeren tritt der Vertrag (Pax, Pakt). Dessen Friedenspflicht macht nicht wehrlos, aber begrenzt die kriegerische Gewalt auf Notwehr.
  • Kriege kann man nur verlieren. Sie sichern keinen Frieden.
  • Die Achtung vor der Würde des Menschen verlangt Respekt.
  • Kein Mensch ist von Natur aus ein Verbrecher, kein Volk wertvoller als ein anderes.
  • Feindschaft ist das angemaßte Recht, andere Menschen zu hassen.
  • Freude schafft Frieden: „Alle Menschen werden Brüder“

Sozialismus und Frieden

Der Sozialismus beruht auf der Einsicht der abhängig Beschäftigten im Kapitalismus, dass die Alternative zur Konkurrenz zwischen den Menschen die Solidarität ist. Sie umfasst potenziell alle Menschen, die miteinander gesellschaftlich verbunden sind. Während die Konkurrenz der hässliche Bruder des Wettbewerbs ist, der in der gröbsten Form als Krieg davon lebt, dass er anderen etwas wegnimmt, belohnt der Wettbewerb das Beste. Dazu braucht er den Frieden.

Die Parteien, die sich in dieser Tradition sehen, sollten sich auf die Erklärung der deutschen Gewerkschaften vom 2.August 1914 besinnen, wo es heißt:

Der Krieg mit seinen Verwüstungen des wirtschaftlichen Lebens, mit seinen unermeßlichen Opfern an Gut und Blut ist über die Kulturnationen hereingebrochen. Unzählige werden als Opfer auf den Schlachtfeldern bleiben. Schwer wird die Arbeiterklasse diese Last zu tragen haben; Arbeitslosigkeit, Not und Entbehrung werden in nie gekanntem Umfange hereinbrechen.

Diese Beschreibung gilt auch heute noch.

Die sozialistische Ableitung ist wohl die realistischste und damit auch wirksamste Form des Pazifismus. Die christliche Form verlangt sogar die Feinde zu lieben und den Schutz des Lebens. Die liberale Variante stellt das individuelle Grundrecht auf Leben in den Mittelpunkt.

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