Nachdem der US-Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus 2006 für die weitgehend zu Betrugssystemen degenerierten Modelle in Bangladesh den Friedensnobelpreis bekam, werden 2019 die drei Wirtschaftsprofessoren vom gemeinsamen Campus von MIT und Harvard in Boston: Michael Kremer, Abhijit Banerjee und Esther Duflo mit dem Wirtschaftspreis ausgezeichnet.
Armutsbekämpfung bei den Armen
Was alle vier eint ist eine Armutsbekämpfung bei den Armen selber. Dazu haben sie nicht ohne Feldkontakt im intellektuellen Labor der modernen Wirtschaftswissenschaften Modelle entwickelt, die den Armen die Chance bieten sollen, sich selber aus dem Morast der Armut herauszubringen. Während Yunus fälschlich den Kleinkredit pries, brachte Kremer in Kenia armen Jugendlichen Lesen und Schreiben bei. Damit waren und sind sie nicht alleine. Einzigartig macht sie, dass es Ökonomen sind, die wie schon Yunus die Fähigkeit teilen, am Beispiel der Entwicklungsländer in Büchern und Reden eine wohl gelittene Theorie der „der kleinen Schritte“ mit der Hilfe zur Selbsthilfe („fordern und fördern“) zu verbreiten und mit fröhlichen Vorher/Nachher Bildern zu unterlegen. Das Ganze passt zumindest theoretisch in die Logik moderner Volkswirtschaftslehre. Die schafft mit Robinsonaden und Formeln die Erklärung, dass man mit Geld alles verstehen und alles erreichen kann. Bibel, Koran und Buddha waren noch differenzierter. Sie wollten nie den Unterschied zwischen reich und arm abschaffen, sondern nur den tonangebenden Reichen ins Gewissen reden. „Was Du einem meiner Geringsten getan, dass hast Du mir getan.“ Hilfe für die Armen statt Kritik an Gott und Göttern, die das erschaffen hatten, war die Pflicht. Das Bundesverfassungsgericht die Pflicht zu minimal menschenwürdigem Leben profanisiert.
Ja in der Tat. Wir brauchen barmherzige Samariter aber auch Forscher, die sich um die Räuber kümmern. Armenhilfe ist keine Armutsbekämpfung und manchmal sogar schädlich, wo sie die Existenz von Armut zur Existenzbedingung ihrer Einflussreichen Ärzte in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft macht. Sie kämpft letztlich (nicht zu Unrecht) auch gegen die Person des Armen selber, in dem das haust, was mit dem Mangel an Bildung, Initiative, Arbeitssinn, Kultur oder Geld ihn als Armen ausmacht. Ist der Arme besiegt, so ist er reich. Doch das ist nur ausreichend, wo Armut unabdingbar für eine Mangelwirtschaft ist. Wissenschaft heute sollte nach dem Warum? fragen.
Schlechtes Gewissen
Esther Duflo gab im SZ-Interview an, es sei ihr schlechtes Gewissen gewesen, das sie als gutbehütete Bürgerstochter in diese Forschung getrieben habe. Nicht unähnlich argumentierte eine fünfte Nobelpreisträgerin, die selig gesprochene albanischen Missionarin Mutter Theresa, als sie die Friedensvariante des Preises 1979 erhielt. Alle Preisträger kamen vom indischen Subkontinent oder wirkten dort. Er wurde von der englischen Kolonialmacht geformt. Alle Preisträger haben selber oder durch ihre Laudatoren ihre Tätigkeiten zu Weltmodellen gemacht, die unter kapitalistischen Wirtschaftsbedingungen das Problem der Armut lösbar erscheinen lassen.
Sozialhilfeforschung machen andere besser
Neues bringen sie eigentlich nur für Ökonomen. Forschungen über Sozialhilfemaßnahmen und ihren Wirkungsgrad sind in der Sozialpädagogik weder rar noch undifferenziert. Allein sie konzentrieren sich auf ihre Klientel und versprechen keine Weltmodelle. Dafür bleibt auch ihrer Lehre und Forschung auch die Universität verschlossen. Es fehlt das Potenzial zur großen Theorie im Kapitalismus und möglichst noch in Boston. Sie nerven mit dem Tropfen auf den heißen Stein wo den Stein steter Tropfen hölen soll. Sie halten die Arbeit von Sysiphos, Steine den Berg hinaufzurollen, für relativ leicht gegenüber ihrer Rettung von Sozialmigranten in den Stürmen von Wucher und Gier, die die Armut immer wieder reproduzieren.
Angst der Ökonomen?
Vielleicht ist ihr „schlechtes Gewissen“ ja auch nur Ausdruck kollektiven Angst nicht vor Armut, sondern vor den Armen. Bismarck`s Sozialversicherungsgesetze erklären nur die gleichzeitig erlassenen Sozialistengesetze. „Friede den Hütten, Kampf den Palästen“ ist nach den Jugend-Riots in LA und Paris, den Straßenschlachten in Ecuador, den Demonstrationen in Argentinien oder auch den Ursachenbehauptungen zum Erstarken des Islamischen Staates in einem zerbombten Land nicht mehr fernliegend. Wer mit Inkassomethoden regiert macht sich verwundbar.
Nur Reichtum besiegt Armut
Die USA, Kenia und der indische Subkontinent sind das Eldorado für die Armenforscher. Das Reservoir ist unerschöpflich und wird täglich auf erhöhter Stufenleiter reproduziert. Die Tausende gut gemeinter Miniprojekte geben Fotos aber keine Erfolge. Den haben andere. Die UN-Milleniumkampagne zur Halbierung der Armut hatte Erfolg, aber nur, weil ein einziges Land der Welt, China, die Quote insgesamt drastisch senkte und den Hunger besiegte. Man mag China nicht und deshalb gehen die Preise nach Indien. Wissenschaftlich lässt sich dies nicht begründen. Dabei ist es ja nicht der Kommunismus, der in China das Problem absoluter Armut gelöst hat. Es ist das Gesetz jeder Wirtschaft, das erst der wachsende Reichtum bei bestimmten Rahmensetzungen die Armut besiegt, weil Reichtum für Produktivität aber auch Überschuss steht, während Armut sich nur auf das brach liegende Potential berufen kann. So war es in Europa, so war es in den USA und Japan und so ist es jetzt in China aber auch in Malaysia.
Dass das Potenzial zum Wohle aller gehoben wurde, schaffte im Wesentlichen nicht der Kapitalismus, sondern seine Feinde in den sozialen Bewegungen, was zuletzt die Arbeiterpartei in Brasilien unter Lula unter Beweis stellte. Eine Wirtschaft kann auf Dauer nur florieren, wenn sie das Reservoir aller für die Produktivität nutzen kann.
Armut ist Mangel an Reichtum
Armut ist der Mangel an Teilhabe an gesellschaftlichem Wohlstand und Fortschritt. Neugeborene sind arm. Wir machen sie reich, indem wir sie an Sprache, Kultur, Fähigkeiten, Maschinen und Infrastruktur sowie sozialem Leben teilhaben lassen. Doch das machen wir nicht gleich. Die einen werden in die Paläste, die anderen in die Hütten geboren. Sie können sich das nicht auswählen. Es ist sogar umgekehrt. Später wird ihre Armut als Kreditunwürdigkeit und Risiko eingestuft, ihre Initiative wird mit Wucherkrediten belohnt und bei Mangel werden sie vom Arbeits- und Wohnungsmarkt ausgeschlossen oder dafür ausgebeutet.
Will man daher Armut bekämpfen, so muss man die Strukturen und Mechanismen bekämpfen, die ausschließen, diskriminieren und die Ausbeutung fördern statt den Armen letztlich insgesamt untaugliche Mittel an die Hand zu geben, sich am eigenen Schopf aus der Misere zu ziehen oder nur die Auswirkungen ihrer Benachteiligung zu lindern. Die Forschung darüber wird nicht finanziert, ist politisch verdächtig und passt nicht in unser Gesellschaftsbild. Das ständig aktualisierte Datenkompendium des SOFI in Göttingen in den 1970ziger Jahren gibt es nicht mehr. Für Armutsdaten ist jetzt Google, die OECD und der Armenbericht der Bundesregierung zuständig.
Wo die Armut in den Armen bekämpft wird können die Programme des schlechten Gewissens weitergehen. Wir bekämpfen dann Altersarmut, wo es die geringste Armut gibt, wir lassen Jugendliche unausgebildet und arbeitslos, wenn es zu betriebsbedingtem Abbau von Arbeitsplätzen kommt und schreiben das ihrer Mentalität zu, wir schaffen in der Bildung die Kompetenz für Sozialverhalten und Sozialverständnis zugunsten der Anpassung an Digitalisierung und Leistungsstreben ab, damit nicht einmal die weit unterrepräsentierten Arbeiterkinder an unseren Universitäten begreifen, dass es nicht der einzelne Mensch ist, der sich arm macht.
StopWucher
Man kann den Mechanismus der Exklusion am Wucher erlernen. Doch dazu an anderer Stelle. Das lehrt uns auch ein anderer Nobelpreisträger. Der sechste Vertreter des indischen Subkontinents, Harvard-Professor Armtya Sen, der 1998 den nach den neoliberalen Vergaben überraschend den Wirtschaftsnobelpreis für seine Studien über die Mechanismen der Verarmung bzw. der Verhinderung von Reichtum bekam, forschte zur „Idee der Gerechtigkeit“ und wie eine bedürfnisorientierte Ökonomie den Platz der Armut nehmen könne.
Demgegenüber stellt die Preisverleihung für Erfolge in der sozialen Viktimologie bzw. Opferforschung die Verhältnisse auf den Kopf und lenkt von den Tätern ab. Wir brauchen sie nicht. Den Ökonomen, die die Wirklichkeit nur zu erfassen lernen, wo sie sich in in Geldbeträgen und Statistiken zeigt, mag man empfehlend, bei ihren Leisten zu bleibt. Der Wirtschaftsnobelpreis könnte nach Boston verlegt und wieder den Quants anvertraut werden. Schon Luther meinte, dass die Schafe es wohl leiden würden, wenn sie mit den Wölfen zum friedlichen Miteinander eingesperrt würden. Nur, meinte, lange Leben würden sie dabei nicht.
(Ausführlich habe ich dieses Thema in Reifner, Das Geld 2017 Bd. 2 Soziologie des Geldes, Kapitel C „Geldbesitz: Armut und Reichtum“ S. 49 ff und Kapitel F 3. „Microlending, Mirkrokredit, Mikrofinanz (Kredit)““ S. 179 ff behandelt)