Es gibt keine Zinsen
Liebe Geldfetischisten, Ihr wollt die Zinsen retten. Doch Zinsen gibt es nicht. Sie sind eine ideologische Vorstellung (Heuristik) über die eingebildete Fruchtbarkeit des Geldes. Ohne sie funktioniert keine Tauschwirtschaft. (Reifner 2017, Das Geld Bd. 1, S.179 ff)
Zinsen lassen sich nicht berechnen
Fragt die Mathematiker oder die Preisangabenverordnung, ob man Zinsen berechnen kann. Sie werden, falls sie nicht für Banken arbeiten, die Frage verneinen und auf die Wachstumsformel verweisen. Mit ihr wird das Wachstum (oder die Schrumpfung) eines Kapitals auf ein zukünftiges Kapital mit dem Faktor gt * C0 abgebildet. g ist die Wachstumsrate (growth) und t die Zeit (time). Aus der Differenz zwischen dem Ursprungs- und dem gewachsenen Kapital ergibt sich der Gewinn (oder Verlust). Ihn bezeichnen die Ökonomen und Juristen bei Geldvermögen als Zins. (Reifner/Feldhusen-Reifner, Kreditrecht 2019 §21)
Zinsen als Naturgesetz?
Dass Geldkapital Zinsen trägt, wird so zu einem Naturgesetz und schafft das Vertrauen, dass man für die Zukunft auf vielfache Weise sparen kann. Nach der religiösen, romantischen und alternativen Verdammung allen Geldgewinns als Wucher ermöglichte diese Heuristik Kapitalakkumulation, Industrialisierung und Globalisierung. Der Nutzen dieser Heuristik ist nicht vorbei, doch seine negativen Effekte werden deutlicher.
Fruchtbarkeitszertifikat des Geldes
Als Nebeneffekt bekamen die Geldbesitzer, erst Handelshäuser dann Banken und jetzt die Investmentfonds, das Fruchtbarkeitszertifikat. Geldvermögen wurde heiliggesprochen. Während die Investition von Arbeit und Sachwerten zu Verlusten führen kann, wirft das Geldvermögen immer Gewinne ab und bleibt selber unangetastet. Die Zinsideologie fragt nur noch, wie viel man verdient und nicht ob überhaupt und ob nicht auch Verluste und Schrumpfung eintreten können. Historisch waren Staat, Arbeitnehmer und Verbraucher oder Gläubiger durch Konkurs dafür da, die Zinsideologie aufrechtzuerhalten und zu bezahlen.
Grenzen der Zinsideologie
Doch schrankenlos war das Ganze nie. Der Wert des Geldes war nicht garantiert. Geldentwertung bis hin zum Geldverfall fraßen das wieder auf, was der Zins gebracht hatte. Je höher die Zinsen, desto höher die Inflation. Daher übernahmen die Zentralbanken auch beim staatlich geschopften Vertrauensgeld die Zinsregulierung.
Verfall der Zinsideologie
Der Zinsbegriff als durchaus produktive Fruchtbarkeitstheorie des Geldes kann sich somit in der Praxis halten, weil es Zentralbankgeld und Zinspolitik gibt, Inflation, Währungsreform oder Finanzkrisen wie 2008 den Wert anpassen und stetiges Wachstum in der Wirtschaft herrscht.
Doch das alles ist nicht mehr garantiert.
- Das Zentralbankgeld macht nur noch einen Bruchteil der (privat geschöpften) Geldmenge aus.
- Die Zentralbanken folgen dem Finanzmarkt statt ihn zu bestimmen.
- Die Inflation ist unbedeutend geworden.
- Große Währungsverbünde (€,$) verhindern politisch den Währungsverfall.
- Der Wert privaten Bankgeldes hängt vom politischen Rettungswillen des Staates ab.
- Das Wachstum der westlichen Wirtschaften stagniert zur Zeit und wird schrumpfen, weil
- die Dritte Welt und hier vor allem Asien die Ausbeutung nicht nur stoppt, sondern Marktanteile erobert und mit anderen Systemen Monopole errichtet, die die Wettbewerbsbedingungen umkehren und etwa die USA zum langfristig tödlichen Mittel des Protektionismus zwingen.
- Umwelt, Klimawandel, Vermüllung, Artensterben, Flüchtlinge, Bildungs- und Gerechtigkeitsdefizite, die in der bisherigen Wirtschaftsstatistik als „unproduktiv“ Ausgaben erscheinen, wird das das private Geldvermögen über Steuern, negative Zinsen oder Investitionszwänge zur Kasse bitten müssen.
Negativzinsen und Verbraucherschutz
Was bedeutet das für die Negativzinsen? Während der Alternativsektor Zinsnahme weiter als Motor der Verschuldungsspirale für Ratenkreditnehmer hier und Dritte Welt-Staaten in Afrika verurteilt, verlangen die Verbraucherverbände einen ehernen Zins für ihre Anleger und Sparer. Negativzinsen seien Enteignung und Wortbruch.
Sie haben beide Recht. Während die Banken sich im Hypothekenkredit für den entgangenen Zinsgewinn bei vorzeitiger Kündigung extreme Vorfälligkeitsentschädigungen zahlen lassen, verweigern sie ihren Sparern den Vorteil fester Zinsen, den diese teilweise sich schon durch jahrelangen Zinsverzicht in der Hochzinsphase verdient haben.
Doch es geht nicht darum, Negativzinsen für verfassungswidrig zu halten und damit tendenziell die Hedgefonds unter Verbraucherschutz zu stellen. Es geht darum, wer die im Geldsystem verteilten Kosten des aktuellen Umbruchs in der Wirtschaft tragen soll: Verbraucher, Arbeitnehmer und Staat. Eigentlich geht es um die großen Geldbesitzer, die in London, New York oder auf den Kaiman Inseln ihr virtuelles Geld verwalten und sich ihre Zinsen in der Form von Dividenden und Kursgewinnen garantieren lassen. Doch von denen erhalten die Banken nichts mehr. Vergessen sollten wir sie aber nicht, die wir entweder gar nicht besteuern oder mit dem halben pauschalierten Steuersatz der Kapitalertragssteuer.
Wenn man das nicht ausblendet hat es aber auch Konsequenzen für den Verbraucherschutz. Spekulative Geldanlagen müssen Verluste ertragen, Sparen muss vor Ausbeutung geschützt werden. Eine nachhaltige Geldpolitik wird den Zins dort einsetzen und zulassen, wo er notwendige Investitionen und Akkumulation gewinnorientiert treibt, ihn dort relativieren, wo der Geldgewinn dem Nutzen für die Allgemeinheit unterzuordnen ist und dort Verluste weitergeben, wo das Geld so benutzt wird, dass es Umwelt und Gesellschaft eher schadet als nützt.
Praktisch heißt das: Sparerschutz ja, solange der Spargedanke zur Gestaltung des zukünftigen privaten Lebens dominiert. Ihm entspricht der Wucherschutz bei denen, die sich das akkumulierte Geld anderer leihen müssen, um mitzuhalten. Zinsgrenzen sind nötig, wo Staat oder gemeinnütziger Sektor in Umwelt und Gesellschaft investieren. DAzu gehört auch die Ankoppelung von Zinssätzen an positive wie negative Wachstumsprozesse. Die Kosten der globalen Veränderung der Wirtschaft dürfen nicht bei den Armen und Schwachen dieser Gesellschaften abgeladen werden, während sich der Rest an dem bedient, was dort ausgepresst wird.#StopWucher ist daher die Kehrseite der Zinsgarantie.