Die Wende für Deutschland ist bis auf die letzten Tage deutlich erkennbar. Im Übrigen gibt es deutliche Anzeichen, dass die Mittelmeeranrainerstaaten noch mit der Pandemie weiter zu kämpfen haben. Die lockout Maßnahmen greifen deutlich in Spanien, nicht jedoch so klar in Italien. Die Lockout skeptischen Nationen wie die Niederlande und das Vereinigte Königkreich kämpfen weiterhin mit der Ausbreitung, die offensichtlich davon abhängt, wie groß das ungeregelte anfängliche Reservoir an Infizierten steigen durfte. Gleiches gilt als für die USA und Brasilien.
Die Schweiz und Österreich folgen Deutschland. Russland folgt zur Zeit dem englischen Trend.
Öffnung der Infektionswege – zu früh?
Aktuell übertreffen sich in einer relativ chaotischen Ordnung die Bundesländer in der Aufhebung des Social Distancing, was einer Öffnung der direkten Infektionswege gleichkommt. Vielleicht ist es richtig, vielleicht ist es zu früh und wir müssen noch einmal drei Monate durch den tränenreichen Weg sozialer Isolation und wirtschaftlichen Stillstandes. Schauen wir nach China, dann hat man dort erfolgreich die zweite Welle verhindert, indem man bei den 80 Mio. Menschen in Hebei die Zahl der Ansteckenden auf weit unter 1000 fiel. Glaubt man den Zahlen über Infizierte, Gestorbene und Gesundete bei Johns Hopkins bzw. dem RKI, dann sind das In Deutschland noch knapp 22.000. Schauen wir uns umgekehrt die Verläufe in die Krise an, so explodierten die Viren oberhalb eine lange bestehenden Grenze von ca. 1000 Infizierten.
Wir können uns damit beruhigen, dass wir ebenso wie in China ja nur bedingt öffnen. Wir haben gelernt, dass Massenveranstaltungen das Festmahl der Viren sind, dass Schlange stehen und Massenverkehr uns gefährden, dass kollektives Arbeiten wie in Schule und Kindergarten dazugehört, dass aber auch nicht alle gleich bedroht sind und dass wir mit test-trace-isolate (Testen, Nachverfolgen, Isolieren) entscheidend ohne lock-down arbeiten könnten. Außerdem besteht Hoffnung auf kollektive Selbstimpfung bei niedriger Ansteckungsdosis, früheres Eingreifen bei Risikogruppen, abmildernde Medikamente. Wir lernen gerade viel zu spät etwas über Dunkelziffern, alternative Ansteckungswege und Immunität nach Gesundung.
Zahlenchaos
Basis für die Entscheidungen sollen die Zahlen der Wissenschaft sein. Deutschland ist hier ein Waisenkind. Ohne Johns Hopkins wüssten wir allenfalls, was vor einer Woche passiert ist. Die Bundesregierung und das RKI bieten uns dazu je nach politischer Lage die verschiedensten Zahlen an.
Kumulierte Infektion
Es begann mit der aufsummierten absoluten Zahl der gemeldeten Infektionsfälle. Diese Zahl sollte und soll wohl immer noch schockieren. Sie liegt am 8.5.2020 bei 169.430 Infektionen (nicht Infizierten!) und bringt Deutschland auf Platz 7 der Weltrangliste, den sie bald an Brasilien abgeben wird. Wofür haben wir diesen Wert, der Bevölkerungszahl, Geographie und Wohndichte außer Acht lässt? Er rechtfertigt die Anforderungen der Medizin, die uns extreme Überkapazitäten in der Intensivmedizin gebracht hat. Auch für Italien und Spanien war nichts übrig außer 4 eingeflogene Kranke. Vor allem aber rechtfertigt die hohe Zahl Hunderte Milliarden Euro Subventionen, Kredite, die nach dem Gießkannenprinzip plötzlich da waren, nachdem wir in den vergangenen 10 Jahren wegen der schwarzen Null für die Armut nichts übrighatten.
Kumulierte Todesfälle
Die aufsummierten absoluten Todesfallzahlen von aktuell 7392 sind eine weitere „Information“. Auch diese Zahlen, die in unsere Sensationspresse passen, wo sie gemeldet werden, wenn sie einem Ereignis wie Mord, Erdrutsch, Gasaustritt, Panik zugeschrieben werden können, bereiten einen Schock. Andererseits vermittelten die anfänglichen Zahlen in der Propaganda, dass das eigene medizinische System weniger Tote zulässt als die USA, Italien, Spanien und Frankreich. Mit einer Quote (4,3 %) wird das dann konterkariert. Wir müssten etwas erfahren. Die Anzahl der Infektionen bestimmt die Anzahl der Toten. Wir müssten etwas über Art und Umfang der Ansteckung ebenso wie Art und Zeitpunkt der medizinischen Versorgung erfahren. Wie viele Tote haben die Chinesen sich mit der Maskenpflicht erspart, die nach Fehlinformation hier zu spät kam.
Wachstumsfaktor R
Plötzlich kam der Faktor R, mit dem eine Wende just zum gewünschten Zeitpunkt begründet werden sollte. R meint G, (Growth Rate = Wachstumsfaktor) Sie liegt auch dem Effektivzins zugrunde. Wenn R unter 1 liegt, dann schrumpft die beschriebene Masse. Dafür muss man allerdings Die kumulierten Infektionszahlen aufgeben. Sie liegen in der Vergangenheit. Der Faktor 1 ist daher das Mindeste (0), um das sie wachsen. Doch R musste politisch schrumpfen. Also nahm man die täglich neuen Infektionsfälle: die Anzahl der Neuinfektionen im Verhältnis zum Vortrag. Das führt dazu, dass bei 6.000 Fällen am Vortag 5999 Fällen am Tag danach Schrumpfung mit R<1 ausweisen.. Bei 101 neuen Fällen wäre es dagegen ein Wachstum, wenn am Vortrag nur 100 Fälle registriert wurden. Wachstum wird daher üblicherweise dort, wo es auf die Zeit ankommt, auf längere Perioden, i.d.R. auf ein Jahr (p.a.) berechnet. Man hätte R als Rendite der Viren berechnen können. Die Menschen hätten gewusst, was ein Einbruch der Rendite bedeutet hätte.
50-Infektionen-Grenze (p.T.)
Mit der Freigabe vieler Infektionswege gibt es jetzt eine neue Zahl, die die Grenze dafür markieren soll, wann regional eingegriffen werden muss. Der Bund bleibt hier Feuerwehr legitimiert durch eine Zahl. Dabei geht es um 50 Neuinfektionen an einem Tag pro 100.000 Einwohnern, die das RKI (nach welchen Kriterien auch immer) diesen Neuinfektionen zuordnet.
Jetzt geht es nicht mehr um Wachstum oder Schrumpfung, sondern um absolute Zahlen, die nun aber in Relation zur davon betroffenen Bevölkerung gesetzt wird. In Hamburg, wo innerhalb der Stadtgrenzen 1,822 Mio Menschen wohnen und wo am 8. Mai 49 Neuinfektionen gemeldet werden, wäre die Grenze erreicht, wenn 18,22 * 50 = 911 neue Fälle auftreten würden. Zählt man die Infektionen nur im Bezirk Hamburg Mitte mit 105.675 Einwohnern, so dürften es gerade einmal die 50 Neuinfizierten sein. Hamburg gibt aber im Gegensatz zu Berlin keine Bezirksinfektionen heraus. Es ist somit gegen die Grenze immun.
Tägliche Neuinfektionen
Sowohl die 50-Infektionen Grenze als auch der Faktor R gehen von täglichen Infektionen aus. Hier zeigt sich aber, dass das Zahlenmaterial unzureichend ist. Es schwankt scheinbar ohne triftigen Grund. Dieser aber ist einfach. Sonntags wird in den Behörden und wohl auch beim RKI nicht gearbeitet. Also melden sie weniger Kranke. Für ein elektronisches Meldesystem, sie es jede Firma mit Außenvertrieb hat, hatten die 1100 MitarbeiterInnen des RKI bisher weder Geld noch Zeit. Jetzt erhalten sie 50 Mio. EUR extra dafür, damit sie nicht weiter bei Johns Hopkins in den USA ihre Daten herunterladen müssen.
Damit diese Datenfehler keiner merkt, nimmt man sowohl bei R als auch bei der Obergrenze aus den Daten der Infektionen in den letzten 7 Tagen den Durchschnittswert, der die Meldedifferenzen ausbügelt. Dadurch verteilen sie die Anzahl der Meldungen gleichmäßig. Bei absteigender Linie bekommt man absteigende Werte, auch wenn der aktuelle Tageswert jeweils am Mittwoch aufsteigend ist. Mit dieser Fälschung fallen die Probleme nicht mehr auf, was bei plötzlichen Schwankungen zum Verhängnis werden kann. Auf jeden Fall dient es nicht der Volksbildung.
Wir haben die Meldungen einmal den Wochentagen zugeordnet. Daraus wird deutlich, dass sich der Corona-Virus scheinbar an der biblischen Einteilung der Woche in Arbeits- und Ruhetage orientiert.
Ansteckende pro 100TSD Einwohner
Jede statistische Zahl ist beliebig. Sie muss einem klaren Ziel entsprechen. Entsprechend können die krudesten Theorien und Ideologien Statistiken produzieren, die ihnen Recht geben. Eine statistische Wahrheit gibt es nicht. Das lernt der Soziologiestudent im ersten Semester, wenn er eine positive Korrelation zwischen der Anzahl von Störchen, die über ein Dorf fliegen, mit der Anzahl der Neugeburten in diesem Dorf herstellt und begriffsstutzig meint, er habe beweisen, dass die Babys von den Störchen gebracht werden. Oft versteckt sich hinter Statistiken der Wille, unlogische Beziehungen scheinwissenschaftlich zu begründen und politisch hoffähig zu machen..
Daher ist die Grundfrage: was wollen wir über die Pandemie wissen.
Kumulierte Infektion | Kumulierte Todesfälle | Wachstumsfaktor R | Infektionsgrenze p.100tsd | Tägliche Infektionen | Aktive Infektion p..100Tsd | |
Wie ist mein Ansteckungsrisiko? | — | — | — | ++- | +– | +++ |
Wird es besser oder schlechter? | — | +– | +– | — | ++- | +++ |
Wie wird sich die Pandemie entwickeln? | –+ | –+ | — | — | — | +++ |
Was können wir international lernen? | — | — | — | — | —- | +++ |
Fragen zur Pandemietauglichkeit des Robert-Koch-Instituts
Das RKI wird auch international gelobt. Vor allem ist es die bloße Existenz eines solchen Instituts mit 1100 Beschäftigten, die international Neid hervorruft und für die gute medizinische Versorgung verantwortlich gemacht wird. Sachlichkeit, wissenschaftliche Zurückhaltung und die Tendenz, ohne politische Beschönigung die Bedeutung und Gefahren der Krise der Öffentlichkeit immer wieder deutlich zu machen. Es hat auch etwas überraschend das Problem der Krise in der Verfügbarkeit von medizinischer Hilfe gesehen und damit deren Streckung zum eigentlichen Ziel erhoben, was gerade Deutschland anders als Italien, England, Spanien und Frankreich sehr zu Gute kam.
Was sich verbessern ließe
Doch es gibt auch Probleme. Das RKI hat aus den chinesischen Erfahrungen wohl recht bewusst keine Schlüsse gezogen. Es hat anfangs die passiven Masken für unnütz erklärt und dabei verhindert, dass diese Masken, für deren Verfügbarkeit es hätte gesorgt haben müssen, beschleunigt beschafft und die eigenen Versäumnisse aufgedeckt wurden.
Es hat die Entwicklung der Krise übertrieben und mit den Schreckensszenarien viele einfache Lösungen übergangen. Es hat keine Teams aus Lungenfachärzten, Virologen und Statistikern gebildet, sondern vor allem das Knowhow von Virologen genützt. Das hat eine Fixierung auf Beatmungsgeräte gebracht, wo inzwischen ein Überangebot vorhanden ist. Unverständlich ist, dass Deutschland, das nach WHO über 2/3 weltweiter Testkapazitäten verfügte, sehr schleppend dies umgesetzt hat. In der Frage der Dunkelziffer hat das RKI keine Klarheit gebracht, obwohl mit wenigen Stichproben dies möglich gewesen wäre. Auch die Daten für eine Wende waren vom RKI nicht vorbereitet.
Bedauerlicherweise fand kein Bundesausgleich für betroffene Länder wie NRW, Bayern und Baden-Württemberg statt, bei dem trotz Überangebot Mängel suggeriert wurden, die mit italienischen Filmen unterlegt wurden. Es herrschte hier weitgehend Angst statt Sachlichkeit.
Vergleich zur WHO
Vergleicht man das RKI mit der WHO, die mit relativ weit geringeren Mitteln und großen Widerständen zu tun hat. Die WHO ging von Anfang an auf die Epidemie in China ein und veröffentlichte eine gemeinsame Untersuchung (26.2.2020). Sie gab den genetischen Code des Virus an ein deutsches Team weiter. Sie beauftrage Michael J. Ryan, einem der weltweit mit Epidemien wie SARS und Ebola in allen Erdteilen vertrauten Spezialisten mit der Leitung des WHO-Teams. Anders als RKI hat die WHO vor allem darin investiert, aufzuklären und die vielen Verschwörungstheorien und Fehlentwicklungen zu benennen.
Das RKI wird dagegen nach wie vor von einem Tiermediziner und einem Mikrobiologen geleitet, die die Öffentlichkeitsfunktion des RKI bestimmen und jetzt die Pressekonferenzen ganz abgesagt haben. Das viel Aufklärungsbedarf besteht zeigt der Podcast von Drosten im NDR. Der Präsident Lothar Wieler ist bis 2015 Univ.-Prof. für Mikrobiologie und Tierseuchenlehre an der FU gewesen. Sein Stellvertreter Schaad war Referent im Gesundheitsministerium und hat sich in medizinischer Mikrobiologie und Virologie habilitiert. Sind sie die kompetenten Ansprechpartner nicht nur für Viren, sondern auch für Menschen, bei denen die Viren vor allem bei Älteren Lungenentzündung, Embolie u.Ä. m. ausgelöst haben? Die WHO schaffte es, ihre Fachleute entsprechend einzusetzen. Im wissenschaftlichen Beirat des RKI dominieren Molekularbiologen. Die in den Medien präsenten Namen von Virologen und Medizinern sucht man in der Beiratsliste vergeblich.
Es wäre wohl an der Zeit, am RKI eine Taskforce mit ausgewiesenen Kennern der SARS Epidemien unter Einbeziehung des Auslands zu berufen. Deutschland könnte viel lernen.