Warum solche Unterschiede?
Im Landkreis Plön haben wir innerhalb einer Woche auf 100.000 Bewohner 26 Ansteckungen, im Landkreis Greiz sind es 579, das 22fache. Wenn wir den Grund wüssten, könnten wir Plön zum Vorbild nehmen. Dass es nicht nur der Stadt-Land-Unterschied ist merken wir an Kaiserslautern (42) und Hof (325). Würden wir noch das Ausland einbeziehen, wir stünden ratlos vor dem letzten Tabellenplatz der Volksrepublik China, die bisher trotz ausreichend eigenem Impfstoff nur 0,2% seiner Bevölkerung geimpft hat, gleichwohl aber seit Monaten Null-Inzidenz und Tote meldet. Warum?
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Pandemie zu besiegen:
- Medizinisch: man bekämpft den Virus (Impfen, heilen)
- Sozial: man bekämpft seine Ausbreitung (AHA)
Medizin ist manchmal bitter
Die erste Alternative passt zum bürgerlichen Weltbild. Man kann die Heilung den Spezialisten überlassen, die Schuld dem Mangel an Impfdosen geben, von Wundermitteln faseln, bestehende wirtschaftliche und politische Macht über Geld (USA), Ausfuhrverbote (EU) und Kartellvereinbarungen (UK) für Vorteile beim Zugang zur Medizin nutzen und legitimieren. Der einzelne vermeidet die Beschwerlichkeiten der Sozialität. Er oder sie können auf ihr „Grundrecht“, andere anzustecken, pochen. Am Ende der Kur sind alle virusfrei. Keiner musste sich bücken. Der Entdecker bekommt den Nobelpreis und die Mediziner die Anerkennung. Die Impfkommissionen in Berlin und Brüssel ersetzen die Hygieniker. Sie verteidigen AstraSeneca gegen die Statistik, die nachweist, dass die Todesgefahr einer 25jährigen Frau durch Corona geringer ist als durch die Präventivspritze. Wie dumm muss das Publikum sein, wenn man ihnen vermitteln kann, die Alternative zu AstraSeneca sei die Impflosigkeit, weil man Sputnik V und Sinopharm aus wenig medizinischen Gründen ablehnt bzw. verzögert, bis nichts mehr zu kaufen ist.
Unheil kommt von den Unheiligen. Wer Zahlen und Protokolle fälscht, Verträge manipuliert oder ignoriert, Studien unterlässt und die Nebenwirkungsstatistik in den Herkunftsländern England und Schweden auf unstandardisierte gelbe Zettel schreiben lässt, der darf weiter verkaufen.
Unsere Hof-Epidemiologen sehen im Impfen nicht nur ein Mittel, sondern das Mittel schlechthin. Sie trauen der Bevölkerung nicht zu, selber kollektiv zu Denken und zu Handeln. Den Eliten reicht es, wenn nur die Deppen unter ihnen (Johnson, Bolsonaro, Trump) dem Virus nicht entkommen.
Es hilft aber nichts. Wir brauchen alle. Die resistenten Mutanten kommen. Wissenschaft und Kanzleramt glauben selbst nicht an das Impfwunder. Das Virus rüstet auf. Größere Konzentration bedeutet mehr Viren, bedeutet mehr Mutationen, mehr Resistenz gegenüber bestehenden Antikörpern. Die Impfentwicklung muss wieder von vorne anfangen, das Virus hat dann vorläufig gewonnen. Wie lange es dauern kann sehen wir am HIV-Virus, der immer noch seinen Impfstoff nicht gefunden hat. Er wird sozial bekämpft mit Test und Kondom. Bei Polio und Pocken half der Zusammenklang von AHA und Serum.
Soziales Vorgehen kann erfolgreich sein
Soziale Abwehr ist nachhaltiger. Der Virus ist 5-10 Tage lang ansteckend. Gelingt es wie in Wuhan für mehrere Wochen seine Übertragung zu stoppen, dann ist die Pandemie ausgetrocknet wie der Dominoeffekt, wenn ein Stein für die Übersetzung in den nächsten Ring fehlt.
China hat es vorgemacht. Sie können mangels Bedarf im eigenen Lande ihren Impfstoff in die Welt liefern (laut SZ: „um Einfluss zu gewinnen“). Sie können den Lockdown beenden, weil er effektiv war (laut SZ: „Menschenrechte verletzen“). Ein autoritäres Regime darf nicht erfolgreich sein, auch wenn der auf ein Jahr gewählte römische Diktator eine Errungenschaft effektiver Kriegführung und Massenregulierung war und uns die Fabrik gelehrt hat, dass Direktionsrechte ihren Nutzen haben auch wenn nicht jeder Pro-Democracy-Aktivist der Demokratie nützt.
Wir lieben die Freiheit der Super-Spreader. Trump’s USA ist Vorbild. Das schwedische Anti-AHA mit den aktuell weltweit zweithöchsten Ansteckungen macht die Bemühungen im Rest der Welt zunichte. Die Süddeutsche Zeitung erinnert uns gerne unter der Überschrift „Sars-CoV-2 Von Wuhan in die Welt“ an die Verschwörungstheorien des Donald Trump, die den Labor“unfall“ und damit die Entstehung des Bösen für seine Verbreitung verantwortlich machen. Hat man erst einmal die Hexe ideologisch dingfest gemacht, dann kann man sie mit dem Bösen verbrennen.
Dabei sind die besten Freunde der Viren Tourismus und Klein-Familie. Beide einst durch Gastfreundschaft, Respekt und Mehrgenerationenstruktur geprägt, kennen heute keine Regeln mehr. Die Zielländer der Reisenden (Italien, Spanien, Brasilien, USA) sind die Labore, in denen neue Varianten ausgebrütet wurden, zusammengepferchte Familien ergeben dann die Brutstätten.
Lockdown: Tod den Gemeinschaften
Der Lockdown schafft sich selber ab. Pandemien können sich nur entwickeln, wo Menschen örtlich aufeinandertreffen. Der Einsiedler kann sich nicht anstecken. Doch der Fortschritt der Menschheit liegt in der Globalisierung bzw. Vergesellschaftung aller Lebensbereiche. Immer mehr Menschen haben miteinander zu tun, ohne örtlich oder zeitlich aufeinander hocken zu dürfen oder zu müssen. Das schafft unbegrenzte Möglichkeiten der Arbeitsteilung. Dabei ist es vorteilhaft, wenn sich die Menschen von Familie, Haus, Dorf (Mobilität), Staat und Volk (Migration), Arbeitsplatz (Home office) und gemeinsamer Überzeugung (Religion, Partei, Gewerkschaft) lösen oder „emanzipieren“. Im Home office ist jeder allein und doch sind alle zur Senkung von Kosten bei Transport und Arbeitsplatz virtuell verbunden.
Wäre Produktivität unser alleiniges Ziel, Pandemien hätten keine Chance. Die Käfighaltung der Arbeitenden ist das beste Mittel, um zu verhindern, dass ansteckungsfähige Körper sich noch treffen könnten. Doch die Rechnung ist ohne den Gast gemacht. Individualismus ist nur ein Denkgebäude, eine Heuristik. (dazu Reifner, Das Geld I S. 15 ff; II, S.20 ff.) Sie hilft uns, mit dem Paradox zu leben, dass es mit dem Egoismus des einzelnen allen bessergeht und das Eigentum die Koordination übernimmt. Da die feudalen Gemeinschaften auf Hierarchie, Status, Feindbildern, Volk, Unterdrückung und Krieg aufbauten, ist deren Abschaffung durch Vergesellschaftung in der Tat auch die Wiege der Demokratie. Pro-Democracy, Frühling, Befreiung heißt es auch dann, wenn das Regieren auf die Straße gezerrt wird.
Doch dies hat eine dunkle Seite: wir verlieren uns. Allen geht es gut, dem einzelnen geht es schlecht. Wir vermissen den großen Gegenpart zur Produktivität und zum Individualismus: die Liebe und Geborgenheit in der Gemeinschaft, die wir aus der Entstehung der Kinder entwickelt haben. Sie ist die Kultur, die uns vom Tier unterscheidet. Sie drängt uns aneinander, verlangt den Nächsten als den zu begreifen, der wirklich am nächsten steht. AHA in der Liebe ist ein Kuss mit Maske. Er ersetzt nicht die Ablenkungen von der Isolation wie Geisterspiele, Internetkonzerte. Spielsalons, Kneipen, Restaurant, Vereine, Center, Parks und Plätze zum Chillen sind No-Go-Areas im Krieg gegen Windmühlenräder und Phantome.
Der Lockdown zerlegt. Die Leute sind auf sich selbst zurückgeworfen, eingesperrt in Familie und Lebensmittelhandel. Doch je effektiver der Lockdown, desto größer die Fliehkräfte, bei den Jungen mehr als bei den Alten. „Opa statt Spielplatz“, Seniorenresidenzen auf Fußballplätzen, Impfprioritäten für arbeitslose Rentner mit vollem Lohnausgleich. Das gilt auch national: 15 Jahre alt sind die Menschen im Niger, 45 in Deutschland. Die Impfquoten folgen dem Trend. Eigentum berechtigt.
Lockup: Die Geburtswehen neuer Gemeinschaften
Wir brauchen den geregelten Kontakt in neu organisierten Gemeinschaften, die mehr sind als Massenveranstaltungen zum Abhängen. Sie sollen uns die Sehnsucht nach Zusammensein erfüllen, ohne das es befohlen werden muss. Wir brauchen dazu keine neuen Feindbilder im Osten, die angebliche Bedrohung als Grund für Unterwerfung. Solche neuen Gemeinschaften könnten auf den individualistischen Friedhöfen des Lockdowns entstehen. Sie entstehen, wo gesellschaftliche Interessen uns persönlich zusammenführen und wir begreifen, dass Solidarität, Empathie mit den jeweils Schwächeren das Gefühl geben, das wir entbehren.
Der erste Angriff der Seuche hat uns Kerzen in die Fenster stellen lassen, Einkaufsdienste, Balkonkonzerte und Essen an der Tür gefördert. Es waren Lockups in eine andere Welt. Bei der dritten Welle hat die Verfügungsgewalt über das Eigentum am Impfstoff und das Ersatzeinkommen aus der Subvention den Weg zurück genommen. In der individualistischen Gesellschaft handelt der einzelne, weil er seinen Vorteil für sich allein haben will, in der feudalen Gemeinschaft handelt er einzelne, wie es ihm befohlen wird, in der solidarischen Gesellschaft, weil er die Kette erkennt, in der das schwächste Glied bestimmt, mit welchen Einzelinteressen man sie auf Dauer belasten kann.
Es müssen weltweit neue Regeln für das Zusammensein erforscht werden, die den Menschen in diesen Gemeinschaften die Verantwortung dafür belassen, dass sie keinen anderen anstecken und die Schwachen schützen. Klimawandel, Naturkatastrophen und Pandemie lassen sich nicht mehr be“herrschen“. Sie lassen sich aber beeinflussen. Die Soziologie wäre hier die notwendige Ergänzung zu Statistik, Medizin und Pharmakologie. Doch dazu muss sie Menschen und nicht Viren erforschen.