Auch wenn Deutschland aus der Fußballeuropameisterschaft ausgeschieden ist bekommt der Gedanke eines Europas, das im friedlichen Wettstreit miteinander um die Gunst des Publikums buhlt, Impulse. Die „europäische Idee“ könnte gewinnen. Europa ist ein hoher Wert, die EU ist es eher nicht. Doch bei ihr liegen bisher Macht und Markenrechte.
Der Unterschied: EU und UEFA
Doch die UEFA vermittelt ein anderes Europabild. Sie lässt 55 Fußballnationen zu. Davon sind nur 27 in der EU. Allerdings schicken San Marino, Andorra, Liechtenstein und die Faröer Inseln eigene Mannschaften neben ihren Gastländern Italien, Schweiz, Spanien und Dänemark. Das Vereinigte Königreich kommt gleich mit vier Nationen: Nordirland, Schottland, Wales und England, während Spaniens Katalonien und das Baskenland auch im Fußball unter die Flagge Kastiliens gezwungen bleiben und Belgien (wie die Schweiz) auf der Privileg von zwei (Valonie, Flandern) Mannschaften verzichten muss.
Dafür aber repräsentiert die UEFA 746 Mio potentielle FußballerInnen, die EU nur 447. Bei der Fläche belegt das Europa der EU 4,2 Mio qkm, während Resteuropa mit 6,3 Mio qkm deutlich größer ist. Der Unterschied hat eine seiner Wurzeln darin, dass die beiden Brückenländer nach Asien: Russland und die Türkei, als die größten und bevölkerungsreichsten Länder in Europa nur im Fußball nicht aber in der Politik dazu gehören.
Ost und West
Die EU-Ostgrenze liegt mitten in Europa. Russland war Feind und Schatzgrube. Es musste sich gegen die kolonialen Ambitionen Frankreichs (Napoleon), Schwedens (Gustav), Österreichs und Deutschlands (Franz-Josef, Wilhelm, Hitler) wehren. Die EU erbt diese Grenze. In ihr sind die ehemals Weltbeherrschenden Kolonialmächte Frankreich, England, Spanien, Portugal, die Niederlande, Belgien, Italien und Deutschland vereint. Jetzt will sie als Wertegemeinschaft dem Osten Vorbild sein. Die Werte umfassen „Eigentum, Gleichheit und Nichtdiskriminierung“ . Kollektive Rechte gibt es nicht.
Die Herstellung eines Marktes durch Befreiung der Individuen von ihren nationalen Regeln ersetzt den Wettstreit der Nationen im Fußball. Wie viel Prozent der 55.000 Angestellten in Brüssel für Kultur und wie viel für Wirtschaft in der EU arbeiten, zeigt die Schwerpunkte. „Sport, Kultur, Bildung und Jugend“ soll allein Generaldirektion „EAC“ vertreten. Sie konkurriert mit 26 zumeist wirtschaftlich ausgerichteten anderen Direktionen, wobei die GD NEAR eher die Abschottung nach außen verwaltet als den internen Zusammenhalt zu pflegen. Auch EAC sieht ihre Aufgabe vor allem darin, Innovationen, Ausbildung und Forschung zugunsten der wirtschaftlichen Entwicklung der EU zu subventionieren. Dass die Nationen im Osten, denen über Jahrhunderte die kulturelle und nationale Autonomie verwehrt oder abgesprochen wurde, sich durch das Werte-Europa bedroht fühlen, wird nur ermessen können, wer Europa auch nach dem Fall der Mauer in Gut und Böse einteilt und übersieht, dass es seit dem Sturm Ost-Roms durch die Kreuzritter im Jahre 1204 immer um Werte ging, die sie bedrohten. Es gibt eben auch böse Werte.
Nation und Individuum
Die Europameisterschaft ist paradox. Die EU zerlegt die Nationen mit ihren individuellen Werten in Individuen und dabei 300 Mio., die überwiegend nicht einmal als AufnahmekandidatInnen akzeptiert werden. Die UEFA hat alle und das Potenzial, die Brücke zur weit größere Hälfte des vom Meer eingekreisten Eurasiens zu schlagen. Sie verfügt über gemeinsame Regeln und dem Respekt selbst vor den Mannschaften der Kleinsten und kulturell divergierenden Staaten. Sie stellt sogar den kulturellen Willen zur Eigenständigkeit über die Diplomatie und lässt Schottland gegen England antreten.
Die Identifikation mit der Nation ist hier ein eigener Wert.
Kommerzialisierung und Kultur
Sie zeigt aber auch die Schwachstellen. Eine gerade noch abgewehrte Super-Liga nach dem Vorbild der National Football Ligue der USA sollte den Wettbewerb der Nationalmannschaften durch die Konkurrenz der kaufkräftigsten Vereine ersetzen. Als Individuen sind Mannschaften käuflich. Die meisten Spieler kleinerer Länder spielen sonst nicht im eigenen Land, sondern in den großen Vier, waren aber trotzdem gefeierte Repräsentanten ihrer Nation.
Kollektive Werte
Der Fußball eint Europa. Wer Europa will sollte ihn und die Bedrohung durch die Kommerzialisierung genau studieren. Es ist ein eigener Wert, dass Russland und die Ukraine sich hier respektieren und mitspielen. Einzelner und Nation sind keine Gegensätze auch wenn sie sich gegenseitig begrenzen und kreative Lösungen brauchen. Hass, Ablehnung, Ausschluss und Boykott, die die EU intern gezähmt hat, sollten nicht im Außenverhältnis neue Nahrung finden.
Kultur- und Wirtschafts-Europa
Dass der Sport zur nationalen Kultur gehört, aus seiner olympischen Idee heraus wesentlich Kollektivideen verkörpert und auf diesen Weise Respekt gegen Diskriminierung verlangt sehen wir wohltuend in der UEFA und FIFA Werbung unserer bekanntesten Athleten und im Kniefall von Wembley vor den Spielen. Dies sind Grundwerte, die man in Brüssel studieren sollte, wo das Europa-Parlament sich allmählich in ein Weltgericht der richtigen Werte verwandelt und die Kommission in diese Richtung drängt. Genau betrachtet dominiert weiter das wirtschaftliche Interesse.
Das Europa der EU ist die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der Gründerzeit geblieben. Bei ihr sind weiter die Wirtschaftsinteressen der Stärksten zusammengeschlossen. Man hat sich trotz einer zu Recht gescheiterten Verfassungsreform über irreführende Namensgebung wie die Europäische Gemeinschaft (EG) in die Bezeichnung Europäische Union (EU) hineingemogelt und mit der Unionsbürgerschaft (Art. 20 AEUV) eine eigene Nation vorgetäuscht. Nationen werden nach Überwindung ihrer gewaltsamen Gründung durch ihre Kultur bestimmt. In der UN-Charta nimmt die Präambel darauf Bezug: „Wir, die Völker der vereinten Nationen – fest entschlossen“). Art.1 fordert den gegenseitigen Respekt (Art.1 (2): „freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen“. Nation bildet sich anders als der Faschismus lehrte, nicht aus der Identifikation ihrer Feinde (Carl Schmitt), sondern aus der Kultur ihrer eigenen Völker.
Das können diejenigen, die Europa geeint und friedlich bewahren wollen, vom Fußball lernen. Beweisen wird sich dies an der Behandlung Russlands und der Türkei.
Europarat und europäischer Rat
Die EU hat mit ihrem „europäischen Rat“ als oberstem EU-Organ Verwirrung gestiftet. Seit 1949 gibt es den Europarat. Er ist eine Institution mit weit größerem kulturellem Aufgabenkreis und hätte von der Mitgliedschaft die Fußballeuropameisterschaft austragen können. Die Gründer 1949 bestätigten „ihre unerschütterliche Verbundenheit mit den geistigen und sittlichen Werten, die das gemeinsame Erbe ihrer Völker und von jeher die Quelle für Freiheit der Einzelperson, politische Freiheit und Herrschaft des Rechts sind, jene Prinzipien, welche die Grundlage jeder wahren Demokratie bilden;
Er umfasst mit Ausnahme Weißrusslands alle europäischen Völker. Aber auch hier begann 2014 die Idee einer Wertegemeinschaft zu wuchern. Man entzog Russland im Krimkonflikt das Stimmrecht und beendete damit die Diskussion, die der Europarat gerade ermöglichen soll. Nun soll Russland wieder zugelassen werden. Europarat darf keine zweite EU werden. Er kann das Fundament abgeben für ein janusköpfiges Europa mit Wirtschaft und Politik. Statt mit der Werteunion wie vor allem im Parlament gefordert eine EU-Armee aufzubauen sollte der Europarat ausgebaut und sichtbarer gemacht werden. Der Verweis im EU-Vertrag auf Zusammenarbeit im Bereich der Kultur reicht nicht.
Das Europa der Völker
Der Europarat sollte sich deutlicher zu Wort melden und die Schirmherrschaft der nächsten Europameisterschaften übernehmen. Die Olympischen Spiele waren schon einmal historisch ein sehr handfester Schritt in eine Welt, in der der Frieden durch Wettbewerb gesichert wurde statt den Krieg durch Konkurrenz zu befördern.
Polen, Ungarn und England sind keine Auslaufmodelle zu Europa. Das wirtschaftliche Fundament der EU wird in einer radikal veränderten Weltwirtschaft nicht reichen, um das Gebilde aufrecht zu erhalten. Es wird innerhalb und zwischen den Staaten in dem Maße auseinanderbrechen, wie der Wohlstand nicht mehr so wächst, dass alle davon profitieren. Die Menschen suchen eine kulturelle Identität. Sie wähnen sie bedroht von der Migration. Tatsächlich ist es die Mobilität der Arbeitskräfte sowie des Kapitals, die ihre Grundlage der Eigenbestimmung bedroht. Die USA hatten bei ihrer Staatenvereinigung keine Wahl. Ihnen fehlten die Völker. Daher bleibt ihnen nur der Aufbau eines eigenen Volkes. Doch ob das ohne Bürgerkrieg gelingt ist fraglich. Vorbild für die EU können sie nicht sein.