Das Berliner Experiment
Die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat mit einem erfolgreichen Volksentscheid den Senat aufgefordert „Maßnahmen zu ergreifen, die zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 des Grundgesetzes erforderlich sind. Dies soll für Wohnimmobilien in Berlin sowie die Grundstücke, auf denen sie errichtet sind, gelten und findet Anwendung, sofern Wohnungen durch einen Eigentümer in einem Umfang gehalten werden, der als ‚vergesellschaftungsreif‘ definiert wird.“
Die Wohnungsfrage ist der erste und größte Punkt des rot-rot-grünen Koalitionsvertrages. Doch er lässt es nicht damit bewenden. Enteignung, Verstaatlichung, Vergesellschaftung, Vergemeinschaftung, Zwangsvermietung, Mietpreisbremse, Mieterschutz, Wohnungserwerb, Mieteigentum, Neubau und Sanierung werden teilweise synonym teilweise kumulativ gefordert. Was aber ist gemeint?
Sollen die 400.000 Wohnungen der Vonovia nach Übernahme der Deutsche Wohnen enteignet, verstaatlicht, vergesellschaftet oder in Genossenschaften vergemeinschaftet werden, will man ihre Gewinne beschneiden, indem man Mietpreisbremsen, Vermietungszwang und Mieterschutz verordnet, oder soll das Wohnungsangebot bis 2030 durch 400.000 versprochene Neubauten mit Subventionen oder auf Grund staatlicher Ersatzvornahme erhöht werden, um dem Markt die Mietpreissenkung anzuvertrauen? Eine Kommission soll es richten. Die Koalition „setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein.“
Das ist paradigmatisch für ganz Deutschland, wenn sich die Expert:innen nicht in Sprachverwirrung zerreiben oder Formelkompromisse eingehen, die eher der Bauindustrie, den Eigenheimbesitzern oder den Wohnungsunternehmen als den Wohnungssuchenden dienen. Daher ein paar Fragen zum Nachdenken.
Was fehlt?
Zu wenig Wohnungen oder zu wenig Geld?
Als Friedrich Engels („Zur Wohnungsfrage“ 1873 ) Pierre Josef Proudhon („Was ist Eigentum?“ 1840) zum Spießer erklärte, weil der jedem Mieter ein Häuschen zuteilen wollte, fehlte der Arbeiterklasse Wohnraum in der Nähe ihrer industriellen Arbeitsplätze in den Städten. Unter Kriegsbedingungen und im realen Sozialismus blieb dieser Mangel so sichtbar, dass jeder Staat wollte er Aufstände verhindern vor allem für die zurückkehrenden Soldaten Wohnungen anbieten musste.
Heute ist auf dem Papier genug Wohnraum da, aber nur deshalb, weil das unbefriedigte Bedürfnis nach einem Dach über dem Kopf nur dort einen Wohnraummangel begründet, wo es als kaufkräftige Nachfrage keine passende Wohnung findet. Das soziale Problem ist daher ein anderes. Es fehlt für das untere Drittel bezahlbarer Wohnraum. „Hütten“ auf dem Lande, hätte Georg Büchner 1834 gesagt, gibt es ebenso genug wie „Paläste“ in der Stadt. Mieter ohne Geld zählen nicht als Nachfrager. 400.000 neuen Wohnungen wird dies ohne zahlungskräftige Nachfrage auch nicht anders ergehen. Engels hielt daher die Wohnungsfrage im Kapitalismus für unlösbar. Er ordnete sie nur einem der „zahllosen kleineren, sekundären Übelstände“ des Kapitalismus zu, deren Lösung mit der Revolution erfolgen müsse.
Die Folgen der Weltkriege widerlegten ihn. Der absolute Wohnungsmangel durch Zerstörung wurde mit Mieterschutzgesetzen, Mieteinigungsämtern, durch Wohnungstausch, Unkündbarkeit, Unter- und Nachvermietungsrecht, Mietendeckel, Zwangseinweisung, Reparaturpflichten und Leerstandsverboten im Mieterschutzgesetz 1923 (anders als in dem auch als Mieterschutzgesetz angepriesenen Mietrechtsänderungsgesetz 2021) so lange eingedämmt, bis die staatlich verordneten Verluste Neu- wie Erhaltungsinvestitionen zum Erliegen brachten. Zuletzt wurde das Gesetz in Hamburg und Berlin abgeschafft.
Miet- oder Eigentumswohnungen?
Wohnungen braucht jeder in der Gesellschaft und es scheint so, als ob sich dies für die obere Hälfte der Gesellschaft über den Markt regeln lässt. Ob als Einzel- oder Doppelhaus oder durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, die gesellschaftliche Antwort auf den Markt ist die Baufinanzierung: 10% der Haushalte erwerben schuldenfrei, 40% finanzieren bei den Banken. Für die kreditunwürdige untere Hälfte bleibt die Miete. Das ist auch gut so. Sie belastet das Monatseinkommen weniger als die Finanzierung, bei denen die Raten durch den Tilgungszwang erhöht sind und statt des Kredittypus der Spartypus gefragt ist. Das Alles oder Nichts-Prinzip des historisch überholten Sacheigentums schafft ausweglose Situationen für die, die nicht sparen können. Die Finanzkrise in den USA hat dies noch einmal drastisch offenbart. Die Versuche, mit Wohngeld, Bausparprämien, Zinssubventionen, Verzicht auf erstrangige Sicherheiten sowie Eigenheim- und Genossenschaftszulage bei uns Barrieren auch für das untere Drittel abzubauen sind allesamt gescheitert. Der Abstand zum zweiten Drittel hat sich nur noch vergrößert und eine breite Solidarität zwischen Schwellenhaushalten und Mietern verhindert. Zudem nutzen die Banken mit wucherverdächtigen Zinseszinsvereinbarungen, Vorfälligkeitsentschädigungen, Schätzgebühren, Umschuldungen und Spar/Kreditkombinationen die Einkommensschwäche dieser Kunden aus. (vgl. Reifner u.a., Risiko Baufinanzierung 1996) Obwohl faktisch Vermieter sind sie dem Mieterschutz nicht unterworfen. Dabei könnten Finanzierung und Wohneigentum auch in der unteren Hälfte der Bevölkerung mehr Sicherheit, Eigenverantwortung und Vermögensbildung ermöglichen. Allein dies geht nicht individuell, sondern nur in kollektiven Formen. (s.u.) Es fehlt der Kapitalzufluss und die Kapitalakkumulation für neue Mietwohnungen in großen Anlagen, die allein die Grundstückspreise tragbar gestalten könnten. Die kollektive Zusammenfassung von auch kleinen Mietervermögen könnten hier in einem Mieteigentumsmarkt die notwendige Nachfrage schaffen.
Wohnungen oder Behausung?
Wir brauchen keine Behausungen, sondern bezahlbare „Wohnungen“. Stattdessen verweist das Gesetz in neoliberaler Manier auf die „vereinbarte Beschaffenheit“ (§§535 u. 536 BGB) Da der einkommensschwache Mieter beim Vertragsschluss nichts zu sagen hat, bestimmt der Vermieter, was als Wohnung vermietet ist. Doch der Staat redet mit. Verstreut über Sozialhilfe, Subventionsrecht, Bauordnungen und Richterecht hat sich hier einiges an Definitionen angesammelt.
Bei den Eigentumswohnungen ist der Staat realistischer. Beim Kauf einer Wohnung erkennt das Gesetz da, wo keine freie Vereinbarung möglich ist, eine Wohnung erst dann als fehlerfrei an, „wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.“ (§434 BGB) Das sollte auch im Mietrecht gelten, wo die allgemeine Definition bisher den Gerichten überlassen bleibt. (BVerfG 28.01.1992 – 1 BvR 1054/91) Wohnraumförderungs- und Wohnungsbindungsgesetz könnten auch im Zivilrecht Vorbilder sein. §1 Abs.2 WoFG beschreibt die Bedürfnisse und den Wohnungsmangel wie folgt:
„Geringe(s) Einkommen sowie Familien und andere Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende, Schwangere, ältere Menschen, behinderte Menschen, Wohnungslose und sonstige hilfebedürftige Personen …, die unter Berücksichtigung ihres Einkommens und der Eigenheimzulage die Belastungen des Baus oder Erwerbs von Wohnraum ohne soziale Wohnraumförderung nicht tragen können.“
Bauordnung, Sozial-, Polizei- und Melderecht haben eigene Definitionen einer Wohnung. Sie verlangen i.d.R. Abgeschlossenheit, eigenen Zugang, Küche und Bad. Doch auch eine mit 12 Migranten belegte „Wohnung“ dürfte nicht in den Statistiken zählen. Der Mangel bei den Ärmsten ist daher statistisch gesehen falsch dargestellt. Für den Mieter wird eine Wohnung erst dann zu seiner Wohnung, wenn Belegenheit, Größe, Arbeitsplatznähe und Infrastruktur, Behinderten-, Alters- und Kindergerechtigkeit stimmen. Zwischen Behausung und Wohnung, zwischen Hütte und Palast steht das Geld als Angebotspreis und als kaufkräftige Nachfrage. Wohnungspolitik betrifft das Angebot.
Was hilft?
Markt oder Staat?
Die Frage ist falsch. Kommunisten, Faschisten, Monarchisten und Anarchisten haben bei aller Ablehnung von Staat oder Markt weder auf den Markt mit seinem Geldtausch und Wettbewerb noch auf staatliche Einflussnahme bei Wohnraumsicherung und Verteilung verzichtet. Dafür sorgt schon das Geld. (Reifner, Das Geld Bd.1 2017 S. 91 ff) Es geht nicht um reale Trennungen, sondern um unterschiedliche Betrachtungsweisen („Heuristiken“) wirtschaftlicher Prozesse. Der eine Aspekt ordnet sich jeweils den anderen unter. Das Wohnen bleibt marktwirtschaftlich, auch wenn der Staat Eigentümer wird. Eine eingetragene Genossenschaft hat Eigentum an ihren Wohnungen und nimmt damit wenn auch beschränkt am Mietwohnungsmarkt nicht aber am Grundstücksmarkt teil. Umgekehrt zeigt der Mietwohnungsmarkt, dass er bei Abschaffung allgemeiner und damit wettbewerbsneutraler staatlicher Vorgaben für Bau, Qualität, Belegung, Räumung, Kredit- und Mieterschutz die gesellschaftliche Versorgung verfehlt. Favelas (Brasilien), Townships (Südafrika), Barrios (Mexiko), Ghettos und Slums (USA) zeigen, dass ein staatenloser Wohnungsmarkt de facto in Obdachlosensiedlungen mündet.
Gewinnerzielung oder Kostensenkung?
Die Berliner Landeskoalition sieht zu Recht in der Gewinnerzielung einen Fehler, den gemeinnützige Wirtschaft so nicht habe. Wirtschaften bedeutet effizientere Kooperation auf erhöhter Stufenleiter zu erreichen. Kostensenkung (Staat, Genossenschaft) und Gewinnerzielung (private Investoren) sind nur zwei Seiten dieser Medaille.
Doch im Kapitalismus unterscheiden sich Gewinn und Kostensenkung nicht nur in der Effizienz, sondern vor allem auch in der Auswirkung auf die Nutzer. Kostensenkung kann die Nutzung billiger machen und zur Verbesserung der Wohnungen führen. Sie setzt damit anders als die Gewinnerzielung dort eine Grenze zum Chaos, wie er im Altbaubestand der DDR oder bei den Wohnungen von Slumlords wie Günter Kaußen erkennbar die Substanz des Wohnens bedrohte.
Wettbewerb ebenso wie das Privateigentum an Wohnraum sind Mittel, um Anreize für mehr und besseren Wohnraum zu erschwinglichen Preisen zu erhalten, zu schaffen und anzubieten. Der Markt der Geringverdiener ist dabei der Seismograf für den erreichten Standard. Sie sind kein Selbstzweck.
Der Wohnungsmangel kann nur dadurch behoben werden, dass jedem seine Wohnung gegeben wird. Das Eigentum hilft da nicht.
Mietpreisbremse oder Wucherverbot?
Eine Kostensenkung, die die Gewinnerzielung nur als Mittel einsetzt, ist davon weniger betroffen als eine Kostensenkung, die allein durch Gewinnmaximierung angetrieben wird. Die kapitalistische Form der Gewinnerzielung umfasst nämlich auch den Wucher (§138 BGB), d.h. die Erzielung von Gewinnen, die sich aus dem Raub an schwächeren Mietern nährt. (Reifner, Das Wucherverbot, JuristenZeitung 2021 S. 1017) Hier ist der Markt nur Vorwand. Den Wohnungssuchenden wird nicht nur eine Gewinnbeteiligung durch anteilige Senkung des Mietzinses oder kostenfreie Instandsetzung verwehrt. Der Gewinn resultiert aus der Ausbeutung ihrer Schwäche und trägt zur Verarmung bei.
Seit Jahrtausenden wird sie im Gesetz als Gefahr marktwirtschaftlicher Prozesse benannt. Recht, Religion und Moral haben sie aber nie ganz verhindert. Im Kapitalismus hat sich der Wucher nach Jeremy Bentham sogar zum anerkannten Systembestandteil entwickelt. Die Kreditwürdigkeit bzw. Mietwürdigkeit ist zur wertbildenden persönlichen Eigenschaft der Mieter und Kreditnehmer geworden. Mit Datenbanken wie der SCHUFA und Regeln zum Informationszwang für eine (un)“verantwortliche Kreditvergabe“ werden Mieter und Kreditnehmer unterer Einkommen zu Menschen zweiter Klasse degradiert, die scheinbar logisch allein deshalb mehr bezahlen, weil sie ärmer sind. Das sog. „Risiko basierte Preissystem“ macht den Wucher zum logischen Bestandteil des Kapitalismus, indem der Wettbewerb denjenigen belohnt, der am effektivsten Not und Mangel der Unterschichten ausnutzt.
Doch, statt den Mietwucher an seiner Wurzel zu treffen, werden mit unüberschaubaren Regeln seine Auswirkungen wie überdurchschnittliche Miethöhe, Überwälzung von Schönheitsreparaturen, Leerstand, verteuerter Umzug, Kostenüberwälzung bei Modernisierung und Umwandlung in Eigentumswohnungen mit Maßnahmen behandelt, die für alle sichtbar das Problem bisher nicht beheben. Wucherentscheidungen der Gerichte mit ihrem moralischen Rückhalt in der Bevölkerung gibt es kaum noch. (vgl. Blog: Wohnungsnot und Mietwucher)
Eine Diskussion über Wucher im Mietwohnungs- und Hypothekenkreditmarkt könnte hier das Hantieren mit Scheinlösungen erkennbar machen und Parallelen zum Wucher im Arbeits- und Kreditverhältnis offenlegen. Das geltende Recht ernst nehmen und seiner Idee nach anpassen wäre nicht nur ein Baustein zur Lösung der Wohnungsfrage, sondern auch ganz generell zur Zähmung des Kapitalismus.
Was geht?
Das Juristenmonopol bei der Interpretation der Verfassung blockiert die Wohnungsfrage. Das war 1949 nicht gewollt. Für das Grundgesetz ist der Wohnungsmangel für ärmere Schichten ein Mangel in der Effektivität von Demokratie, Rechts- und Sozialstaat, wie er die Weimarer Demokratie beschädigt hat. Um solchen Mängeln abzuhelfen, bietet es Instrumente an, die an der Wurzel ansetzen und zu einer Enteignung führen können. Entscheiden sollte das Parlament. Dass die im dritten Reich diskreditierten Verfassungsrechtler unsere Zukunft entscheiden ist angesichts ihrer Vergangenheit unzumutbar. Die Verfassung kann jeder lesen.
Recht auf Wohnung (Art. 13, 1 GG)
Art. 13 Abs.1 Grundgesetz (GG) bestimmt: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Nach Art. 3 Abs.1 GG sind „alle Menschen … vor dem Gesetz gleich“. Art. 20 Abs.1 GG verleiht der Lösung der Wohnungsfrage im „Sozialstaatsprinzip“ Verfassungsrang. Die Würde des Menschen kann ohne eine Wohnung als unverzichtbarem Teil der „Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ nicht geschützt werden. (Art.1 Abs.1 GG; BVerfG 09.02.2010 – 1 BvL 1/09) Die Verfassung setzt daher insgesamt Verhältnisse voraus, die eine bezahlbare Wohnung vermitteln, mit denen die Wohnungsgrundrechte überhaupt erst greifen können. Wohnungsnot wird von der Verfassung explizit als Grund zu Eingriffen in die Eigentumsrechte anerkannt. In Art. 117 Abs.2 GG wird die „gegenwärtige Raumnot“ als Grund genannt, die Freizügigkeit einzuschränken.
Das aktuelle Verhalten des Staates, das die Verschärfung des Wohnungsmangels eher umgeht als reguliert, ist daher verfassungswidrig. Zwar ist es Aufgabe der Politik und nicht des Rechtes, die Instrumente zur Behebung der verfassungswidrigen Situation zu bestimmen. Entscheidend ist aber, ob das Recht dies von der Politik fordert. Der Rückgang der Sozialwohnungen, explodierende Mieten und Hauspreise zeigen in die falsche Richtung, auch wenn mit markigen Parolen wie Mietpreisbremse, Verbot von Umwandlungen in Wohneigentum, Regulierung der Maklerprovisionen bei Miete und Finanzierung das Gegenteil suggeriert wird. „Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Essen her“ schrieb Berthold Brecht 1934 im Lied „Vorwärts und nicht vergessen“ der Arbeiterbewegung ins Stammbuch.
Enteignung (Art. 14 GG)
„Eigentum wird gewährleistet“. (Art. 14 Abs.1 S.1) Es hat „Inhalt und Schranken“ (S.2), die das einfache Gesetz festlegen muss. Eigentum berechtigt nicht nur. Es „verpflichtet“ (Abs.2 S.1). „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ (Abs.2 S.2) Dieses Wohl kann auch eine „Enteignung“ rechtfertigen. (Abs. 3 S.1) Die (Zivil)-Gerichte sollen dann aber eine „angemessene Entschädigung“ (S.3) „unter gerechter Abwägung der Interessen“ festlegen.
Eigentum
Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) hat in §903 BGB einen abweichenden Eigentumsbegriff, in dem nur der Vermieter Eigentum hat. Anders die Verfassung. „Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.“ (BVerfG 26. Mai 1993 — 1 BvR 208/93 –) Während die Verfassung alle Vermögenspositionen insbesondere auch vertragliche Rechte wie die Aktie oder das Nutzungsrecht des Mieters als Eigentum gewährleistet, findet dessen Schutz im BGB-Eigentum keinen Platz. Es ist ja kein körperlicher Gegenstand („Sache“! §90 BGB). Daher kann der Vermieter mit seinem Eigentum „nach Belieben verfahren“. Auf Tiere soll er Rücksicht nehmen (§903 S.2 BGB). Das Nutzungseigentum der Mieter, Verbraucher und Arbeitnehmer an Wohnungseigentum, Konsumgütern und Fabriken wird nicht erwähnt.
Die Verfassung hat jedoch Vorrang (Art. 1 Abs.3 GG). §903 BGB würde neu erlassen vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden. Dies ist aber nicht zuständig. Aus prozessökonomischen Gründen wurde 1949 die Prüfung des vorkonstitutionellen Rechts den Zivilgerichten überantwortet (§123 Abs.1 GG). Sie finden diesen Paragraphen bis heute wenig anstößig. Der Bundesgerichtshof passt ihn etwa beim Urheberrecht der Mieter an. Dadurch wird der Eindruck am Leben erhalten, über Grund und Boden bestimmten allein diejenigen, die ihn geerbt oder gekauft haben. Richtiger wäre es, §903 BGB mit dem Wortlaut der Abs.1 und 2 des Art.14 aufzufüllen. Das würde dann auch den zivilrechtlichen Arbeits-, Mieter- und Verbraucherschutz fundieren, der bis jetzt den Schein patriarchalischer Fürsorge behält.
Enteignungsinstrumente
Art.14 GG enthält technisch gesehen drei Möglichkeiten des Staates, um zur Behebung der Wohnungsnot auf das Eigentum einzuwirken: durch „Inhaltsbestimmung, Legalenteignung und Administrativenteignung“. (BVerfG 15.07.1981 – 1 BvL 77/78)
Alle drei Alternativen werden so interpretiert, dass sie für Systemveränderungen wenig Raum geben. Art. 14 Abs.2 wird ausgeblendet. Das Gericht sieht in Abs.1 S.2 trotz des Verweises auf „Grenzen“ nur eine Technizität:
- “Das Eigentum als Zuordnung eines Rechtsgutes an einen Rechtsträger bedarf, um im Rechtsleben praktikabel zu sein, notwendigerweise der rechtlichen Ausformung. Demgemäß hat das Grundgesetz in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber die Aufgabe übertragen, den Inhalt und die Schranken des Eigentums zu bestimmen.
- Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG hat der Staat die Möglichkeit, durch Gesetz einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis konkrete Eigentumsrechte zu entziehen, die aufgrund der allgemein geltenden Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG rechtmäßig erworben worden sind (Legalenteignung – BVerfGE 24, 367 [395 f.]; 45, 297 [325 f.]; 52, 1 [27]).
- Schließlich kann der Gesetzgeber – ebenfalls nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG – der Exekutive die Ermächtigung erteilen, konkretes Eigentum Einzelner zu entziehen. Die Enteignung aufgrund Gesetzes (Administrativenteignung) erfordert einen behördlichen Vollzugsakt, der – anders als die Legalenteignung – mit Rechtsmitteln angefochten werden kann.“
Entschädigungshürde
Die wichtigste Barriere, die diese Instrumente unbrauchbar macht, liegt in der Entschädigungspflicht, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes sicherstellen soll, dass die Enteignung keinen Wertverlust beim Wohnungseigentümer hervorbringt. Praktisch bedeutet dies, dass der vorherige Eigentümer eine Kapitalgarantie erhält, die ihm i.S. des §249 BGB erlaubt, sich wieer die gleiche Menge Wohnraum zu kaufen.
Doch der Wortlaut verspricht anderes. Eine Entschädigung ist kein Schadensersatz. Um den Unterschied zu begreifen, hilft die Zivilrechtsgeschichte. Der Begriff kommt im Nachbarrecht vor. §906 Abs. 2 Satz 2 BGB definiert die Entschädigung als einen „angemessenen Ausgleich in Geld“. Schadensersatz gewährt dagegen nach der Differenztheorie den (vollen) „Ersatz in Geld“ (§250 S.2 BGB) einschließlich des „entgangenen Gewinns“ (§252 BGB). §253 Abs.2 BGB erlaubt wiederum bei immateriellen Nachteilen „wegen des Schadens … eine billige Entschädigung in Geld“.
Die Unterscheidung wird im öffentlichen Recht analog angewandt. (BGH 10.12.2004 – V ZR 72/04 RN. 24) So entfällt bei der Entschädigung der entgangene Gewinn: „Der Grundrechtsschutz nach Artikel 14 des Grundgesetzes (umfasst) nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht den Schutz von zukünftigen Gewinnen und Erwerbschancen.“ (BVerfG 6. 12. 2016 – 1 BvR 2821/11 RN. 35) Schadensersatz und Entschädigung folgen unterschiedlichen Denkweisen. Schadensersatz ist eine Kapitalgarantie, Entschädigung eine Garantie von Interessen, die vor allem nicht-wirtchaftliche Asapekte haben. Die Worte „angemessen“ oder „billig“ verlangen eine Bewertung aller Umstände.
Vgl. die Regelungen zur Entschädigung in Art. 48 Abs.3; 34 GG; §§253 Abs.2 BGB; 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG; 15 AGG; 12 Abs.2 S.2 SoldGG
Eine Entschädigung darf daher den Sinn einer Enteignung nicht pervertieren. Dies wird schon durch das Wort „angemessen“ angeordnet. Außer der erzwungen Schenkung ist es aber auch denkbar, dass das Enteignungsrecht bei wertbeständigem Grund und Boden dem Staat die wirtschaftlich neutrale Möglichkeit der Finanzierung der Entschädigung gibt entweder durch Verkauf von Beteiligungskapital oder durch auf Dauer aufgenommene Bankkredite, die nicht den Haushalt belasten. Muster hierfür bietet Art.87e Abs. 3 u.4 für die Bundesbahn sowie Art. 87f Abs.2 GG für die Post. Wenn Mehrheitsaktionäre beim squeeze out die Minderheit enteignen dürfen, wenn sie deren Aktienkapital zwangsweise mit einer “angemessenen Barabfindung” (§327a AktG) entschädigen, so wird der Staat dies erst recht können.
Enteignung der Mieter
Die systemische Enteignung des Vermieters zur Erhaltung von bezahlbarem Wohnraum kann zudem auch als Schutz des Mieters vor dessen Enteignung angesehen werden. (Vgl. BVerfG, 28.01.1992 – 1 BvR 1054/91) Die inflationären Mieterhöhungen und Hauspreise, denen kein Wertzuwachs bei Wohnungen entspricht, führen zur schleichenden Entwertung des Nutzungseigentums. 100% mehr Miete für denselben Nutzen enteignet die Nutzer um die Hälfte der Kaufkraft ihres Mietzinses. Mietern wie Hypothekenschuldnern fehlt bisher das notwendige Selbstbewusstsein, den einseitigen Eigentumsbegriff infrage zu stellen und den Schutz ihres Eigentums einzufordern.
Die Enteignung des Vermieters zur Eindämmung der Wohnungsnot sollte daher besser positiv als Erstarken des Nutzungseigentum des Mieters zum Vollrecht angesehen werden. Holländischen Kraakers und englischen squatters wurde das Recht zur Hausbesetzung schon einmal im Gesetz gewährt. Ob Obdachlose, die bei lang andauerndem Leerstand in Wohnungen, deren „Gebrauch“ brach liegt (Art.14 Abs.1 GG), bei Einzug den „Hausfrieden brechen“ (§123 StGB) und im Gegensatz zu den in §903 BGB privilegierten Tierschützern das Eigentum verletzen, ist fraglich.
Im Kreditsicherungsrecht hat die Rechtsprechung schon 1904 ohne gesetzliche Grundlage mit der Begründung einer „wirtschaftlichen Notwendigkeit“ für Kreditnehmer das Nutzungseigentum bei beweglichen Sachen entwickelt. Dieses eigentumsähnliche Anwartschaftsrecht an dem zur Sicherheit an die Bank übertragenen Gut geht automatisch in volles Sacheigentum über, wenn die Schulden bezahlt sind. Es vermittelt auch den Schutz des Nutzers gegenüber dem Kreditgeber. Dem Mieter gebührt Ähnliches. Im Vorkaufsrecht nach §577 BGB ist dies angelegt. Es gilt allerdings nur bei Umwandlung in Eigentumswohnungen und setzt die Zahlungsfähigkeit des Mieters als Mitbieter voraus. Gemeinden haben nach §25 Abs.1 Ziff. 3 BBauG bei „angespanntem Wohnungsmarkt“ ein weiteres eigentumsgleiches Recht zur Enteignung des Erwerbers einer Wohnung. Beide Rechte gehen bisher aus Geldmangel und aus Mangel an geeigneten kollektiven Rechtsformen ins Leere.
Ergebnis für die Wohnungsfrage
Art.14 Abs.1 S. 2 1. Alt. GG (Inhalt) erkennt an, dass auch eine Eigentümergesellschaft Interessen durchsetzen muss, die prinzipiell allen Mitgliedern der Gesellschaft gemeinsam sind. Sie sind dadurch allgemein und bestimmen nach der klassischen Interessendefinition, was das öffentliche Recht ausmacht. Die zweite Alternative (Grenzen) bildet mit Abs. 2 (Verpflichtung und Allgemeinwohl) einen Auftrag an den Gesetzgeber, die Eigentumsordnung des vorkonstitutionellen BGB in verfassungskonformer Auslegung zu überwinden und sozial zu gestalten. Macht der Gesetzgeber davon wie im Mieterschutz Gebrauch, so ist dies keine Enteignung, sondern eine Inhaltsbestimmung. Die Rechte der Mieter sind die „Grenzen“ des Vermietereigentums. Die Höhe der Entschädigung ergibt sich nicht aus dem Kapitalwert der Enteignung. Sonst würde auch der Erlass von Mieter-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutzgesetzen Schadensersatz für die dadurch verursachte Minderung des Verkehrswertes sowie der Gewinnchancen nach sich ziehen.
Art. 14 Abs.1 u. 3 GG machen in ihrer systemerhaltenden Interpretation weitgehend die Regelungen ungeeignet für die Veränderungen im Wohnungsmarkt. Dafür hätte es Abs.2 verdient, die Wohnungsnot in den zivilrechtlichen Regeln über Wohnraum stärker zu berücksichtigen und damit zum Schutz des Nutzungseigentums der Mieter explizit das Problem anzugehen. Kollektive Vorkaufsrechte aller Mieter, Mitbestimmung und Beteiligung wären hier die Elemente, die sich schon bei der Nutzung von Unternehmen durch die Arbeitnehmer im MitbestG 1976 bewährt haben, um den „Missbrauch wirtschaftlicher Macht“ (Art 74 Abs. 1 Nr. 16 GG) zulasten der Mieter einzudämmen.
Vergesellschaftung (Art.15 GG)
Sinn und Zweck
Die strukturell wirksame Vergesellschaftung in Art. 15 GG ist ein vom Verfassungsgeber bewusst eingesetzter Widerspruch zum überwiegend individualistischen Grundrechtskatalog der Verfassung. Dies wurde durch die Haltung der Westmächte begünstigt. Als Ausgleich sollte Art. 15 GG die Tür offen halten zu dem, was man 1949 noch als Reaktion auf den Monopolkapitalismus unter Hitler in den Länderverfassungen an sozialistischen Vorstellungen festgeschrieben hatte. Der Wunsch nach Sozialisierung (vgl. Art. 14 hessVerf) auf den mehrheitlich von CDU und SPD (58 von 70 Mitgliedern) besetzten parlamentarischen Rat fand nicht nur bei KPD und SPD („Sozialisierung … bedeutet Eigentum des deutschen Volkes an diesen Mitteln und ihre Demokratisierung“ Wahlprogramm 1949), sondern auch im Ahlener Programm der CDU der britischen Zone von 1947 („Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht …“) Unterstützung.
Anders als Art.14 GG ist Art 15 GG nicht durch ein Mittel (“Enteignung”), sondern durch die inhaltliche Beschreibung eines Prozesses („Vergesellschaftung“) sowie eines Endzustandes („Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft“) bestimmt. Während Art.14 im Interesse des Allgemeinwohls jede Enteignung erlaubt, ist die Vergesellschaftung sachlich auf „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ begrenzt. Da Gemeineigentum die Befreiung des Privateigentums vom Bestimmungsrecht des Privateigentümers bedeutet, kann eine Enteignung das Mittel zur Vergesellschaftung sein.
Die Zweck-Mittel-Relation steht dabei auf dem Kopf. Gemeineigentum ist nicht das Ziel sondern ein Mittel, um zu dem in der Vergesellschaftung versteckten eigentlichen Ziel zu kommen. Im Gemeineigentum sieht die Verfassung der Bundesrepublik (anders als das „sozialistische Eigentum“ in Art. 10 DDR-Verfassung oder die gemeinnützige Genossenschaft in Art.45 ital. Verfassung) keinen Wert an sich. Sie ist nur ein Mittel „zum Zwecke der Vergesellschaftung“.
Die Vergesellschaftung von Wohnraum ist über ihre Verbindung mit Grund und Boden in Art.15 GG direkt angesprochen. Eine Wohnung gehört untrennbar zu dem Grundstück, auf dem sie erbaut ist. Sie steht im Eigentum des Grundeigentümers. (§§93, 94 BGB) Dies gilt auch für Eigentumswohnungen, bei denen jede in einem speziell hierfür angelegten Wohnungsgrundbuch (§ 7 Abs. 1 WEG; §§2 ff WGV) mit einem Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück eingetragen sein muss. Man kann also das Haus aber auch die einzelnen Wohnungen vergesellschaften. Wie die unterschiedliche Gesetzgebungskompetenz für die Enteignung (Art. 74 I Nr. 14 GG) und die Vergesellschaftung (Art. 74 I Nr. 15 GG) zeigt, sind sie auch nicht identisch. Zuständig für die Vergesellschaftung ist das Land, solange der Bund dies nicht regelt. Bei der Enteignung hat der Bund seine Regelungskompetenz schon in Spezialmaterien begründet wie z.B. in den §§ 85 – 122 BauGB.
Sperre der Juristen
Rechtsprechung zur Vergesellschaftung von Grund und Boden gibt es bisher ebenso wenig wie Beispielsfälle. Die Frage ist nach fast 70jähriger Unterbrechung aber neu gestellt. Es geht nicht mehr allein um Arm und Reich, sondern um die Schwierigkeiten, mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln Entscheidungsprozesse in einer globalisierten arbeitsteiligen Gesellschaft nutzenorientiert und demokratisch zu organisieren. Für die Behandlung der kollektiven und globalen Probleme wie Klimawandel, Artensterben oder Stellvertreterkriege bei hoher Wirtschaftskonzentration und politisch aktiven Milliardären verliert eine bürgerliche Gesellschaft, wie sie jeweils 1848, 1918 sowie 1949 erhofft wurde, an Legitimation und Überzeugungskraft. Die hohe Produktivität der oligopolistischen Wirtschaft kompensiert nicht mehr die relative Einfalt ihrer Gewinnorientierung.
Dabei steht der Immobilienbereich mit seinem durch die Natur begrenzten Flächenangebot durch den politischen Druck zugunsten der Wohninteressen und der Interessen der Geschäftsraumnutzer unter hohem technischen Innovationsdruck. Das individuelle Sacheigentum ist eher zum Hemmschuh als zur Entwicklungsgarantie geworden. Verfassungsrechtlich als Eigentum geschützte Formen wie offene oder geschlossene Immobilienfonds und Verbriefungen von Hypothekenkrediten auf Wohngrundstücke (Mortgage Backed Securities) könnten mit ihrem Anteilseigentum den Anforderungen an Nutzergerechtigkeit, Flexibilität, Mobilität und kollektiver Verfügungsmacht weit besser gerecht werden als das überholte Sacheigentum.
Das Recht ist aktuell ein Hemmschuh, nicht weil es asozial wäre und lebenswichtige Wohnmietverhältnisse nicht schützt, sondern weil das Immobiliarsachenrecht überholt und zu viele Akteure einschließlich des Staates am erschwerten Grunderwerb auch noch verdienen wollen. Juristen, die sich mit zeitversetzten Urteilen und in ihren Gutachten und Aufsätzen mit vergangener Realität begnügen müssen, sind grundsätzlich konservativ. Ihre Ausbildung hat sich in 100 Jahren nicht verändert. Von ihnen kann kaum erwartet werden, dass sie in der sozialwissenschaftlichen Öffnung des Rechts über den Begriff „Vergesellschaftung“ oder in Art. 14 Abs.2 GG eine Chance erblicken, den schon 1900 durch v. Gierke beklagten Mangel an „sozialistischem Öl“ zu beheben. Das Grundgesetz wollte 1949 der Gesetzgebung die Chance geben sich neu zu orientieren. So verhindert Art.123 Abs.1 GG eine konservative Vermutung, dass altes Recht ungeprüft fort gilt. Jede Vorschrift des alten Rechts ist auf dem Prüfstand. Wo die Verfassung Kontinuität verlangt, hat sie dies wie im Beamtenrecht Art.34 Abs. 4 GG oder in einzelnen Gebieten in den Art. 124 ff GG sowie für die Stellung der Religionsgemeinschaften in Art. 140 GG ausdrücklich bestimmt. Wo etwas Neues gemacht werden kann, benutzt das Grundgesetz in Art. 15 S.1 GG (vgl. auch Art. 6 Abs.5; 140 GG) die Worte „können“ oder „sollen“.
In der Reaktion der Juristenzunft auf den Berliner Volksentscheid überwiegt aber eine Interpretation, die den politischen Bestrebungen zur Modernisierung der Verfügungsmacht über Eigentum keinen Platz lässt.
Grundsätzlich ablehnend: Schede/Schuldt ZRP 2019, 78; finanziell untragbar: Haaß LKV 2019, 145; unzulässige Kommunalisierung: Petersen/Meier ZfIR 2019, ZfIR 2019, 737; Verstoß gegen Berliner Verfassung: Wolfers/ Opper in DVBl 2019, 542; Unverhältnismäßig, nur bei Einzelwohnungen anwendbar, Berliner Verfassung etc.: Ingo Schmidt DÖV 2019, 508; anders: Manssen ZfIR 2020, 733)
Die dadurch transportierte Ablehnung der Nutzung der Vergesellschaftung für eine bedürfnisgerechte Wohnraumreform in praktisch allen Grundgesetzkommentaren erfolgt mit den Argumenten, wie sie aus der Furcht vor dem Gespenst des Kommunismus an die Wand gemalt der Antikommunismus als Grundtorheit unserer Epoche (Thomas Mann) hervorbrachte.
Veränderungsklausel für die Politik
Die herrschende Interpretation des Art. 15 GG ist nicht in Stein gemeißelt. So liegt ein grundsätzlicher Fehler schon darin, dass in der herrschenden Meinung der Begriff „Vergesellschaftung“ nicht ernst genommen wird. Er wird durch sein Mittel, die Überführung von Grund und Boden in „Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft“ erklärt. Ersetzt man dann noch Vergesellschaftung durch das Fremdwort Sozialisierung, so wird die durch Faschismus und Stalinismus diskreditierte Verstaatlichung inhaltsleerer Selbstzweck der Vergesellschaftung. Statt Mitbestimmung und Demokratie zu fördern, führt Vergesellschaftung dann zur Entprivatisierung oder Deprivation, einem emotional belegten „Mangel, Verlust, Entzug von etwas Erwünschtem“. (Wikipedia)
Andere Verfassungen stellen als Ziel die Nützlichkeit des Ergebnisses der Vergesellschaftung in den Vordergrund. In der auch in der aktuellen französischen Verfassung fortgeltenden Einleitung zur Verfassung vom 27.10.1946 ist bestimmt, dass „alle Güter und Unternehmen, die den Charakter einer nationalen Dienstleistung haben oder erwerben oder ein faktisches Monopol bilden, Eigentum des Kollektivs werden müssen.“ Nach Art. 43 der italienischen Verfassung kann “vorbehaltlich einer Entschädigung das Gesetz erlauben, lebensnotwendige öffentliche Dienstleistungen, Energieressourcen, oder Leistungen faktischer Monopole, die von öffentlichem Interesse sind, Güter zugunsten des Staates, einer öffentlichen Stelle oder zugunsten einer Gruppe von Arbeitnehmern oder Nutzern zu enteignen.“
Das Ergebnis des Verfahrens nach Art. 15 GG ist die Anpassung der Verfügungsmacht privater Grundeigentümer an die Gesellschaftlichkeit ihres Tuns. Folgt man den Vordenker der Soziologie wie Weber, Simmel, Tönnies, stellt sie sich ein, webb das individuelle Handeln von Individuen in der Weise erfolgt, dass es sie mit anderen zu einer Gesellschaft verbindet.
Das findet man auch in der Rechtsprechung zum Begriff „Vergesellschaftung“ von Tieren, deren „Gemeinschaftsbedürfnissen“ nach §2a Abs.1 Ziff. 1 TierSchG geschützt sind. (VG Trier, 16.06.2014 – 6 K 1531/13.TR „Anordnung, den Esel zu vergesellschaften“; ähnlich BSG, 25. 3. 2015 – B 6 KA 21/14 R; Bayerischer VGH, 13.11.2020 – 23 CS 20.2354 „Vergesellschaftung mit anderen Equiden“; OLG Karlsruhe, 07. Februar 2011 – 1 U 209/10 – „Vergesellschaftung des Pferdes mit der Wallachherde“)
Die Vergesellschaftung des Menschen kann durch kollektives Handeln befördert oder rein faktisch erfolgen. Der Prozess wird angetrieben durch Arbeitsteilung und Kapitalakkumulation. Wirtschaft ist Kooperation, die umso erfolgreicher wird, je mehr Menschen kooperieren. (economies of scale). (ausführlich Reifner, Das Geld I, S. 91 ff) Dieses Zusammenführen menschlicher Tätigkeiten zu einer globaler werdenden Nutzerökonomie (Dienstleistungsgesellschaft, share economy) verdrängt die Ökonomie des Habens (Kaufen, exchange economy). Vertragliche löst sachenrechtliche Verfügungsmacht ab. („Verdinglichung obligatorischer Rechte“). Damit bahnt die Vertragsfreiheit sich ihren Weg der weiteren Vergesellschaftung in das bedingungsfeindliche Eigentumsrecht. Sie schafft Raum für Kreativität, Vernetzung und Vergesellschaftung. Das birgt auch erhebliche Chancen für eine Vergesellschaftung von Macht und Herrschaft, die mehr Menschen, deren Leben von dem bisher individualistisch verwaltetem Eigentum (vom shareholder zum stakeholder) abhängt, an der Macht beteiligt. Sach- und Geldnutzer, Mieter und Darlehensnehmer, sind hier besonders betroffen.
Mehr aber auch nicht. Die Vergesellschaftung der Produktion sollte nicht wie bei den Klassikern der Soziologie und des Sozialismus mit der Vergesellschaftung der privaten Verfügungsbefugnis über Güter und Dienstleistungen gleichgesetzt werden. Was Engels (MEW 20, 264) nur als Ergebnis einer allgemeinen Revolution verstand („Die eigene Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte aufgezwungen gegenüberstand, wird jetzt ihre eigene freie Tat. Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst.“) ist in Wirklichkeit ein stetiger politischer Prozess mit Fortschritten und Rückschlägen.
Art. 15 GG bietet diese Entwicklung nur als Chance. Es kann auch das Gegenteil eintreten. Vergesellschaftung der Produktion ohne Vergesellschaftung des Eigentumsrechtes führt zu Größe und Monopol, die wiederum internationale Macht gerade für den Kapitalbesitz erzeugen. Die Forbes-Liste der Reichsten ist politisch ebenso wenig neutral, wie die Fusion von Vonobia und Deutsche Wohnen.
Was ist rechtlich möglich?
Das Grundgesetz unterscheidet zwischen Eigentumsbestimmung, Enteignung und Vergesellschaftung.
Bei der Festlegung von Inhalt und Schranken des Eigentums legt Art.14 Abs.1 S.2 GG fest, dass das Ziel der Regulierung, der Gebrauch des Eigentums zum Wohle der Allgemeinheit, durch Regeln und Grenzen gewährleistet wird. Anders als andere Grundrechte ist das Eigentum daher nur begrenzt geschützt. Anders als in §903 BGB müssen Grenzen aufgewiesen werden. Zu dieser Grenzziehung bedarf es keiner besonderen Ermächtigung für einschränkende Gesetze, weil das Eigentum nur innerhalb der ausdrücklich bestimmten Grenzen im Gesetz gewährleistet wird. Die Grenzzziehung ist von der Verfassung angeordnet. Fehlt sie, so fehlt die Grundlage der Eigentumsfreiheit. Dazu gehören auch Regeln des Mieter- und Schuldnerschutzes sowie der Mitbestimmung über den Wohnraum, die sich objektiv als Vergesellschaftung von Verfügungsbefugnissen der Vermieter erweisen. Eine Enteignung findet erst statt, wenn dem Eigentümer jegliches Bestimmungsrecht entzogen wird. Muster für Eigentumsbestimmungen sollten die Regelungen des Mieterschutzgesetzes sein. Sie galten 70 Jahre bis zum 25.6.1987 für Wohnungen im Altbau zuletzt in West-Berlin („schwarzer Kreis“). 500.000 Unterschriften des Berliner Mietervereins konnten ihre Abschaffung nicht hindern.
Enteignung i.S. des Art. 14 GG ist eine Funktion jeder Gesellschaft, die dem Umstand Rechnung trägt, dass es neben den individuellen (Konsum, Einkommen) oder gemeinsamen (Kommunikation) Interessen übergeordnete Allgemeininteressen gibt, die oft nur dann gewahrt werden können, wenn der einzelne sein Interesse „aufopfert“. Die Enteignung kann daher alle Arten des erzwungenen Verlustes sachlich wie vertraglich begründeten Vermögens treffen. Da dieser Entzug nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist, ist der Staat hierfür zuständig. Weitere Einschränkungen kennt die Verfassung nicht. Diese Enteignung ist damit nur ein Instrument der Politik. Sie ist anders als die Privateigentumsverbote in Art.12 der ehemaligen Verfassung der DDR kein vorgeschriebenes Ziel. (BVerfG 26. Oktober 2004 – 2 BvR 955/00 – u.- 2 BvR 1038/01 -). Art. 14 GG hält es daher auch für notwendig, wenn das Sonderopfer „angemessen“ entschädigt wird. Ob dies eine Wertgarantie beinhaltet sollte nicht allgemein, sondern entsprechend der Frage, wie das Allgemeininteresse effektiv geschützt werden kann, entschieden werden.
Anders die Vergesellschaftung nach Art. 15 GG. Sie ermöglicht eine Systemveränderung. Weil der Kapitalismus nur ein im Rechtssystem verankertes Denkmodell ist, mit dem im gewinnnorientierten Bereich der Gesellschaft effizient gewirtschaftet werden kann, sind auch andere insbesondere sozialistische Konzepte möglich, soweit sie nicht Art.1 und. 20 GG infrage stellen. (Art. 79 Abs.3 GG) (BVerfG 17.1.2017 – 2 BvB 1/13) Wirtschaftlich ist das Ziel der Vergesellschaftung im Rahmen des Allgemeinwohls anerkannt, wenn es sich auf „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel“ sowie auf die Überführung in „Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft“ beschränkt. Wohnungen sind untrennbares Eigentum des Grundeigentümers und daher taugliche Objekte der Vergesellschaftung. (§§93, 94 BGB). Für eine der objektiven Vergesellschaftung der Wohnraumbewirtschaftung entsprechende Fortentwicklung und Demokratisierung der Strukturen des Wohnungssektors in Ballungsräumen ist die Vergesellschaftung der Verfügungsmacht über Grund, Boden und Kapital ein adäquates Instrument nicht aber das einzige Instrument. Art.15 GG benennt dabei Enteignung mit Entschädigung, Verstaatlichung, Umwandlung in Genossenschaften und ähnliche Formen kollektiven Eigentums als zulässige Mittel.
Soweit es sich dabei um eine Enteignung handelt, verweist Art.15 GG auf die Entschädigungspflicht des Art. 14 GG. Doch dies ist nur eine Rechtsfolgenverweisung. Die Beschränkung des Schadensersatzes auf eine „angemessene Entschädigung“ impliziert eine Abwägung, die in Art. 15 anders als in Art. 14 erfolgen muss. Das Grundgesetz will die Vergesellschaftung als Alternative erhalten. Wie die Berliner Diskussion zeigt, ist das jedoch mit einem Schadensersatzverständnis zugunsten der Großeigentümer nicht möglich. Staat und Steuerzahler werden gerade durch diejenigen erpressbar, deren Macht durch Vergesellschaftung gezügelt werden soll. Es ähnelt dem Vertreterpreis, den derjenige erhält, der dem Bauern die Melkmaschine verkaufte und dafür dessen letzte Kuh in Zahlung genommen hat.
Was soll?
Grundsätze
- Art. 15 GG öffnet die Tür für eine systematische Veränderung kapitalistischen Wirtschaftens im Bereich von Grund und Boden.
- Es geht um die Vergesellschaftung des Bestimmungsrechtes über die Nutzung solchen Grund- und Bodens, der durch Größe und Bedeutung gesellschaftlich bedeutsam ist und für die Wohnversorgung politische Bedeutung erhalten hat.
- Der Schutz der Eigentumsnutzung der Kapitalbesitzer sollte dem Schutz des Eigentumsbesitzes der Mieter und Kreditnehmer gleichgestellt werden.
- Enteignung ist notwendig und geboten, wo Vermieter, Banken und Fonds die gesellschaftliche Teilhabe der Nutzer nicht gewährleisten, deren Not zur besonderen Gewinnerzielung ausnutzen und der Markt keine Abhilfe schaffen konnte.
- Wo möglich sollen die Formen vergesellschafteter Eigentumsrechte (Genossenschaft, gemeinnützige Kapitalgesellschaften, shared homeownership ) genutzt werden, die sich bereits im In- und Ausland bewährt haben.
- Wohnungspolitik muss wahrhaftig, Mittel und Zwecke müssen wahr sein.
- Die Überwindung der Wohnungsnot in Ballungsgebieten muss die Mittel auf die Probleme beziehen.
- Wohnraum (Gebiet/Art/Eignung), Adressaten (Großvermieter, Banken), Begünstigte (Alleinerziehend, kinderreich, niedriges Einkommen, studierend, Migration etc.), Kosten (Vertragsmiete, Mieterhöhung), Umlagen) müssen benannt und der Erfolg der Regulierung evaluiert werden.
- Wohnraumrecht muss von der sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen. Unbefriedigte Wohnbedürfnisse müssen empirisch erfasst und den jeweiligen Existenzbedingungen zugeordnet werden.
- Wohnungen müssen direkt statt durch Bereicherung interessierter Empfänger gefördert werden.
„Inhalt und Grenzen“ des Eigentums (Life Time Contracts)
- Die Vergesellschaftung erfolgt zuvörderst gem. Art. 14 Abs.1 S.2 GG durch die Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Eigentums im öffentlichen Wohnungsrecht sowie im Mieterschutz. Dies stellt keine Enteignung dar und ist auch nicht entschädigungspflichtig.
- Beispielgebend für soziale Dauerschuldverhältnisse wie Miet- und Darlehensvertrag ist das Arbeitsrecht. (Nogler/Reifner, Life Time Contracts, 2012) Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in objektiv vergesellschafteten Großbetrieben der Schlüsselindustrie hat im Verbund mit der öffentlichen Sozialversicherung, der Gewerbeaufsicht und dem Arbeitnehmerschutz eine partielle Vergesellschaftung des Produktivkapitals zur Behebung der „Arbeitsplatznot“ erwiesen. Das Arbeitsrecht gibt ein Vorbild sozial integrierter Kapitalnutzung. Es hat gezeigt, wie auch ohne direkte Staatsbeteiligung demokratische Strukturen rücksichtslose Kapitalakkumulation gezähmt hat und die Wohnungsnot strukturell bekämpft werden könnte.
- Im Mieterschutzgesetz von 1923 finden sich effektive außer Kraft gesetzte Vorschriften zur Sicherung der Wohnraumversorgung. Sie könnten angepasst wieder in Kraft treten, da seine Geltungsbedingungen wieder vorliegen.
- Das Mietrecht sollte die Möglichkeit der Mieter durch generelle Vorkaufs- und Beteiligungsrechte schaffen, Mieteigentum zu erreichen.
Mieteigentum (eG & Co. KG)
- Vergesellschaftung der Wohnraumbewirtschaftung überwindet die Spaltung zwischen Kapital- und Nutzungseigentum. Hierzu bedarf es interdisziplinärer Entwicklung und Forschung von Juristen, Stadtplanern, Soziologen und Betriebswirten. Die Wohnungsbaugenossenschaften könnten hier als Auftraggeber und Praxisfeld eine führende Rolle in der Entwicklung wie auch in der Verwaltung solcher Wohnungsgesellschaften spielen.
- Mieteigentum öffnet Mietern den Zugang zu vergesellschaftetem Grundeigentum.
- Der Nutzer erhält die Möglichkeit, einen Teil einer Wohnung zu mieten, einen anderen Teil als Nutzungseigentum i.S. es Art. 14 GG zu erwerben und soziale wie kapitalistische Investoren zu beteiligen.
- Es ist eine eigenständige Form der Wohnraumbewirtschaftung und keine bloße Vorstufe zum privaten Eigentumserwerb.
- Mieteigentum nutzt Mieterersparnisse ebenso wie staatliches Beteiligungs- und Entwicklungskapital für die kollektive Einbringung von Nutzerinteressen in die gesellschaftsrechtliche Wohnungsbestimmung.
- Man nutzt im shared homeownership bewährte Vergesellschaftungsformen in der Industrie (e.V.; KG, GmbH, AG, eG) gemeinnützig, um Nutzer aber auch die öffentliche Hand und deren Ziele in die Bestimmung und Verwaltung des Wohneigentums einzubeziehen.
- Nach umfangreichen Studien in den USA, England und Frankreich wurde vor 25 Jahren ein Beispiel für gemeinnütziges Mieteigentum entwickelt und publiziert. Es verbindet Investoren- und Mieterinteressen in der Form einer Publikums-KG. Das Modell wurde in Rostock und Hamburg erprobt und an Hand verschiedener Praxisprojekte u.a. auch in Kooperation mit einer Hypothekenbank entwickelt. Im Rahmen des EXWOST-Programms der Bundesregierung wurde es zusammen mit Stadtentwicklungsgesellschaften (STEG, Stattbau) in Hamburg auf konkrete Objekte bezogen und durchgespielt. Eine Erprobung scheiterte an der Politik.
Reifner, Tiffe, Shamkover, Wohneigentum in Genossenschaften: Die eG & Co. KG als Modell der Nutzerbeteiligung, Gutachten im Auftrag der STATTBAU HAMBURG GmbH im Rahmen des EXWOST Programms. 2006 (download); Reifner, Mieter kaufen gemeinsam ihr Haus: Das Modell der Zukunft, Reinbek 1997; Reifner, U. / Pfau, J. Social Banking and Affordable Housing in Germany, in: Frowen, S./McHugh F. , Financial Competition, Risk and Accountability – British and German Experiences, palgrave Houndmills N.Y. 2001 pp 257-291; Reifner/Tiffe, Innovative Finanzdienstleistungen – Studienfinanzierung, genossenschaftliches Wohnen, Altersvorsorge, umgekehrte Hypothekenkredite, Baden-Baden: Nomos 2007
- Das Mieteigentums-Modell sieht die Nutzer:innen in der Rolle als Mieter:in, Mitglied einer Genossenschaft sowie als Kommanditist:innen. Die Kommanditanteile sind aufgespalten in Nutzeranteile und Investorenanteile. Alle Anteile sind entsprechend ihrer Bindung frei veräußerlich bzw. beleihbar. Die Wohnungen können zusammenhängend sein, müssen es aber nicht. Das Modell erlaubt eine Staatsbeteiligung und damit die Aufnahme von Sozialmietern, wodurch eine soziale Durchmischung stattfindet und zugleich die Mieteinnahmen stabilisiert werden. Die Nutzer können müssen aber nicht ihre Wohnung sukzessive erwerben. Fremdinvestoren können sich beteiligen und erhalten bei Verlust steuerliche Abschreibungen. Das finanzielle Eigeninteresse der Nutzer führt zur Senkung der Erhaltungskosten, der Zusammenschluss zu erhöhter Kreditwürdigkeit und günstigeren Zinssätzen. Die eG und durch Üernahme der Geschäftsführung der KG werden satzungsgemäß geprüfte und etablierte Wohnungsgenossenschaften mit ihrem know how einbezogen.
Textauszüge
Volksentscheid: „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“
Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 des Grundgesetzes erforderlich sind. Dies soll für Wohnimmobilien in Berlin sowie die Grundstücke, auf denen sie errichtet sind, gelten und findet Anwendung, sofern Wohnungen durch einen Eigentümer in einem Umfang gehalten werden, der als „vergesellschaftungsreif” definiert wird.
Koalitionsvertrag (S. 8-25)
„Wir sind uns über die großen Zukunftsherausforderungen einig und wollen sie gemeinsam anpacken. … Bezahlbare Wohnungen“
„Mindestens 400.000 Wohnungen sollen durch Neubau und Ankauf im Jahr 2026 in öffentlicher Hand sein.“
„Die Koalition wird das Zweckentfremdungsverbot in Bezug auf Abriss von bezahlbarem Wohnraum, gewerbliches Wohnen, Leerstand und Sanktionen verschärfen“
„Ausweisung neuer Milieuschutzgebiete … Ausübung des Vorkaufsrechts“
„Mietenmoratorium für angespannte Wohnungsmärkte, für eine reformierte, sozial ausgewogene Modernisierungsumlage, für ein Schließen der Schutzlücken der Mietpreisbremse, für eine erbesserung der Anwendbarkeit des Wucherparagraphen, für einen Umwandlungsvorbehalt über das Jahr 2025 hinaus, für Schutz vor Eigenbedarfskündigungen, für die Berücksichtigung sozialer/öffentlich gewünschter Nutzungen bei der Berechnung von Bodenwerten und für ein Immobilienregister sowie eine begrenzte Umlagefähigkeit von Betriebskosten aus.
„Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des „Volksentscheides über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen“ und wird verantwortungsvoll damit umgehen. Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein.“
Engels/Proudhon (MEW 18, 209 ff)
Die Wohnungsnot der Arbeiter und eines Teils der Kleinbürger unserer modernen großen Städte ist einer der zahllosen kleineren, sekundären Übelstände, die aus der heutigen kapitalistischen Produktionsweise hervorgehen.
Erstens, daß Übertragung der Grundrente an den Staat gleichbedeutend ist mit Abschaffung des individuellen Grundeigentums.
Zweitens, daß die Ablösung der Mietwohnung und die Übertragung des Eigentums der Wohnung an den bisherigen Mieter die kapitalistische Produktionsweise gar nicht berührt.
Drittens, daß dieser Vorschlag bei der jetzigen Entwicklung der großen Industrie und der Städte ebenso abgeschmackt wie reaktionär ist und daß die Wiedereinführung des individuellen Eigentums jedes einzelnen an seiner Wohnung ein Rückschritt wäre.
Viertens, daß die zwangsmäßige Herabsetzung des Kapitalzinses die kapitalistische Produktionsweise {20} keineswegs angreift, im Gegenteil, wie die Wuchergesetze beweisen, ebenso uralt wie unmöglich ist.
Fünftens, daß mit Abschaffung des Kapitalzinses das Mietgeld für Häuser keineswegs abgeschafft ist.
Vergesellschaftung im Recht
VG Trier, Urteil vom 16.06.2014 – 6 K 1531/13.TR „Anordnung, den Esel zu vergesellschaften“; ähnlich BSG, Urteil vom 25. 3. 2015 – B 6 KA 21/14 R; Bayerischer VGH, Beschluss vom 13.11.2020 – 23 CS 20.2354 „Vergesellschaftung mit anderen Equiden“; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 07. Februar 2011 – 1 U 209/10 – Vergesellschaftung des Pferdes mit der Wallachherde
OLG Rostock 20.6.1995 – 4 U 77/94 „Hinzu kommt, hinsichtlich der Beurteilung des Verwalterhandelns als pflichtwidrig, dass die Aufbauhypothek einem vor dem Hintergrund des sozialistischen Staatssystems der DDR ideologischen Zweck diente. Sie war in ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Wirkung ein Mittel zur weiteren Vergesellschaftung des Bodeneigentums und der Bodennutzung“
Art. 14 GG
BVerfG Beschluss vom 15.07.1981 – 1 BvL 77/78 ZIff. B. II.1
- Bei der Prüfung der Regelung am Maßstab des Grundgesetzes ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber im Rahmen des Art. 14 GG in dreifacher Weise eigentumsrechtlich relevante Vorschriften erlassen kann.
Das Eigentum als Zuordnung eines Rechtsgutes an einen Rechtsträger bedarf, um im Rechtsleben praktikabel zu sein, notwendigerweise der rechtlichen Ausformung. Demgemäß ist das Grundgesetz in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber die Aufgabe übertragen, den Inhalt und die Schranken des Eigentums zu bestimmen. Solche Normen legen generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers fest, bestimmen also den “Inhalt” des Eigentums (BVerfGE 52, 1 [27]). Der Gesetzgeber schafft damit auf der Ebene des objektiven Rechts diejenigen Rechtssätze, die die Rechtsstellung des Eigentümers begründen und ausformen; sie können privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Natur sein.
Weiter hat der Gesetzgeber nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG die Möglichkeit, durch Gesetz einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis konkrete Eigentumsrechte zu entziehen, die aufgrund der allgemein geltenden Gesetze im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG rechtmäßig erworben worden sind (Legalenteignung – BVerfGE 24, 367 [395 f.]; 45, 297 [325 f.]; 52, 1 [27]).
Schließlich kann der Gesetzgeber – ebenfalls nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG – der Exekutive die Ermächtigung erteilen, konkretes Eigentum Einzelner zu entziehen. Die Enteignung aufgrund Gesetzes (Administrativenteignung) erfordert einen behördlichen Vollzugsakt, der – anders als die Legalenteignung – mit Rechtsmitteln angefochten werden kann.
Dieser braucht eine Entziehung seiner verfassungsrechtlich geschützten Rechtsstellung nur hinzunehmen, wenn der Eingriff in jeder Hinsicht den in Art. 14 Abs. 3 GG normierten Voraussetzungen entspricht. In einem solchen Fall tritt an die Stelle der Bestandsgarantie eine Wertgarantie, die sich auf Gewährung einer vom Gesetzgeber dem Grunde nach zu bestimmenden Entschädigung richtet (BVerwGE 24, 367 [397]; 46, 268 [285]).