Pazifismus: Sieg oder Frieden? (Ukraine II)

„Frieden schaffen ohne Waffen“ (Forts. Ukraine I)

Hat der Überfall Russlands auf die Ukraine den Pazifismus als romantische Verklärung von Asozialität entlarvt, weil nur der Einsiedler glaubhaft gewaltfrei leben kann? Ist Gewaltlosigkeit überhaupt ein Ziel, nachdem die „strukturelle Gewalt“ etwa des Kolonialismus Gewalt erkennbar gemacht hat? Kann man „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Flugscharen“ schmieden, wenn der Angreifer das nicht tut? Waffen und Schwerter werden erst im Gebrauch dazu. (§224 I Nr. 1 StGB). Bei Kriegswaffen gilt im dual use Ähnliches. Der geübte Karatekämpfer braucht nur seine Handkante. Waffen optimieren die physische Gewalt und machen sie massentauglich. In ferngesteuerten Raketen und Drohnen haben sich die Waffen sogar verselbständigt. Der programmierte Krieg nach dem Muster den falsch betitelten Computerspiels „Counter Strike“ wird denkbar. Die Ukraine ist erst der Anfang. Man lässt kriegen, so wie einst die Sklavenheere für Rom in den Krieg geschickt wurden. Für die Ausweitung des Krieges ist das Arsenal schrecklicher Waffen unerschöpflich. Die Erschöpfungskriege in Vietnam und Afghanistan haben den Dauerschrecken gezeigt. Wie können wir ihn im Donbass verhindern?

„Bekriegen um zu siegen.“

Der Krieg offenbart seine Sinnlosigkeit im Töten und Verletzen. Er stellt den Gegensatz zu Gleichheit, Freiheit und Sicherheit dar. Tolstoi, Remarque oder Mailer haben versucht, seine Schrecken zu zeigen. Die uniformen Kriegsberichterstatter heute wollen dagegen Siege dokumentieren. (vgl. Marlis Prinzing im Tagesspiegel) Sie folgen CNN und BBC, die als embedded journalism im Libyen- und Irakkrieg das Publikum unter Spannung gehalten haben. Der Sieg ist das Kriegsziel. Man sucht sich wie im Sport „seine Mannschaft“ und kämpft mit. Das entfacht Gier und Euphorie. Die Triumphbögen und Siegessäulen sind elektronisch. Ohne Siegeschance erscheint der Krieg wie in Masada als Massenselbstmord. Statt Frieden erreicht man den Friedhof.

Frieden oder Friedhof

Das stimmt mit dem lateinischen „pacare“ überein. Befriedung war hier gleichbedeutend mit Unterwerfung. Siegen war das historische Kriegsziel in einer Raubwirtschaft. Bevor man die Produktivitätschancen versklavter Gefangener erkannte war deren Tötung auch logische Folge des Sieges.

  • Gallierkönig Brennus sagte den Römern: „Wehe den Besiegten“ (Vae Victis). Er rechtfertigte 387 v. Chr. damit das Recht zu deren willkürlicher Behandlung.
  • „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ verkündete der Stalinismus ähnlich gnadenlos. Die Nazis benutzten neben dem „Heil Hitler“ auch das „Sieg Heil“ als Grußformel.
  • Für den preußischen Generalmajor v. Clausewitz galt seitenverkehrt Krieg als „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (v. Clausewitz 1832, preuß. Generalmajor)

Frieden braucht keinen Sieg. Waffengewalt wie ihn sich die römische „Befriedung“ als Frieden durch Unterwerfung dachte ist dazu nicht notwendig. Es ist der Krieg der anderen, der die Waffen aufzwingen kann. In der Pax Americana war der Siegeswille sogar der Grund für den letztendlichen Verlust des Krieges. Auch Russland wird nach Afghanistan ein zweites Mal erkennen, dass die Kompetenz, ein anderes Land zu zerstören, noch nicht die Kompetenz beinhaltet, dort Frieden zu schaffen.

  • Theodor Heuss erklärte beim Manöver 1958: „Nun siegt mal schön“ Ein Jahr später psychologisierte er: „Der Siegeswille steckt im Element des Soldatischen, zumal in Schlachten und Kämpfen, die die Chance haben, in die Geschichte einzugehen, … dass es dem Soldaten gelingt, den Sieg über sich selber zu gewinnen.“ (1959)
  • Karl Krauss drehte den Keltenspruch um: „Vae Victoribus. (Wehe den Siegern) Wer Ohren hat, dem wird die Zeit es sagen, dass dies der Sinn des Streits war, den sie stritten: Die dort erlebten nichts als Niederlagen, und die hier haben einen Sieg erlitten.“

Siegen ist kein Kriegsziel

Die NATO ist in zwei Lager gespalten: diejenigen, die siegen, den Gegner schwächen und aus bestimmten Gebieten vertreiben wollen und diejenigen, die den unbedingten Frieden wollen. Solange Russland zu den ersteren gehört, spielt der Unterschied keine Rolle. Jeder Sieg gegen sie kann ihren Siegeswillen vermindern. Pazifismus und Siegermentalität kommen erst in Widerspruch, wo Friedenschancen erkennbar sind, die den Krieg durch Recht und Diplomatie ersetzen. Die NATO muss sich erklären. Der Friedenswille hängt dabei von der geografischen Nähe ab. Umso weiter entfernt man vom Kriegsschauplatz lebt, desto eher kann der Siegeswille den Friedenswillen übertreffen.

Die USA sind dabei ein schwieriger Partner aus Übersee. Trotz ihrer Kriegserfahrungen gehören sie zu denjenigen, die auf Sieg setzten. Sie haben eigene Kriegsziele  wie Regime Change (Biden), Schwächung Russlands (Austin) und Wiedereingliederung aller russisch-sprachigen Gebiete einschließlich der Krim. Damit werden sie den im zweiten Minsker Protokoll ohne die USA fixierten europäischen Friedensplan jede Chance der Wiederauferstehung nehmen. Es wird, so die New York Times, einen „long twilight struggle“, einen Dauerbrand in Europa geben, der die unter Trump verwaiste Führungsmacht jenseits des Atlantiks wiederherstellt.

Dem folgt ihre Strategie. Sie liefern 90% der Waffen für die Ukraine, dominieren zusammen mit dem englischen MI5 die Feindaufklärung sowie die öffentliche Meinung, stellen militärische Berater und Ausbilder, geben Personen und Schiffe zum Abschuss vor. Das Siegen dominiert das Denken von Ländern, deren Territorium nicht bedroht ist.

Pazifismus und Diplomatie

Pazifismus ist dauernder Wille zum Frieden. Ist der Frieden gebrochen oder bedroht, so kann es auch pazifistische Kriege geben. Der Gegensatz zum Friedenswillen ist der Siegeswille. Er leitet aus der Methode der Auseinandersetzung die Legitimation des Zieles ab, das wiederum jede Verschärfung der Kampfformen und -mittel rechtfertigt. Frieden beherrscht dann nicht mehr den Krieg, sondern nur noch ein scheinbar zwangsläufiges Ergebnis: Sieges und Unterwerfung.

Für den Pazifismus ist der Sieg kein Ziel, sondern allenfalls aufgezwungenes Ergebnis der Verteidigung des Friedens. Wo Diplomatie eine Chance zum Frieden bietet, müssen die Waffen schweigen. Diese Differenzierung führt nicht unbedingt zu unterschiedlichen Verhaltensweisen im Krieg jedoch zu anderen Perspektiven. Das hatte Art. 26 Abs.1 GG im Sinn als er bestimmte:

  • „(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“
  • (2) Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
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