Vor 200 Jahren am 5. Mai 1818 wurde Karl Marx in Trier (Preußen) geboren. Er hatte alles, um sich in Deutschland unbeliebt zu machen. Wie sein Freund Heinrich Heine und auch dessen Freund Felix Mendelssohn-Bartholdy war er jüdischer Abstammung, ohne sich zum Judentum zu bekennen. Er studierte Jura bei dem Papst des bürgerlichen Rechts v. Savigny und erkannte doch im Recht so viele interessierte Fiktionen, dass er es insgesamt als bürgerliche Weltanschauung und Religion abtat. Als Philosoph fand er nur als Journalist Arbeit. Er war Wissenschaftler ohne Universität, Praktiker in der Theorie. Er engagierte sich bis zu Verfolgung und Exil für die Schwachen gegen die Mächtigen. Kritik war für ihn Lebenslust und Lebenssinn. Er war der ewige Opponent, der oft treffsicher wusste, was schlecht war. Für die Bestimmung, was angeblich desehalb gut war, ließ er leider anderen zu viel Platz.
Das hat Unzählige, die der Sohnschaftsbehauptung Lenins Glauben schenkten, ermöglicht und sie ermuntert, in seinem Namen diese Leerstellen mit ihren eigenen Machtfantasien und Konzepten zu füllen. Das nicht genug musste er umgekehrt später im Namen des Anti-Kommunismus für Generationen, die nur die Überschriften seiner Arbeiten kannten, dafür herhalten, jede Alternative oder auch schon die Kritik am Kapitalismus in seinen verschiedenen politischen Spielarten als verabscheuungswürdig zu verwerfen. Die Bezeichnung Marxist wurde Adelstitel wie Schimpfwort.
Marx selber war kein Marxist. Seiner Tochter Jenny hatte er ins Poesiealbum in der Rubrik: „Entschuldbares Laster“ geschrieben: „Leichtgläubigkeit“.
Hier schreibt auch kein „Marxist“. Zum 150. Geburtstag von Marx 1968 kannte ich ihn nur aus der Propaganda des kalten Krieges. Unser Gemeinschaftskundelehrer Dr. Dr. …, ehemals SS, erklärte uns den Landesverräter und Zerstörer der Heiligen Familie. Ihn zu lesen lohne sich nicht. Das Kapital sei unlesbar.
In Berlin, Frankfurt und Paris trafen wir aber auf Philosophen, die unsere Sehnsucht nach der Erlaubnis zum eigenen Denken entgegen kamen. Unter den neu entdeckten Schriften waren dejenigen des Max Horkheimer. Er brachte in seinem philosophischen Gepäck die Schriften des jungen Marx mit, der als 1848ziger wie wir, die 1968ziger, Wort und Kommunikation eine zentrale Rolle in der Gesellschaft einräumte. Sein Hauptwerk, das Kapital, begrub diese Frühschriften unter einer Begrifflichkeit, die die theoretische Armut des Kapitalismus reflektierte. Es führte zwar noch die „Kritik der politischen Ökonomie“ im Untertitel, brachte dann aber doch eher deren Ergebnisse. Hätte nicht Louis Althusser 1965 den Werdegang dieser Wahrheitsfindung rekonstruiert, wir würden bis heute das Verdienst von Marx in den Selbstverständlichkeiten sehen, die wir über Mehrwert, Markt, Geld, Kapital und Krise inzwischen zum ökonomischen Alltag zählen.
Revolutionär waren diee Erkenntnisse erst als man sie für Revolutionen benutzte – ob zu Recht oder zu Unrecht. Die Arbeitswertlehre, wonach nur die menschliche Arbeit Werte schöpfen kann, teilte er sich mit Adam Smith, Staats- und Eigentumskritik mit Proudhon und Bakunin, Dialektik und Fortschrittsglaube mit Hegel, den Materialismus mit Feuerbach, das politische Engagement mit den französischen Sozialisten und das Mehrheitsprinzip mit Montesquieu. Er war das Kind seiner Zeit, in der der Kapitalismus weder als Idee noch in der Wirklichkeit dominierte. (Poulanyi) Er fiel zudem hinter Aristoteles zurück, der schon zu seiner Zeit erkannt hatte, dass der synallagmatische Tausch um der Gewinnerzielung willen nur ein spezielles und kulturell wenig anspruchsvolles Instrument war. Die Wirtschaft enthält auch heute so viel mehr Zukunftsweisendes, dass die Absolutheit, mit der Apolegeten wie Kritiker des Kapitalismus dieses System predigen und darin von seinen Nutznießern unterstützt werden, Kreativität und Denken verhindert. Die Marx’sche Kritik ist daher Anreiz über diese engen Wirtschaftstheiroien hinauszudenken, nicht jedoch sie zu vollenden.
Ich möchte jungen Menschen einen Anreiz geben, diesen Klassiker des kritischen Denkens aus der Politik in die Wissenschaft zurückzuholen. Dafür sollte man wie schon Marx die Nikomachische Ethik des Aristoteles lesen. Sie gibt den Rahmen, den Marx allein für die bürgerliche Gesellschaft ausfüllte, ohne die vielen anderen Systeme zu besprechen, in denen wir leben.
Bei den Texten handelt es sich um eine Zusammenstellung von Fußnoten aus Reifner, Das Geld Bd.1-3 & Die Finanzkrise, Springer 2017, die Wirtschaft als Kooperation begreift. Das begriffliche Gerüst ist im Glossar am Ende dieses Textes wiedergegeben. Ein Verzeichnis der von Marx, Engels und Lenin verwendeten Schriften in diesem Text findest sich dort ebenfall.
INHALT
Verkehrte Welt – Vom Kopf auf die Füße stellen (I,37); Verkehrte Welt – Dialektik (II,13); Herrschende Ideologie – Ideologie der Herrschenden? (I, 191); Verhältnisse zum Tanzen bringen (III, 273); Arbeiterklasse und wissenschaftliche Sichtweise (I,42); Das Sein bestimmt das Bewusstsein? (II,230);
Marx, Das Kapital: Problembeschreibung oder Lösungsansatz; Marx’sche Wirtschaft und Realwirtschaft im 19. Jahrhundert (I,16); Kapitalistische Produktionsweise (I,21); Wirtschaft als Kooperation (I, 176); Apropos Warenfetischismus (I, 503); ;
Marx: Arbeit und Konsum
Arbeit statt Konsum – das bürgerliche Erbe (I, S. 36); Konsum als Arbeit (III,201); Arbeitskraft und Arbeitsvertrag (III, 253); Mensch gegen Maschine? (I,223); Ausbeutung? (II, 96); Produktive Arbeit (II, 452); Bedürfnis und Leistung (III,74); ;
Durchschnittseinkommen und Zins (I, S. 186); Geld reduziert auf Kapital (I,43); Geld reduziert auf die Warenform (I,137); Kapital reduziert auf Geld (I, S. 126); Personifizierung als Finanzkapital (III, 325); ;
Klassencharakter? (III,1); Klasse (III,8); Demokratie (II,433); Sozialismus, Staat und Anarchismus (II, 439); Reform oder Revolution. Sozialdemokratie oder Sozialismus? (I,25); Geburtswehen (II, 577); Sozialismus und katholische Soziallehre (II, 61); Verelendungstheorie? (II, 102); Lumpenproletariat und Überschuldete (II,181);
Glossar
Verzeichnis der Schriften
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Seine Methode
Verkehrte Welt – Vom Kopf auf die Füße stellen (I,37)[1]
Marx steht dabei in einer Tradition, die sich in Literatur, Oper und Kinderspiel bis heute unter dem Namen »verkehrte Welt« erhalten hat. Mit ihr wird spielerisch die Diktatur einer Ideologie versuchsweise ausgehebelt. Doch es kann leicht zur Diktatur der Umkehrung werden, was sich bereits in dem Wort verkehrt andeutet, das nicht nur die Umkehrung, sondern auch das Falsche bezeichnet.36 Deshalb sind anders als bei Marx fur uns Füße, Basis oder Praxis keine zutreffenden Bezeichnungen fur eine Wirtschaft, deren Kopf, Überbau oder Theorie unser Denken bestimmen soll.
»Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und ihre Verhaltnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt erscheinen, so geht dies Phänomen ebenso sehr aus ihrem historischen Lebensprozess hervor, wie die Umdrehung der Gegenstande auf der Netzhaut aus ihrem unmittelbar physischen.« (Marx 1957 – Die deutsche Ideologie I. A.). Althusser (Althusser, Balibar (Hg.) 1972 – Das Kapital lesen I; Althusser 1972 – Vom Kapital zur Philosophie; Althusser, Wolf 2010 – Ideologie und ideologische Staatsapparate) relativiert hier die Marx’sche Theorie. Als Intellektueller kann er das Handeln und Denken des Menschen in der Wirtschaft nicht nach der einfachen und überholten Anschauung von Praxis in eine Arbeit von Stirn und Faust (Faschismus), mit Hammer und Zirkel (DDR-Sozialismus), durch Kopfarbeiter und Handarbeiter bzw. white and blue collar oder Angestellte und Arbeiter (Kapitalismus) zerlegen. Er löst daher den Begriff Praxis auf und entdeckt verschiedene Praxen, insbesondere eine theoretische Praxis, die damit nicht nur Überbau, sondern selber Praxis ist und den Anspruch auf ein Eigenleben in der Theoriegeschichte hat. Sie ist nach ihm nur »in letzter Instanz« durch die ökonomische Basis bestimmt.
Verkehrte Welt – Dialektik (II,13)
Diese Methodik, wie sie uns seit 1978 zunächst als Methodik der Rechtsauslegung („soziale Auslegung“ Reifner 1979) beschäftigt hat, nimmt ihren Ursprung in der Marx’schen Parabel des Vom-Kopf-auf-die-Füße-Stellen, die wir besser als Umkehrung der Mittel-Zweck-Relation (bzw. Ursache-Wirkung-Relation) im Denken charakterisiert finden. Dies deckt sich mit der Beschreibung bei Louis Althusser als Ortswechsel der Betrachtung (changement de terrain). Der Betrachter befreit sich aus einer Ideologie, indem er ihr Objekt von außen betrachtet und nach ihrer Funktionsweise und ihrem Nutzen fragt. So ist die „Entdeckung Amerikas“ (Bitterli 1992) eine solche Ideologie, die sich nicht nur aus der Sicht der damaligen Bewohner dieses Kontinents, sondern auch des Zeitgenossen, des Mönchs Las Casas, in seinem Bericht an Kaiser Karl V (Durán Luzio 2014; Schneider 1963) als „Eroberung“ (Conquista) erweist. Verschiebt man die Perspektive vom Entdecker zum Entdeckten, so erweist sich die Entdeckung Amerikas als legitimatorischer Diskurs des Kolonialismus. (Castilla Urbano D.L. 2014) Der Unterschied des Columbus gegenüber Cortez und Pizarro, die sich zutreffend als Conquistadores fühlten, obwohl sie weit mehr für Spanien „entdeckten“ als dies Columbus vermochte, wird dann zu einer Frage der Ideologie und nicht der Realität. Die Opferperspektive ist eine Hilfe, weil die herrschenden Ideologien und Anschauungsweisen in aller Regel auch die Ideologien und Anschauungsweisen der jeweils Herrschenden sind. Dabei muss man weder christlich, sozialistisch oder philanthropisch sein, um diese Perspektive einzunehmen. Das Recht hat seit seiner Entstehung diese Perspektive mit dem Schutz des Schwächeren zum allgemeingültigen Ziel erhoben. Minderheitenschutz, Schuldnerschutz, Verbraucherschutz, Arbeitnehmerschutz, Mieterschutz, Naturschutz sind nur seine Ausprägungen.
Aber auch wenn man diese Parteilichkeit der Betrachtung ablehnt, lohnt es sich schon aus rein wissenschaftlichen Gründen, auch einmal das Terrain zu wechseln. Galilei versetzte sich in die Perspektive der Sonne, um die Ideologie vom Kreisen der Sonne um die Erde zu überwinden. Karl Marx war vor allem in seinen Frühschriften ein Meister dieser dialektischen Umkehrungen und Terrainwechsel. Die Einsichten über die Waffe der Kritik, die die Kritik der Waffen nicht ersetzen sollte, von der Expropriation der Expropriateure oder die Identifikation von Arbeits- und Konsumtionsprozess wurden durch Umkehrungen gewonnen. Wir finden diese Methodik des Erkenntnisgewinns auch in der Literatur etwa im „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil (Musil 2014), die dem Leser einen neuen Ausgangspunkt im analytischen Denken vermittelt. Zum Verhältnis von Leben und Tod heißt es: „Solche Leute brauchen beständig einige Tausend Verstorbener, um den Augenblick des Lebens mit Würde zu genießen“ (S. 4337) …
Herrschende Ideologie – Ideologie der Herrschenden? (I, 191)
Marx wird hier oft verkürzt zitiert so als ob es darum ginge, die Gedanken der herrschenden Klasse durch Meinungsforschung bei ihren Mitgliedern zu ermitteln. Dass dies nicht seine Meinung war zeigt sich schon an der eigenen Herkunft sowie dem Einkommen, das er auch aus der unternehmerischen Tätigkeit von Friedrich Engels bezog. Der entscheidende Satz im nachfolgenden Zitat steht daher erst nach der scheinbar subjektiven Formulierung am Anfang (siehe unsere Hervorhebung).
Marx unterscheidet zwischen (konkretem) Individuum und Klasse. Letzteres drückt ein objektives gesellschaftliches Verhältnis aus, das nur auf die Individuen einwirkt aber keineswegs verhindert, dass sie ganz anders denken. In der Deutschen Ideologie (Marx 1957): „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche herrschende Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft. Die Individuen, welche die herrschende Klasse ausmachen, haben unter Anderem auch Bewußtsein und denken daher; insofern sie also als Klasse herrschen und den ganzen Umfang einer Geschichtsepoche bestimmen, versteht es sich von selbst, daß sie dies in ihrer ganzen Ausdehnung tun, also unter Anderm auch als Denkende, als Produzenten von Gedanken herrschen, die Produktion und Distribution der Gedanken ihrer Zeit regeln; daß also ihre Gedanken die herrschenden Gedanken der Epoche sind.“
Verhältnisse zum Tanzen bringen (III, 273)
Der Spruch des Äsop „Hic Rhodos, hic salta“, der den Angeber zum Beweis seines sportlichen Könnens hier und jetzt reizen will, ist von Karl Marx (Marx 1969c S. 118) auf die Dialektik der Kämpfe der Arbeiterbewegung gemünzt worden. Danach sei das Ziel erreicht, wenn „die Verhältnisse selbst rufen Hic Rhodus, hic salta! Hier ist die Rose, hier tanze!“
(I, 221) Dostojewski lasst in dieser Rede (Dostoevskij, Rede 2003 – Aufzeichnungen aus dem Untergrund 1. Teil Kap. 7) einen ehemaligen Beamten, der in einem Keller am Rande von St. Petersburg haust, über seine Existenz und den Zustand der Gesellschaft philosophieren und wendet sich dabei vor allem dem Gewinnprinzip (Vorteilsprinzip) und seiner Rationalität zu, die er mit dem Begriff Zweimal-zwei-ist-vier belegt und damit auf die Quantifizierungsfunktion des Geldes vor allem auch auf die damit verknüpfte eindimensionale Vernunft des Gelderwerbs eingeht. Erkenne der Mensch seinen Vorteil, so wurde er vernünftig und horte auf, Schändlichkeiten zu begehen. Dies sei die moderne Botschaft (des Kapitalismus). Ähnlich wie Shakespeare in seinem Stuck Julius Caesar in der Grabrede des Mark Anton fur Caesar den Begriff »ehrbar« durch Wiederholungen im verschiedenem Kontext (»but Brutus was an honorable man«) auflöst, fuhrt Dostojewski den Begriff Vorteil in verschiedenen Zusammenhangen vor. Er wendet darin für die Kernannahme der kapitalistischen Ideologie, dem naturgegebenen Egoismus der Menschen in seiner pekuniären Form, die von Karl Marx in der Kritik an Hegel benannte Methode an (Karl Marx Marx 1969 – Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie S. 371). dass »man diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen (muss), dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt !«
Arbeiterklasse und wissenschaftliche Sichtweise (I,42)
Doch die von Marx gegebene Antwort, dass Wissenschaft interessengeleitet ist, der Widerspruch aber bei den richtigen Interessen aufgehoben ist, die die Interessen der lohnabhängigen Arbeiter als Klasse seien, die sich im Kommunismus verallgemeinern würden, weil es keine anderen Klassen mehr gäbe, war der bürgerlichen Revolution geschuldet. Sie hatte dies genauso den Bourgeois vorbehalten, ohne zu bemerken, dass auch diese nur eine Klasse repräsentierten. Allein eine Klasse, die erst noch allgemein werden muss, um ihre Wohltaten allen zu vermitteln, ist eine partielle Gruppe in der Gesellschaft, so wie es Adel, Bürgertum und Arbeiter dann auch waren. Muss sie sich selber als Erfüllung der Geschichte anbieten, so muss sie die anderen Klassen ganz konkret und persönlich ausschließen. Daher folgte aus dem Interessenbegriff des Marxismus auch die Forderung nach der Diktatur des Proletariats, die dem Leninismus und Stalinismus die Türen öffnete. Die bürgerliche Theorie war in dieser Hinsicht weiter. Sie trennte wirtschaftliche und politische Sphäre voneinander und verwirklichte damit im Staat die klassenlose Gesellschaft der citoyens (Staatsbürger), auch wenn in der mindestens ebenso wichtigen Wirtschaftssphäre der Arbeiter keine Chance erhielt, zum Bourgeois aufzusteigen. Wenn es also ein Interesse gibt, das „richtig“ ist, damit zukunftsweisende Einsichten für eine demokratische Gesellschaft vermittelt und somit auch wissenschaftlich relevant ist, dann muss es bereits hier und jetzt ein allgemeines Interesse sein. Insofern ist der Konsument und Nutzer diesen Anforderungen näher als der Arbeitnehmer oder Kapitalist. Auf das Geldsystem bezogen könnte man die hier zugrundeliegende Sichtweise als die Perspektive der Geldnutzer, also der Schuldner, identifizieren. Das würde erklären, warum mit dieser Sichtweise in einer Gesellschaft, die die Interessen der Geldbesitzer, Gläubiger und Investoren zum Maßstab aller Dinge erklärt, eine Schuldnerperspektive in allen Bereichen der Wirtschaft, in denen diese Umkehrung von Instrument und Ziel erfolgt ist, so viel Widerspruch und Kopfschütteln erntet
Das Sein bestimmt das Bewusstsein? (II,230)
Die Gegenthese („Das Sein bestimmt das Bewusstsein“) ist allerdings von Marx überspitzt worden. Althusser hat deshalb die Worte „in letzter Instanz“ eingefügt (Althusser/Balibar 1972). Er hat darauf hingewiesen, dass sich gerade an dem Lernprozess, den Marx bei der Lektüre von Smith, Ricardo und Hegel erfahren und dokumentiert habe, zeige, dass es auch eine theoretische Praxis gibt, auf die sich neue Bewusstseinsformen beziehen können, so dass auch theoretische Systeme neue theoretische Systeme hervorbringen. Ohne ein entwickeltes Recht entstehen keine neuen Rechtsvorstellungen. Doch im Grundsatz sind sich heute Soziologen und Neurologen einig. Menschliches Denken und Fühlen ist mit dem System verbunden, in dem es sich bewegt.
Marx hatte dies wie folgt formuliert: „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Oberbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseins formen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ (Marx 1969g Vorwort).
[1] I,37 = Das Geld Bd. 1 Fn. 37
Die (kapitalistische) Wirtschaft
Marx, Das Kapital: Problembeschreibung oder Lösungsansatz
Der weite Aristotelische Wirtschaftsbegriff trifft dabei auf die marxistische Kritik am Geldkapitalismus. Beide bedingen sich gegenseitig. 150 Jahre nach Erscheinen der drei Bände “Das Kapital“ scheint vieles von dem einzutreffen, was damals beschrieben wurde. Doch wenig von dem, was zur Überwindung der darin aufgezeigten Probleme des kapitalistischen Geldsystems geschrieben wurde, scheint heute noch brauchbar. Die Marx’sche Kritik trägt allzu sehr die Merkmale des Objekts, aus dem sie entsprang. Wir lernen auch bei Marx wie bei den von ihm kritisierten Zeitgenossen etwas über das Geld in seiner Funktionsweise innerhalb des kapitalistischen Systems. Doch Geld ist älter und universeller als der Kapitalismus. Erst durch die Rückbesinnung auf Aristoteles lernen wir etwas über die Funktionen des kapitalistischen Geldsystems in der Wirtschaft schlechthin. Doch das bedeutet keine Rückkehr. Hinter die Form des Kapitals kann die Geldnutzung nicht zurückfallen. Seine Funktion hat die Kooperationsfähigkeit der Menschen globalisiert und die Enge des Gemeinschaftsdenkens in der Wirtschaft überwunden. Jede zukünftige Wirtschaft wird dies bewahren bzw. aufheben müssen. Aufheben heißt aber beenden und auf eine höhere Stufe heben.
Marx’sche Wirtschaft und Realwirtschaft im 19. Jahrhundert (I,16)
Die großen Werke dieser Epoche sind in ihrer Großartigkeit daher zugleich auch Beschränkungen auf die bürgerliche Lebens- und Denkweise. Dass Hegel, Kant, Rousseau ebenso wie Adam Smith, David Ricardo glaubten, das erfasst zu haben, was, wie Goethe es nannte, »die Welt in ihrem Innersten zusammenhält«, ist angesichts der empirischen Dürftigkeit ihres Wissens über die wirkliche Welt doch nicht ohne Einfalt möglich gewesen. Die empirische Ignoranz des Adam Smith (dazu Polanyi 2007 – The great transformation), eines Savigny und Poithier (dazu die Kritik bei Ehrlich 1913 – Grundlegung der Soziologie des Rechts und Gierke 1914 – Dauernde Schuldverhältnisse) findet sich trotz der fundierenden Zeitungslektüre auch bei Marx, der Empirie in den Fußnoten weitgehend auf die Illustration des von ihm theoretisch als richtig Erkannten reduzierte. Der wenn auch dialektisch gemeinte Gegensatz zu Smith, Ricardo und Say im Kapital und zur »heiligen Familie« deutscher Philosophen in seiner Deutschen Ideologie oder gegenüber den Anarchisten wie Proudhon berücksichtigte zu wenig Widersprüchliches in der realen Geschichte. Der Kaufvertrag und seine Prinzipien menschlicher Beziehungen wurden implizit zum Grundmuster einer Gesellschaft, die man ohne Abstriche als kapitalistisch, bürgerlich, marktwirtschaftlich, synallagmatisch einordnete, obwohl die reale Gesellschaft überwiegend ganz anders funktionierte.
Kapitalistische Produktionsweise (I,21)
Karl Marx, der durchaus den Kapitalismus als notwendige Durchgangsstufe zu einer Gesellschaft erkannt hatte, die erst den Reichtum schafft, mit dem alle befriedigt werden könnten, hat diesen Begriff geprägt, jedoch wie überhaupt in seinem einfachen Widerspruch zu Adam Smith angesteckt von der Euphorie über das Erreichen des Endziels menschlichen Denkens bei Hegel vor allem hervorgehoben, dass der Kapitalismus sich in seiner gedanklichen Stagnation selber gegen die eigenen Ziele wenden würde. Doch wer die Stelle bei ihm sorgfältig liest, erkennt auch das Eingeständnis, dass der Kapitalismus diese Springquellen (Nutzung von Arbeit und Natur), die er nun zuschüttet, erst einmal eröffnet hat. So heißt es im Kapital: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« (Marx 1969 – Das Kapital S. 530).
Wirtschaft als Kooperation (I, 176)
Wirtschaft ist Kooperation in immer höheren Formen. Im 11. Kapitel des Kapital beschreibt Karl Marx(Marx 1969b MEW 23, 341 ff) die Kooperation auf die Manufaktur beschränkt, als er unter diesem Titel schrieb: „Die kapitalistische Produktion beginnt, wie wir sahen, in der Tat erst, wo dasselbe individuelle Kapital eine größere Anzahl Arbeiter gleichzeitig beschäftigt, der Arbeitsprozess also seinen Umfang erweitert und Produkte auf größerer quantitativer Stufenleiter liefert. Das Wirken einer größern Arbeiteranzahl zur selben Zeit, in demselben Raum (oder, wenn man will, auf demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben Warensorte, unter dem Kommando desselben Kapitalisten, bildet historisch und begrifflich den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Mit Bezug auf die Produktionsweise selbst unterscheidet sich z.B. die Manufaktur in ihren Anfängen kaum anders von der zünftigen Handwerksindustrie als durch die größere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital beschäftigten Arbeiter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist nur erweitert.“
Apropos Warenfetischismus (I, 503)
„Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr, .. Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. … Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist.“ (Marx 1976 Bd. 1 Kapitel I, 4.)
Marx hat die Warenform unter der Überschrift „Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ mit der Verkehrung des Bewusstseins erklärt, bei der der Wertausdruck des Geldes Wert und Nützlichkeit von Arbeit und Gebrauchsgütern überdeckt und damit den Kapitalismus undurchschaubar macht. Der Mensch schaffe sich mit dem Geld Lichteindrücke auf der Netzhaut, die ein äußeres Objekt darstellten, das in Wirklichkeit ein unsichtbares gesellschaftliches Verhältnis sei. Das verkehrte Bewusstsein öffne der Täuschung und dem Betrug die Tür.
Das Finanzsystem wäre danach ein großes Betrugssystem, bei dem die Betrügereien der Händler und Bankiers nur der konkrete Ausdruck dieses fehlleitenden Systems sind. John Kenneth Galbraith beschreibt in seinem letzten Werk den Kapitalismus als ein solches Betrugssystem an den bürgerlichen Werten von Freiheit, Gleichheit aber auch freiem Wettbewerb, privater Verantwortung und mündigem Verbraucher. Der Vorwurf des Betruges an der Arbeiterklasse durch eine behauptete Produktivität von Kapital untermauert die politischen Forderungen der sozialistischen Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts. In der modernen Diskussion hat sich der Betrugsvorwurf an der ausufernden täuschenden Werbung festgemacht und unter dem Begriff der „Warenästhetik“ etabliert. Bei den Einfällen und Irreführungen der Werbung handele es sich nur um einen konkreten Ausdruck des Warencharakters der Dinge und Leistungen, die das Geld idealtypisch darstelle.
Doch der Tauschwert ist keine Täuschung über reale Werte. Die ideologische Verkehrung des Wertbegriffs bei Marx und Adorno hat nichts mit der Täuschung über die Gebrauchswerte bei Goethe zu tun. Der bewusste Einsatz von Täuschungen ruft die Täuschung bei anderen hervor. Der Täuschung über den Wertcharakter der Ware gibt sich der Banker in wohlverstandenem Eigeninteres-se hin. Täuschung ist hier ein unlauteres Mittel, dort ein gedankliches Instrument zur Orientierung des eigenen Handelns. Bewusste Täuschungen über Scheinge-brauchswerten haben ihre Tradition in allen Wirtschaftsformen, wo die Men-schen versucht haben, den Mitmenschen „freiwillig“ persönliche Vorteile abzu-jagen. Die Geldgesellschaft monopolisiert lediglich den persönlichen Vorteil als Geldgewinn. Auch die Seeräuber auf den Nordseeinseln hatten mit ihren falschen Leuchtfeuern die Handelsschiffe getäuscht. Sie holten sich aber die Güter der getäuschten Handelsschiffe unmittelbar durch Raub.
Die Verkehrungen eines synallagmatischen Denkens gehören zu den unbewussten Heuristiken des Kapitalismus. Alle Wirtschaftsformen nutzen Verobjektivierungen gesellschaftlicher Verhältnisse.
Geld als Kapital
Durchschnittseinkommen und Zins (I, S. 186)
Marx erkannte, dass der Kapitalismus überall eine Verstetigung der Einkommen nach Durchschnittswerten vorgenommen hat. Die durchschnittliche Arbeitszeit bei der Produktion von Gütern als preisbildender Faktor auf dem Markt bleibt aber ebenso Fiktion wie der Zins. Für Marx ist der Zins daher durchaus Teil des Arbeitseinkommens, das sich bei ihm aus dem an den Arbeiter ausgezahlten Lohn und dem vom Kapitalisten einbehaltenen Mehrwert zusammensetzt. Von diesem Mehrwert behält der Kapitalist den Gewinn ein, während er den Zins an den Geldverleiher und die Pacht an den Grundbesitzer abführt. Der Zins ist daher keine Frucht des Geldes. Es ist aber eine pauschalierte Annahme, dass aus dem Wirtschaften mit Geld Werte geschaffen werden konnten.
Geld reduziert auf Kapital (I,43)
Marx hat kein Buch über das Geld geschrieben. Er hat sich in Bezug auf das Geld auf dessen Rolle bei der Kapitalbildung konzentriert. Ihn interessierten ausgehend von seiner Kritik der bürgerlichen Philosophen in seinen Frühwerken die in der Geldnutzung erkennbaren ideologischen Voraussetzungen für die Mehrwertproduktion im Kapitalismus. Er teilte mit der gesamten Wissenschaft des 19. Jahrhunderts die Befangenheit in der Vorstellung, dass der Kapitalismus den Feudalismus und alle anderen Systeme endgültig abgelöst habe und neben sich keine Alternative mehr dulde, es sei denn diejenigen, die er selber in seinem Schoß gebären werde. Er unterschied sich von den Theoretikern wie Smith, Ricardo, Hegel, Kant und Rousseau aber dadurch, dass er auch für die bürgerliche Gesellschaft noch eine Alternative für notwendig hielt und sie aber anders als die konservative Kapitalismuskritik im Schoße des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft entstehen sah. Es reichte also aus, sich mit dem Kapitalismus zu beschäftigen und seine Überlegenheit über alle anderen Wirtschaftssysteme zu betonen. Man musste ihn nur bei seinen eigenen Idealen ernst nehmen. Seine Überproduktionskrisen durch den tendenziellen Fall der Profitraten sowie die Verallgemeinerung der Lohnarbeit mussten nur als reale Chance dafür begriffen werden, ihn insgesamt vom Kopf auf die Füße zu stellen, d.h. der Arbeit statt dem Kapital die Schlüsselrolle zuzuerkennen.
Deshalb fehlen bei Marx (anders Engels Engels 1969b dazu FN 40) auch praktische Vorstellungen, wie eine Alternative in Sozialismus oder Kommunismus positiv gewendet auszusehen hätte. Seine Befreiung der Arbeiterklasse von den Ketten war Antithese ohne Synthese. Dies machte seine Theorie (und vor allem das Programm von Engels (Engels 1969b) politisch für Regime missbrauchbar, die praktisch auf feudale Konstruktionselemente einer Gesellschaft zurückgriffen. Marx war insofern auch kein Soziologe sondern blieb Modelltheoretiker und Philosoph. Allenfalls in seinen privaten Briefen an Engels (Marx/Engels 1936) scheint hindurch, wie die Menschen wirklich fühlten, dachten und wirtschafteten. Für Marx war das Geld nur als Mittel der Kapitalbildung in der synallagmatischen Wirtschaft interessant. Mit dem Begriff des Mehrwertes analysierte er seine Bewegungsgesetze. Mit Polanyi (Polanyi 2007) sind wir der Meinung, dass wir die konkreten Utopien in der Geschichte nur aufspüren können, wenn wir weit grundsätzlicher beim Geld als Steuerungsmittel allen Wirtschaftens anfangen und dabei dem umfassenden Ansatz zur Wirtschaft bei Aristoteles folgen. (Ähnliches gilt auch für den aristotelischen Vertragsbegriff Gordley 1991 S.10 ff)
Tatsächlich erkannte dieser schon – anders als die Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts – dass es den Kapitalismus (zumindest im Außenhandel) schon so lange gibt, wie es Kooperation gibt und das Geld seine Funktion in weit mehr Wirtschaftsformen ausübte. Es sind nur die dominierenden Denksysteme, die Exklusivität beansprucht haben, nicht aber die Systeme der Wirtschaft selber, in denen die Menschen tatsächlich zusammen arbeiteten. Um den Blick wieder auf das zu erweitern, was früher wie heute in einer gewissen Weise sinnvoll mit dem Geld in (je)der Wirtschaft geschieht, müssen wir den ideologischen Kokon durchstoßen, den jedes dominierende Denksystem in der Geschichte aufbaut, um sich als alternativlos darzustellen. Das gewinnorientierte synallagmatische Denken ist sicherlich die größte Barriere, um die gelebten Möglichkeiten von Wirtschaft für die Zukunftsgestaltung heute zu begreifen. Wir werden hier in den Fußnoten den Bezug zu den Arbeiten von Marx und Engels deutlich machen. Der kalte Krieg mit seinen beiden Kampfideologien von Anti-Kommunismus („Ich glaube, ich bin vor dem Verdacht geschützt, ein Vorkämpfer des Kommunismus zu sein. Trotzdem kann ich nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche. (Mann 1955)) und dem ähnlich konstruiertem Anti-Faschismus (dazu Gentili 2013) haben die Fortsetzung der von Marx begründeten Diskussion behindert. Mit dem Sieg marktwirtschaftlichen Denkens ist die politische Grundlage der Denkverbote entfallen.
Dabei zeigt sich aber auch, dass die alten hierarchischen und gemeinschaftsorientierten Denkmodelle von Wirtschaft keineswegs bewältigt sind und in neo-konservativen rechts- wie linksradikalen Alternativutopien verheerende politische Folgen zeitigen können, wenn sie nicht ebenfalls bewältigt werden
(I, 124) Geld und Eigentum gehören im Kapitalismus tatsächlich zusammen, aber eben nur als dessen Anschauungsweisen für den Gegenstand: das Kapital. Juristisch ist Kapital Eigentum (property), ökonomisch ist es Geld. Karl Marx tat daher Recht daran, sein Hauptwerk nicht das Eigentum oder das Geld sondern „Das Kapital“ zu nennen, weil ihn nur Geld und Eigentum in dieser historischen Verengung interessierten. Seine Kritik aber hätte schon Anlass sein müssen, diese Instrumente in ihrer ganzen historischen Bedeutung ins Blickfeld zu rücken.
Geld reduziert auf die Warenform (I,137)
Für Marx (Marx 1867 Kapitel 1, 1. 3.) war Geld ebenso wie für Smith und Riccardo (Marx 1867 Kapitel 3. Das Geld oder die Warenzirkulation) aus der Ware abgeleitet und damit selber eine Ware. Es bestand erst im und mit dem individuellen Tauschprozess: „Die Ware, welche als Wertmaß und daher auch, leiblich oder durch Stellvertreter, als Zirkulationsmittel funktioniert, ist Geld. Gold (resp. Silber) ist daher Geld. Als Geld funktioniert es, einerseits wo es in seiner goldenen (resp. silbernen) Leiblichkeit erscheinen muss, daher als Geldware, also weder bloß ideell, wie im Wertmaß, noch repräsentationsfähig, wie im Zirkulationsmittel; andrerseits wo seine Funktion, ob es selber nun in eigner Person oder durch Stellvertreter vollziehe, es als alleinige Wertgestalt oder allein adäquates Dasein des Tauschwerts allen andren Waren als bloßen Gebrauchswerten gegenüber fixiert.“ Noch deutlicher ist dies ausgeführt in seinen „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie“, die erst 1939 veröffentlicht wurden. Das II. Kapitel vom Geld lässt auf eine Abhandlung zur französischen Bankenkrise die fragmentarischen Überlegungen zu „Wesen und Entstehung des Geldes“ folgen, das in seinem Eingangssatz die Waren- und Tauschwerttheorie des Geldes wiederholt: „Ware a = 1 sh =Silber x1 e. i. Ware b = 2 sh =Silber x2 d.h. daher Ware b = dem doppelten Wert der Ware a. Das Wertverhältnis zwischen a und b ist ausgedrückt durch die Proportion, in der sich beide gegen das Quantum einer dritten Ware austauschen, gegen Silber; nicht gegen ein Wertverhältnis.“ Dazu auch die Ergänzungen zu [Geld als Maß der Werte] S. 681 f „Aus der Bestimmung des Geldes als Maß, wie zweitens aus dem Fundamentalgesetz, dass die Masse des zirkulierenden Mediums, eine bestimmte Geschwindigkeit der Zirkulation vorausgesetzt, bestimmt ist durch die Preise der Waren und die Masse der Waren, die zu bestimmten Preisen zirkulieren, …“ (Marx/Engels 1983).
Kapital reduziert auf Geld (I, S. 126)
Der Kapitalismus hat den Kapitalbegriff allerdings für das Geld usurpiert. Doch Kapital ist ein übergeordneter Begriff jeder Wirtschaft, die kollektive Güter herstellen muss. Das hatte schon Marx in seiner Mehrwerttheorie festgehalten, als er in der Kritik des Gothaer Programms die Sozialdemokraten schalt, sie wollten mit dem „Recht auf den vollen Arbeitsertrag“ (Lasalle) alles Produzierte aufessen und dächten dabei nicht an Morgen. Kapital ist Produktion für die Zukunft. Deshalb hat die Umgangssprache Recht, wenn Eltern Kinder als ihr „Kapital“ bezeichnen, wenn der Geiger auf seine Hände schaut und sie sein Kapital nennt, wenn der Arbeitgeber auf der Weihnachtsfeier verkündet, die Mitarbeiter seien das Kapital des Unternehmens. In der Sprache der Marxisten ist der akkumulierte Mehrwert das Kapital, für Keynes psychologisches Gesetz ist das Kapital die Gesamtersparnis, mit der investiert werden kann und für den Bauern ist es neben Vieh und Boden das Gesinde und das Saatgut.
Personifizierung des Finanzkapitals (III, 325)
Der naheliegende Ausdruck Finanzkapital ist fehl am Platz. In der Arbeiterbewegung wurde darunter umgekehrt die Verschmelzung von Geld- und Industriekapitalisten verstanden. (Hilferding 1912) S.283: „Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in industrielles Kapital verwandelt ist, das Finanzkapital.“ Für Lenin (Lenin Iljitsch 1917) stand der Begriff für die Verschmelzung von Banken und Realwirtschaft andererseits aber für die Loslösung der Finanzoligarchie von der übrigen Kapitalistenklasse. Marx stellte diese Vorstellung vom Kopf auf die Füße: „Das Kapital“ als gesellschaftliches Verhältnis könne nicht personalisiert werden: „Jedes einzelne Kapital bildet jedoch nur ein verselbständigtes, sozusagen mit individuellem Leben begabtes Bruchstück des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, wie jeder einzelne Kapitalist nur ein individuelles Element der Kapitalistenklasse ist.“ (1969 S. 351f) 351f.“)
Arbeiterklasse und Staat
Klassencharakter? (III,1)
Der Staat ist der einzig legitimierte Vertreter der Gesamtheit aller Wirtschaftssubjekte. Er ist für Funktionsweise und Werthaltigkeit des Geldes allein zuständig. Dies gilt für seine Regulierungsfunktion aber auch für die Verantwortung für die allgemeinen Bedingungen von Wirtschaft sowie die soziale Umverteilung über Steuern. Ohne den Staat können die Unternehmen untereinander nicht tauschen und ihr Kapital akkumulieren. Die Fokussierung auf den Unterdrückungsapparat des Staates bei Marx, der mit den preußischen Verfolgungen leben musste, hat vor allem Friedrich Engels (Engels 1969a) veranlasst, den Staat abwertend als den ideellen Gesamtkapitalisten zu bezeichnen, der zusammen mit dem bürgerlichen Recht überwunden werden müsse. (Absterbetheorie): “Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist.” (Engels 1969a S. 222) Doch die Geldgarantie des Staates ermöglicht auch die Bezahlung von Arbeit und den Erwerb der individuellen wie kollektiven Konsumtionsmöglichkeiten. Marx war hier wohl differenzierter. Nach seinem Plan von 1857 sollte dem ersten Band vom „Kapital“ ein vierter Band, das „Buch vom Staat“, folgen. (Brief an Engels v. 2.4.1858 MEW 29 S. 312 ff) Da Marx sich eine Zukunftsvision verbot und deshalb nicht darüber mutmaßte, wie der Sozialismus aussehen würde, ließ er viel Spielraum für diejenigen, die in seinem Namen später einen Staat aufbauten. Er selber hatte sich in seinen Frühwerken nur an Hegels Staatsverständnis abgearbeitet und daher den bürgerlichen Staat nur in seiner Funktion zur Aufrechterhaltung kapitalistischer Wirtschaft behandelt. Diese funktionale Betrachtungsweise hat wohl dazu geführt, seine Pläne zur Behandlung des empirisch vorfindbaren Staatsapparates aufzugeben. (Brief an Engels v. 31.7.1865 MEW 31 S. 132) Hätte er den in der „Deutschen Ideologie“ (Marx 1957 = MEW Bd. 3 S. 112) beabsichtigten Weg einer an der Empirie der Gesellschaft orientierten Darstellung der Geschichte auf den Staat angewandt, wäre wohl eine erheblich differenziertere Theorie entstanden. Lenin konnte daher sein Staatskonzept eines beliebig nutzbaren Instruments jeder gesellschaftlichen Klasse, die die Macht ausübte, als marxistisch ausgeben. (Lenin 1963). Die Annahme vom Klassencharakter des Staates hinderte Marx nicht, dem Staat eine Funktion in jeder Gesellschaft zuzuordnen. Er ist für ihn nicht Gesamtkapitalist. Darunter versteht er als „Gesamtkapitalisten, … (die) Klasse der Kapitalisten“ (Marx 1969bS. 249.) Er wirft gerade Hegel vor, er habe das Ideelle als „ein selbständiges Subjekt …, den Demiurg des Wirklichen“ dem Menschen entfremdet entgegentreten lassen. „Bei mir“, so fährt er fort, „(ist) umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“ (Vorwort S. 27) Das (materielle) Gesamtkapital ist dann „das Aktienkapital aller einzelnen Kapitalisten zusammen“. (Kapital Bd. 2 MEW 26 S. 431) Der ideelle Gesamtkapitalist ist derjenige, der die Interessen aller Kapitalisten zusammen als Gemeinschaftsaufgabe umsetzt.
Damit relativiert letztlich Marx die Theorie vom Klassencharakter des Staates, weil die Kapitalisten insgesamt Funktionen des Gemeinwohls ausüben. Hierin sind sie nicht nur Gegner der gesamtgesellschaftlichen Interessen. Auch sie organisieren für ihn die Wirtschaft, verwalten die Produktionsmittel und sorgen für die Erwirtschaftung des in jeder Gesellschaft notwendigen Mehrwertes. Sie haben also durchaus eine gemeinschaftserhaltende Funktion. Dabei unterdrücken sie sogar den einzelnen Kapitalisten, soweit die, wie Adam Smith es für notwendig erachtete, sich nicht am Gesamtinteresse stören müssten und sich mit dem Satz „nach mir die Sintflut“ (aprés moi le déluge) (Marx 1969bS. 285) vor der Gesamtverantwortung drücken würden. Integriert daher der Kapitalismus in langfristiger ideeller Gesamtbetrachtung Staatsziele, so ist der Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ zugleich auch notwendiger Vertreter des über das Geldkapital organisierten Sektors der Arbeit. Der Gesamtgesellschaft (Demokratie) obliegt dann nur die Kontrolle, dass sich nicht doch einzelne Kapitalien gegen das Gesamtkapital (Monopolbildung, Ausübung von Macht auch in nicht-produktionsbedingten Bereichen durch Kartell- und Wettbewerbsrecht, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz, Gewährleistung demokratischer Entscheidungsprozesse) durchsetzen.
Klasse (III,8)
In der Arbeiterbewegung war die Bourgeoisie dann die Klasse der ausbeutenden Fabrikanten. (Marx/Engels 2000) Marx war dabei der Überzeugung, dass in dieser Trennung zwischen egoistischem Bourgeois und gemeinwohlorientiertem Citoyen das Grundübel des Kapitalismus liege und verlangte in seiner Schrift zum Unterschied von Mensch und Citoyen, von Wirtschafts- und Staatsbürger, dass der Mensch den Staatsbürger nicht mehr abspalte sondern „in sich zurücknehme“. (S.350) Nur weil er dies in der Entgegnung auf einen Artikel von Bruno Bauer (Bauer 1843) diskutierte, hat sein im selben Jahr veröffentlichter Artikel zum Verhältnis von Bürgertum und Religion diesen Titel von Bauer übernommen. (Marx 1969f)
Demokratie (II,433)
Während die konservative Kritik des Liberalismus dem Machtverlust feudaler Eliten und dem Werteverlust im Volk nachtrauerte und unter Ablehnung der Demokratie einen starken Staatsapparat in den Händen einer hierarchisch geführten gemeinschaftlich organisierten Gesellschaft forderte, forderte Marx, was er als Vollendung der Demokratie ansah, in der die wirkliche Mehrheit der Bevölkerung, die Arbeiterklasse, die politische Macht nicht nur übernehmen, sondern auch zur einzig legitimen Macht in der Gesellschaft ausbauen sollte. Doch sie mißverstanden wohl bewusst den Grundsatz von Demokratie als gleicher Freiheit für alle, also auch für das Bürgertum. Während Marx und Engels wie in der Pariser Kommune noch anarchistische Alternativen als mit ihrer Theorie für vereinbar ansahen, als sie ein Absterben von Staat und Recht nach der Vergesellschaftung der Politik durch Aufhebung des Gegensatzes von Bourgeois und Citoyen prognostizierten, entwickelten Lenin (Lenin 1963) aber auch die Lasalleianer das Konzept, man müsse nur den bestehenden Staat übernehmen und für seine Zwecke einsetzen.
Das blieb nicht unumstritten. Während Lenin in dem Anarchisten Bakunin und in Trotzkis Konzept der permanenten Revolution Gegner seines autoritären Staatskonzeptes fand, erhielt der etatistische von Bebel und Liebknecht 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein unter Ferdinand Lasalle („Leipziger“) 1869 Konkurrenz vom Sozialdemokratischen Arbeiterverein („Eisenacher“), der die Abschaffung von Klassenherrschaft durch Genossenschaften und Internationalisierung an die Stelle der Eroberung des aktuellen Staates setzte. Nach der Vereinigung zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (Vorläufer der SPD) konnte er sich ebenso wenig durchsetzen wie Trotzki gegen Stalin. Die Staatsvarianten obsiegten. Demokratie war für Lenin unbedeutend. Für die SPD der Weimarer Zeit, die mit Notverordnungen und einem starken Präsidenten regierte, war entscheidend, wer auf diesen Staat den Einfluss hatte. Sie trafen sich dabei oft nicht ganz zufällig mit Konservativen, die als Vorläufer der Bismarck-Ära den starken Staat gegen die Anarchie des Marktes wendeten und dabei sogar den Begriff Sozialismus übernahmen (vgl. Stein 1842; Stein 1869-; Sombart 1897). Politisch zeigt sich dies auch bei Mussolini, der vom Chefredakteur des sozialistischen Avanti zum faschistischen Diktator aufstieg während Hitler mit den National-Sozialisten ähnliche Verwirrung nutzte. Rechte wie linke Strömungen trafen sich auch im Führerprinzip, wonach in sehr verschiedenen Regimen der Diktator als Duce (Mussolini), Führer (Hitler), Caudillo/Jefe (Franco), Massimo Lider (Castro), Conducator (Ceaucescu) und Vater (Stalin) bezeichnet wurde.
Sozialismus, Staat und Anarchismus (II, 439)
Der Begriff „Sozialismus“ ist ein beliebig verwendbares Etikett, mit dem sich sowohl Reaktionäre (National-Sozialismus) als auch Progressive (Sozialistische Internationale) mit entgegengesetzte Zukunftsversionen belegten. Der ideologische und politische Zusammenhang zwischen Proudhon, Bakunin, Gsell und modernen Autoren wie Kreutz bestätigt die Auffassung, dass die Ablehnung des Geldes tendenziell zu einer vordemokratischen Gemeinschaftsideologie zurückführt, die die faschistische Refeudalisierung einer entwickelten kapitalistischen Wirtschaft begünstigt. Karl Marx, der nach eigenem Bekenntnis 1844 in nächtelangen Diskussion sich mit Proudhon persönlich auseinandersetzte und in seinem eigenen Schriften den von ihm bewunderten polemischen Stil Proudhons kopierte, war dann wohl auch der gründlichste Kritiker dieser Theorie. Zuerst in einem Zeitungsartikel (Marx 1969e) und dann ausführlich in seiner Schrift zum „Elend der Philosophie“ (Marx 1969a) antwortete er auf dessen Kritik an Eigentum und Geld (Proudhon/Völkening/Raulet 2014) sowie dessen Darstellung der Geldtheorie (Proudhon 1846). Proudhon hat die rhetorische Frage gestellt, ob die Abstraktheit des Geldes von Gebrauchswert und Arbeit nicht rückgängig gemacht werden könnte. („Or, est-il possible de rétablir la série d’où la monnaie semble avoir été détachée, et, par conséquent, de ramener celle-ci à son véritable principe? » (a.a.O., S. 30)) Marx unterstellt hier Proudhon den gleichen Ansatz wie in der verfehlten geldhistorischen Erklärung der herrschenden Ökonomie. Proudhon gehe von der Arbeitsteilung als Voraussetzung aus, die ein Tauschbedürfnis der Menschen hervorgebracht habe, das dann mit Geld und Eigentum befriedigt worden sei. Die Geschichte der Arbeit sei damit auf den Kopf gestellt. Weil dieses Bedürfnis der Arbeiter zum Fremdnutzen missbraucht werde, gehe es nur noch darum, den Tausch anders als über das Geld, das der einzige Fehler der bürgerlichen Welt zu sein scheint, zu organisieren. Proudhon nehme damit den Standpunkt eines „kleinbürgerlichen Parzellenbauers in Frankreich“ ein. (S. 26) Ähnlich wie Engels gegenüber Bakunin (Marx/Engels 1969a, S. 388 f) kritisiert Marx bei Proudhon die Tendenz zur Entpolitisierung und Entstaatlichung. Bakunin (behaupte), der Staat habe das Kapital geschaffen, der Kapitalist habe sein Kapital bloß von der Gnade des Staats. Da also der Staat das Hauptübel sei, so müsse man vor allem den Staat abschaffen, dann gehe das Kapital von selbst zum Teufel; während wir umgekehrt sagen: schafft das Kapital, die Aneignung der gesamten Produktionsmittel in den Händen weniger, ab, so fällt der Staat von selbst.“ Staats- und Geldverneinung gehen bei den Anarchisten Hand in Hand. Die Verallgemeinerung der Kooperation (Globalisierung) bringt die Universalität des Geldes mit sich. Das Geld aber kann nur als rechtlich verbindliche Forderung in einem Raum zirkulieren, der mit staatlicher Macht diese Forderung eintreibbar gestaltet. Das Anwachsen zentraler übernationaler staatlicher Macht geht daher zusammen mit dem Anwachsen der Währungsräume. Ein Zurück gibt es in der Realität nicht mehr. Es gibt sie nur in der Ideologie. Damit ist diese Form des Anarchismus nicht nur konservativ sondern in der Gefahr reaktionär zu wirken, weil mit dem Geld zugleich auch dessen machtbegrenzenden Elemente von Freiheit, Gleichheit und Verantwortlichkeit aufgegeben werden. Im Ergebnis bleibt dann eine Geldwirtschaft, der der demokratische Staat abhandengekommen ist, weil sie dessen Zügelung angeblich nicht mehr braucht.
Marx/Engels beschreiben dies aus im agitatorisch gehaltenen Manifest der Kommunistischen Partei 1848 weit negativer als etwa Marx im Kapital oder in der Deutschen Ideologie, wo er die revolutionäre Rolle des Bürgertums weit positiver darstellt. Im Manifest heißt es: „Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt. Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.“ (Marx/Engels 2000)
(II, 553) Die Attraktivität des anarchistischen Feindbildes vom Staat, das links (Bakunin) wie rechts (Proudhon) und in der bürgerlichen Mitte (Hajek) Anhänger fand, beruht auf der Vorstellung, dass jeder Staat ein Eigenleben führt. Es ähnelt der Vorstellung von der Macht des Geldes oder des Zauberbesens. Die Klassentheorie von Karl Marx versäumte, den Staat soziologisch und empirisch als Ausdruck des gesamten Kräfteverhältnisses einer Gesellschaft und nicht nur einer Klasse darzustellen. Damit öffnete er Lenin (Lenin 1963) und Stalin einen Weg zur Legitimation ihrer Diktatur. Doch ein Verdienst seiner Klassentheorie besteht darin, dass sie den Staat als Form darstellte, dessen sich die tatsächlich in einer Gesellschaft Mächtigen zur Ausübung ihrer Macht bedienen.
In der Deutschen Ideologie (Marx 1957) schreibt Marx in dem Abschnitt über den Philosophen Feuerbach zum Gegensatz von materialistischer und idealistischer Anschauung: „Dieses Sichfestsetzen der sozialen Tätigkeit, diese Konsolidation unsres eignen Produkts zu einer sachlichen Gewalt über uns, die unsrer Kontrolle entwächst, unsre Erwartungen durchkreuzt, unsre Berechnungen zunichte macht, ist eines der Hauptmomente in der bisherigen geschichtlichen Entwicklung, und eben aus diesem Widerspruch des besondern und gemeinschaftlichen Interesses nimmt das gemeinschaftliche Interesse als Staat eine selbständige Gestaltung, getrennt von den wirklichen Einzel- und Gesamtinteressen, an, und zugleich als illusorische Gemeinschaftlichkeit, aber stets auf der realen Basis der in jedem Familien- und Stamm-Konglomerat vorhandenen Bänder, wie Fleisch und Blut, Sprache, Teilung der Arbeit im größeren Maßstabe und sonstigen Interessen – und besonders, wie wir später entwickeln werden, der durch die Teilung der Arbeit bereits bedingten Klassen, die in jedem derartigen Menschenhaufen sich absondern und von denen eine alle andern beherrscht. Hieraus folgt, daß alle Kämpfe innerhalb des Staats, der Kampf zwischen Demokratie, Aristokratie und Monarchie, der Kampf um das Wahlrecht etc. etc., nichts als die illusorischen Formen sind, in denen die wirklichen Kämpfe der verschiednen Klassen untereinander geführt werden (…) und ferner, daß jede nach der Herrschaft strebende Klasse, wenn ihre Herrschaft auch, wie dies beim Proletariat der Fall ist, die Aufhebung der ganzen alten Gesellschaftsform und der Herrschaft überhaupt bedingt, sich zuerst die politische Macht erobern muß, um ihr Interesse wieder als das Allgemeine, wozu sie im ersten Augenblick gezwungen ist, darzustellen.“ So wie die Macht des Geldes nur eine Macht mit dem Geld ist, so ist auch die Macht des Staates nur eine Macht mit dem Staat, mit der man allerdings gebändigt durch die Idee und das Recht der Demokratie nicht mehr alles machen kann.
Reform oder Revolution. Sozialdemokratie oder Sozialismus? (I,25)
In der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1844) (Marx, Thom 1986 – Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie) sieht Marx die Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft, die er in Frankreich sich allmählich (sozialdemokratisch), in Deutschland allerdings sich nur revolutionär (kommunistisch) entfalten sieht: »In Frankreich genügt es, dass einer etwas sei, damit er alles sein wolle. In Deutschland darf einer nichts sein, wenn er nicht auf alles verzichten soll. In Frankreich ist die partielle Emanzipation der Grund der universellen. In Deutschland ist die universelle Emanzipation conditio sine qua non jeder partiellen. In Frankreich muss die Wirklichkeit, in Deutschland muss die Unmöglichkeit der stufenweisen Befreiung die ganze Freiheit gebären. … Wenn das Proletariat die Negation des Privateigentums verlangt, so erhebt es nur zum Prinzip der Gesellschaft, was die Gesellschaft zu seinem Prinzip erhoben hat, was in ihm als negatives Resultat der Gesellschaft schon ohne sein Zutun verkörpert ist.« Im Kommunistischen Manifest erhebt er dagegen zusammen mit Engels (1888) (Marx, Engels 2000 – Manifest der Kommunistischen Partei) die typisch deutsche Problematik der undialektischen Vernichtung der synallagmatischen Ideologie hervor: »Die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst. Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.«
(II,106) Marx verlangte im Kommentar zu Napoleon (Marx 1969cS. 159) die bürgerliche Revolution ernst zu nehmen und die soziale Einlösung ihrer Ideale für alle zu fordern: „Die Bourgeoisie hatte die richtige Einsicht, daß alle Waffen, die sie gegen den Feudalismus geschmiedet, ihre Spitzen gegen sie selbst kehrten, daß alle Bildungsmittel, die sie erzeugt, gegen ihre eigne Zivilisation rebellierten, daß alle Götter, die sie geschaffen, von ihr abgefallen waren. Sie begriff, daß alle sogenannten bürgerlichen Freiheiten und Fortschrittsorgane ihre Klassenherrschaft zugleich an der gesellschaftlichen Grundlage und an der politischen Spitze angriffen und bedrohten, also ‚sozialistisch‘ geworden waren.“
(II, 116) Im Gegensatz zur sozialdemokratischen Auffassung, dass der Unterschied von Reichtum und Armut als das Haben und Nicht-Haben von Gegenständen die Benachteiligung beschreibt, sieht Marx allein im Produktiveigentum die große Gefahr der Bereicherung. Allein das Produktiveigentum verfüge über die gefährliche Fähigkeit, sich fremde Arbeit einzusaugen und diesen Mehrwert dann als Eigentümer ohne die Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu verwalten. Diesen Prozess und nicht den Wucher nannte Marx wie ausgeführt (FN 95) Ausbeutung. Der Mehrwert (und damit die Frucht der „Ausbeutung“ i.S. von Lasalle seien für den Fortschritt und das Sparen notwendig. Mit den arbeitsrechtlichen Instrumenten der Mitbestimmung sowie dem Tarifvertrag ist ein Teil der Marx’schen Kritik entfallen.
Geburtswehen (II, 577)
Marx (Marx 1969bS. 15f) benutzt diese evolutionäre Metapher („Geburtswehen“) im Vorwort zur ersten Auflage des Kapitals: „Von höheren Motiven abgesehn, gebietet also den jetzt herrschenden Klassen ihr eigenstes Interesse die Wegräumung aller gesetzlich kontrollierbaren Hindernisse, welche die Entwicklung der Arbeiterklasse hemmen. Ich habe deswegen u.a. der Geschichte, dem Inhalt und den Resultaten der englischen Fabrikgesetzgebung einen so ausführlichen Platz in diesem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der andern lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist – und es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen -, kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.“ Diese Aussage ist angesichts der späteren Hinwendung zu einem revolutionären und gewaltsamen Subjektivismus, mit dem seine Apologeten die analytische Bescheidenheit des ursprünglichen Ansatzes übergingen, erstaunlich. Marx ist hier Reformist. Der „Klassenfeind“ ist potenzieller Kooperationspartner beim Bau der Zukunft. Es gilt aber nur dialektisch, d.h. i.S. einer Bewegung der Gesellschaft, die von Widerspruch zwischen These und Antithese zur neuen (Syn)These hin getrieben wird. Arbeiter und Kapitalist bleiben in der in sich sinnlosen Arbeitswelt gefangen. Sie sind die Konkurrenten bei der Verteilung des Mehrwertes. Dieser Wettstreit ist im Interesse der Förderung von Produktivität und Vorsorge notwendig. Man kann ihn nur rational machen und in die Formen friedlicher Tarifauseinandersetzungen einbetten. Eine Synthese zum Durchbruch humaner Interessen in der Wirtschaft kann nur durch Aufhebung der Isolation des Arbeitsbereichs erfolgen, indem Arbeiter wie Kapitalisten das Ziel, das gute Leben und damit den Konsum, in ihr Denken integrieren. Marx, der die Arbeit in den Himmel hob, muss selbst vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die Arbeit ist nur das Mittel zum Konsum, nicht jedoch selber Ziel. Aristoteles war hier weiter als Marx. (dazu FN III-201)
Sozialismus und katholische Soziallehre (II, 61)
Die Berufung (von Roman Herzog) auf Marx im gleichen Atemzug wie auf Papst Johannes Paul II in seiner Kritik des Liberalismus als Ursache der Finanzkrise geht an der Tatsache vorbei, dass Marx anders als der Papst den Kapitalismus als notwendiges Durchgangsstadium darstellte, das mit seinen Gleichheits- und Freiheitsidealen auch ideologisch die Instrumente für eine Fortentwicklung der Gesellschaft im Sinne einer gesellschaftlichen Produktivität erst bereitstellte. Man müsse die Waffen, die die Bourgeoisie geschmiedet habe, gegen sie selbst wenden, heißt es in der Deutschen Ideologie. Marx war weit weniger Kapitalismus kritisch als viele seiner Anhänger und Gegner meinen. Es dauerte ihm nur zu lange, wobei er die Fähigkeiten des Menschen zu vorausschauendem Planen und Handeln letztlich überschätzte, obwohl er dies doch dem Überbau über eine rein ökonomisch bestimmte gesellschaftliche Basis zuordnete. Wenn sich Konservative wie Linke der Marx’schen Kritik bemächtigen und sie mit der katholischen Soziallehre vermengen, so wird die berechtigte Kritik zu einer gefährlichen Rechtfertigung illiberalen Gedankengutes.
Verelendungstheorie? (II, 102)
Man hat Karl Marx unterstellt, er habe eine solche Verelendungstheorie vertreten, wonach die Armen im Kapitalismus immer ärmer werden müssten. (vgl. z.B. Wirtschaftslexikon24 2010) Man stützt sich dabei auf Aussagen wie die folgende: „Es (das kapitalistische System U.R.) bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d. h. auf Seite der Klasse, die ihr eigenes Produkt als Kapital produziert.“ (Marx 1969bS. 674f)
Dieser Ansatz bei Marx wurde dann zum Hauptbeweis für die Fehlerhaftigkeit der Marx’schen Theorie, da es den Arbeitern im Kapitalismus offensichtlich immer besserginge, weil mehr Verteilungsgerechtigkeit im Kapitalismus, wie ihn die Sozialdemokraten vertraten, empirisch möglich wurde. Doch letztlich traf man damit nicht seine Theorie, sondern nur deren empirische Untermauerung für die damalige Zeit. Marx illustrierte seine Mehrwerttheorie mit den Berichten zur Lage der arbeitenden Klassen vor allem in England und fügte das aus unverdächtigen Quellen bezogene Material in die Fußnoten seines Hauptwerkes ein. (vgl. z.B. Marx 1969b S. 644 FN 75).
Marx zitierte hier Schriften wie die des Dr. Richardson (S. 269 FN 89) vom „dreifachen Elend der Näherinnen (Überarbeitung, Luftmangel, Mangel an Nahrung)“ in den Fabriken. Er zitiert den Bericht des Generalgouverneurs von Indien: „Das Elend findet kaum eine Parallele in der Geschichte. Die Knochen der Baumwollweber bleichen die Ebenen von Indien.“ (S.455) sowie den Parlamentsbericht von 1842 über „das furchtbarste Gemälde von Habsucht, Selbstsucht und Grausamkeit der Kapitalisten und Eltern, von Elend, Degradation und Zerstörung der Kinder und jungen Personen, das jemals das Auge der Welt schlug“. (S.517) Er übersah auch nicht, dass das feudale „Elend des französischen Landvolks unter Ludwig XIV“ (S.154) nicht viel geringer war. Der Begriff „Elender“ (engl. „wretch) sei, so Marx, ein „Kunstausdruck der politischen Ökonomie für den Agrikulturarbeiter“. (S. 415)
Der Begriff „Verelendung“ kommt jedoch im Kapital nicht vor. Vor allem seine Kritiker haben seine Beschreibungen der Auswüchse des Kapitalismus und vor allem der Mechanisierung der Produktion („Elend“) mit seiner theoretischen Aussage verbunden. Der zufolge verringert der Kapitalismus den Lohnanteil am Mehrwert ständig, so dass im Verhältnis zum gesamten gesellschaftlichen Reichtum der Kapitalbesitzer der Anteil derjenigen, die über kein Kapital sondern nur ihre Arbeitskraft verfügen, relativ abnimmt. An der Richtigkeit allein dieser Aussage besteht kein Zweifel. Dies zeigen nicht nur die Zahlen von Piketty (Piketty 2014) Auch logisch ist sie kaum widerlegbar. Die Marx’sche Theorie von der Verfügungsmöglichkeit der Kapitalbesitzer über den Mehrwert nimmt zu recht an, dass bei wachsender organischer Zusammensetzung des Kapitals (also relativer Abnahme des Faktors Arbeit im Verhältnis zum Kapital), Miete, Zins und Gewinn gegenüber dem Lohn einen immer größeren Anteil am Erlös einnehmen. Eine absolute Verelendungstheorie, wonach die Armen immer Ärmer werden, gibt es bei ihm nicht. Hier sieht er beide Tendenzen: das Interesse des Einzelkapitalisten, den Arbeitstag zu verlängern und zugleich das Interesse des ideellen Gesamtkapitalisten, ihn zu verkürzen, um die Ware Arbeitskraft zu erhalten. Bzgl. der Erhöhung des relativen Anteils der Kapitalisten am Arbeitsertrag, wie es Lasalle mit dem „Recht auf den vollen Arbeitsertrag“ postulierte, finden sich bei Marx sehr verschiedene Aussagen. Im Kapital beklagt er die Auswüchse mit den Phänomenen absoluter Verarmung, bei der Kritik des Erfurter Programms der Sozialdemokraten hebt er dagegen die Vorteile hervor, wenn statt des Konsums die Investitionsgüterindustrie forciert wird.
Er kommentiert so die Auffassung eines Ministers im englischen Parlament von 1863, der die Regierung dazu beglückwünschte, dass „während die Reichen reicher, …die Armen jedenfalls weniger arm geworden“ seien. Marx hält dem entgegen, dass es um die relative Verelendung geht, wenn er schreibt: „Wenn die Arbeiterklasse ´arm´ geblieben ist, nur ´weniger arm´ im Verhältnis, worin sie eine ´berauschende Vermehrung von Reichtum und Macht‘ für die Klasse des Eigentums produzierte, so ist sie relativ gleich arm geblieben.“ (S. 681) Die grundlegende Kritik am Kapitalismus liegt bei Marx daher nicht darin, dass dieses Gesellschaftssystem unnötiges Elend produzieren müsse, wie es philanthropische Parlaments- und Zeitungsberichte seiner Zeit nahe legten. Er hält dies nur für eine Folge des eigentlichen Grundproblems des Kapitalismus, dass nur wenige, die er als Eigentümer oder Kapitalisten bezeichnet, darüber bestimmen, was mit dem gesamten erwirtschafteten Mehrwert passiert. Sein Maßstab ist daher nicht die Verteilung zwischen Arm und Reich sondern das demokratische Ideal. Ob unter demokratischen Verhältnissen, bei der die Mehrheit (die er mit der Arbeiterklasse gleich setzt) über die Verwendung bestimmt, eine andere Verteilung bestimmen wird, lässt er dann aber in der Kritik am Gothaer Programm der SPD (Marx 1890) offen. Insoweit gibt es keine Verelendungstheorie bei Marx sondern nur eine Mehrwerttheorie, mit der er das zu seiner Zeit erkennbare Elend der Arbeiter erklärt. (ähnlich Wagner 1976 S. 79 f)
(II, 571) Marx kannte daneben auch die Erhöhung des absoluten Mehrwerts, der sich für ihn aus der Verlängerung der Arbeitszeit sowie der Senkung der Löhne unter das Subsistenzminimum ergab. Doch er erkannte frühzeitig, dass der Kapitalismus der Mehrwerterhöhung aus der Produktivitätssteigerung größeres Gewicht beimessen musste, weil der verarmte Arbeiter für die erhöhte Produktivität selber ein Hindernis wurde. Die Sozialdemokratisierung der Gesellschaft entsprach insoweit schon seiner Theorie der Mehrwertschöpfung. Er bezeichnete sie unzutreffend als Ausbeutung, obwohl bei der Erhöhung des relativen Mehrwertes eigentlich ein kooperativ teilbarer Mehrwert entsteht, der einen Interessengleichklang bei der betrieblichen Entwicklung nicht unbedingt ausschließt. (vgl. Marx 1969b 14. Kapitel Absoluter und relativer Mehrwert)
Lumpenproletariat und Überschuldete (II,181)
Marx hat diesen Mechanismus schon beim Lumpenproletariat analysiert, in dessen Zusammensetzung er durchaus die SA-Leute der NS-Zeit vorausahnte. Deren „Pakt mit dem Teufel“ (bei Marx 1848 mit Napoleon III) gegen die Französische Revolution führte er auf „Käuflichkeit“ zurück(Marx/Engels 1969b), die eher eine Folge der Anpassung aus Abstiegsangst und Ausgestoßen sein ist. Dieser psychologische Effekt hilft den Opfern in vielen Situationen. In der Demokratie ist er nützlich, wo das Herrschende auch das Erstrebenswerte ist. Der äußere und innere Druck auf säumige Schuldner gewährleistet dann, dass sie im eigenen Umfeld sich selbst verpflichten, alles dafür zu tun, dass das Kapital produktiv verwertet wird. Soweit der Schuldner eigene Möglichkeiten dazu hat, wird er sie nutzen.
Für die Versuche, das überholte System der Schuldzuweisung bei Schuldnern zu reformieren, wird dies Verhalten aber zum Hindernis. Die Betroffenen sind Kronzeugen der Gläubiger. Ihr Bewusstsein wird zur Selbstzerstörung, wo sie keine Möglichkeiten der Abhilfe haben. Deshalb müsste die Ideologie in nützliche und zerstörende Teile zerlegt werden. Soweit sie sich auf Schulden bezieht, die nicht rückzahlbar sind und an denen der Schuldner etwa bei langanhaltender Arbeitslosigkeit kein Vorwurf treffen kann, muss er sich selber vom Schuldvorwurf befreien. Schuldnerschutzvorschriften könnten dies vermitteln. Stattdessen formulieren sie aber statt eines Rechtes eine Gnade, die mit dem Anspruch an Dankbarkeit das Gefühl der Sünde nur verstärkt, so wie es sich die zitierte Rabbinerin (FN 166) für die Religiosität wünscht.
Arbeit und Konsum
Arbeit statt Konsum – das bürgerliche Erbe (I, S. 36)
Wir werden uns aber in einem entscheidenden Punkt getrauen, auch die Marxʼsche Theorie als Teil der herrschenden Philosophie und ökonomischen Anschauungen zu betrachten und vom Kopf auf die Füße zu stellen. Marx unterschied sich insofern nicht von Riccardo, Smith oder Hegel, als er wie sie die Arbeit zum ersten Bedürfnis der Menschen erklärte und in der mit ihnen geteilten Arbeitswertlehre die Grundlage alles Wirtschaftens und damit auch der Menschheit sah. Das schien weniger ideologisch als wie die heute herrschende Annahme, dass das Produktive an der menschlichen Arbeit eine Frucht seiner angewandten Instrumente ist und damit letztlich aus jeder Form des Kapitals entspringen kann. Doch dies ist zu kurz gedacht. Arbeit ist nicht nur produktiv, wo sie einen Geldwert hervorbringt. Wir halten mit Aristoteles auch die Arbeit nur für ein Instrument zum Erreichen des guten Lebens, das letztlich dem individuellen wie kollektiven Konsum der Menschen dient. Ziel der Wirtschaft ist daher der Konsum und nicht die Arbeit.
(I,40) Es herrschte die Vorstellung von einer Arbeitsgesellschaft, in der die Arbeit zum „ersten Bedürfnis der Menschen“ erklärt wird und die der Kapitalismus mit seinen feudalen Vorgängersystemen teilt. Marx teilte diese Ideologie in seiner Vision vom Kommunismus als er schrieb: „In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (Marx 1890 S. 21). Nicht nur dass Arbeitsteilung hier als Knechtung statt als kooperative Möglichkeit einer gesellschaftlichen Produktionsweise begriffen wird. Er macht auch recht populistisch für die Mühe der Arbeit den Kapitalismus verantwortlich, statt sie in die Verantwortung der Natur zu bringen. Sprachlich hat Marx zudem einen Trick angewandt. Er ersetzte das Gegensatzpaar von Arbeit und Konsum durch den Begriff der Produktion. Der Konsument reproduziere sich selber und sei damit ebenso Produzent wie der Arbeiter. Er schreibt dazu im Kapitel über die Einfache Reproduktion (Marx 1969b S.591ff): „Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses, er muss kontinuierlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Stadien durchlaufen. Sowenig eine Gesellschaft aufhören kann zu konsumieren, kann sie aufhören zu produzieren. In einem stetigen Zusammenhang und dem beständigen Fluss seiner Erneuerung betrachtet, ist jeder gesellschaftliche Produktionsprozess daher zugleich Produktionsprozess.“ Damit verdeckt er, dass für den einzelnen zwischen Konsum und Arbeit durchaus erhebliche Unterschiede der Lustempfindung bestehen und der Konsum um seiner selbst willen erfolgt, während die Arbeit das konsumtive Ziel anstrebt.
Schaut man sich dazu noch die furchteinflößenden Ideen von Friedrich Engels zum Kommunismus (Engels 1969b) an, zeigt sich, wie hilflos auch die Klassiker mit der Frage umgingen, wie durch eine Neuorganisation der Arbeit und Kooperation die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft umgesetzt werden könnten. So entwirft Engels (Engels 1969b), indem er die Form des kleinen Katechismus von Martin Luther aus dem Jahre 1529 benutzt, in den Antworten zu Frage 18 eine Horrorliste, in der die Freiheit durch eine Gemeinschaftsdiktatur ersetzt wird. Darin wird fast alles verstaatlicht (z.B. auch unter 6. die Banken) und der Rest vergemeinschaftet. (z.B. die Kinder unter 8. sowie in Frage 21) Es ist ein Manifest der Unfreiheit, das man nur entschuldigen kann, wenn man in Rechnung stellt, dass Marx wie Engels nur einen ökonomisch beschränkten Blick auf die bürgerliche Gesellschaft hatten.
Der Mensch lebt weil und indem er konsumiert. Die Arbeit ist, wie Marx es mit den klassischen Ökonomen für den Kapitalismus analysierte, nur ein „Mittel zur Bedürfnisbefriedigung“. Sie wird aber nie selber zum Bedürfnis. Sie kann die Voraussetzungen für den Genuss schaffen, wenn sie die Konsumtionsmittel wie das Brot herstellt. Sie kann aber auch den Konsumtionsprozess selber bestimmen, wenn etwa im Transport mit dem privaten PKW der Fahrer die dadurch bewirkte Ortsveränderung nicht nur konsumiert sondern auch zeitgleich erarbeitet. Taxi- und Privatfahrer arbeiten dann gleich. Allein das Ziel, der Konsum, wird einmal unmittelbar in der Transportleistung erreicht, während er zum anderen mittelbar durch die Erzielung eines Einkommens ermöglicht wird, mit dem der Konsum finanziert werden kann. (dazu III.B.2.e)) Allerdings kann Arbeit und Konsum als Produktions- und Reproduktionsprozess so ineinander verwoben sein, dass – wie beim Kind im Kirschbaum – die Arbeit des Pflückens und der Konsum der Kirschen integriert sind. (Subsistenzwirtschaft) Dass im Beruf oft die Kommunikationsbedürfnisse besser am Arbeitsplatz als in der Familie gestillt werden, zeigt die vielen Gesichter, die ineinander verschränkte Arbeits- und Konsumtionsprozesse haben. Auch diese Gedanken hier werden in einer Form produziert, die zugleich als Produkt vom Autor konsumiert werden können. Arbeit und Konsum vermischen sich doch ihre Funktionen bleiben getrennt.
„Die Produktion ist unmittelbar auch Konsumtion, Doppelte Konsumtion, subjektive und objektive: das Individuum, das im Produzieren seine Fähigkeiten entwickelt, gibt sie auch aus, verzehrt sie im Akt der Produktion, ganz wie das natürliche Zeugen eine Konsumtion von Lebenskräften ist.“
„Der Arbeitsprozess, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt haben, ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam. Wir hatten daher nicht nötig, den Arbeiter im Verhältnis zu andren Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit auf der einen, die Natur und ihre Stoffe auf der andren Seite genügten.“ Kritik erreichte Marx in den eigenen Reihen schon von seinem Schwiegersohn Paul Lafargue, der 1880 einen Aufsatz gegen die „Arbeitssucht“ der Theoretiker unter dem Titel „Le droit à la paresse“ veröffentlichte.
Konsum als Arbeit (III,201)
Der Widerspruch von Arbeit und Konsum, von Mühe und Genuss, von der Produktion von Gütern und ihrer Vernichtung, vom Reich des Zwangs und dem Reich der Freiheit spielte eine große Rolle in der Legitimation des Kapitalismus. Der Antagonismus zwischen (lohnabhängiger) Arbeit und (gewinnorientiertem) Kapital wurde damit auf eine natürliche Grundlage zurückgeführt. Aus ihrer systemischen Einbettung in den Markt befreit sollten Arbeit und Konsum den systemübergreifenden Antagonismus erklären, für den der Kapitalismus weder verantwortlich gemacht werden kann noch überhaupt zuständig erscheint. Entsprechend wurde daraus eine natürliche Feindschaft zwischen Arbeitern und Konsumenten, zwischen Gewerkschaften und Verbraucherverbänden. Der Verbraucher als Gruppe wurde das sichtbare Gegenbeispiel zum Klassenbegriff der Sozialisten im Arbeitsbereich. Verbraucher sei jeder, Arbeitnehmer nur derjenige, der nicht Unternehmer sei. Marx (zitiert oben FN I-164) hat auf die Unsinnigkeit der Unterscheidung hingewiesen. Er hat den Unterschied als Ausdruck einer fiktiven Spaltung zwischen der für die Gesellschaft insgesamt (Gewinn, gutes Leben) und der allein für das Kapital (Profit, Gewinn) geleisteten produktiven Arbeit erklärt. (Marx 1969b S. 531f) Für den Unterschied zwischen Konsum und Arbeit taugt sie nicht. In der Philosophie unterscheidet man lieber die vita activa von der vita contemplativa. Die Arbeit als Teil des aktiven Lebens schaffe Güter, die verbraucht oder gebraucht werden. (Arendt 1994) Inzwischen löst sich der Unterschied in der Praxis auf. Ökologisch verantwortlicher Konsum macht den Konsum zur selektiven Arbeit, do-it-yourself führt zu fremdbestimmten Arbeitsprozessen …
Arbeitskraft und Arbeitsvertrag (III, 253)
Das Dogma, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer (d.h. seine Arbeitskraft) nutzt, scheint unumstößlich. Es wirft das Arbeitsrecht aus den Kapitalnutzungsverhältnissen, weil es scheinbar keine Kapitalnutzung gibt. Selbst Anhänger der Human Capital Idee sehen nach Abschaffung der Sklaverei weder Arbeit noch Arbeitskraft der Arbeitnehmer als Kapital an. Karl Marx erklärte mit dem Begriff des „variablen Kapitals“ (vgl. Marx 1969b: 6. Kapitel „Konstantes und Variables Kapital“ S. 214 ff) den Arbeitsprozess zu einem Geldschöpfungsprozess, der den an die Produktionsfaktoren zu verteilenden Mehrwert schöpfte. Die eigentliche Kapitalnutzung in der Nutzung der Produktionsmittel geriet durch aus dem Blickfeld. Während der Arbeitgeber den kaufrechtlichen Individualarbeitsvertrag liebt, möchten die Gewerkschaften ihn durch den Tarifvertrag überformen. Statt für die Vertragsfreiheit der Arbeitnehmer streiken sie eher für die Tarifautonomie der Gewerkschaften. Dabei zeigt das Aufkommen des Arbeitsvertrages mit Beginn der industriellen Revolution, dass die Nutzung von Produktionsmitteln, die Arbeitsteilung und Kooperation unter gemeinsamer Leitung sachnotwendig machen, den Arbeitsvertrag als Nutzungsvertrag fremden Kapitals für persönliche Bedürfnisse der Arbeit erklären.
(III,259) Die Arbeiter der Fabriken konnten hieran (Vertragsfreiheit der Person im Kaufvertrag) nicht anknüpfen. Sie hatten die Idee der bürgerlichen Revolution niemals erfahren, wonach man die Produktionsmittel nutzen und auf Augenhöhe mit deren Besitzern kooperieren konnte. Sie kamen aus den leibeigenen Verhältnissen auf dem Lande und waren leicht an neue Herrschaft zu gewöhnen. Dazu half das Auftreten der neuen Herren, die vor allem in Deutschland im feudalen Gewand als Schlotbarone auftraten. Das Eigentum an Produktionsmitteln verhinderte die Anwendung der Grundsätze von Freiheit, Gleichheit und Sicherheit für diese Menschen. Der Lohn war alles was die neue Freiheit für sie brachte. Ihr vorheriges Los auf dem Lande war teilweise sogar würdiger und besser gewesen. Die Idee vom Sklaven im Kapitalismus durchzog die Arbeiterbewegung bis ins 20. Jahrhundert. Im kommunistischen Manifest heißt es: Die Bourgeoisie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern. In dem Lied der Arbeiterbewegung, der „Internationalen“, heißt es: „Heer der Sklaven, wache auf!“ Überall wird die Marx’sche Gleichsetzung von Lohnarbeit und Sklaverei aufgenommen. Empirisch hatten die Marxisten Recht. Die Lebensverhältnisse der Arbeiter waren nicht besser als die der Sklaven. Rechtsdogmatisch erlagen sie einem gravierenden Irrtum. Der synallagmatische Mietvertrag wäre gerade das Vehikel zur Befreiung der Arbeiter gewesen und nicht die Anerkennung seiner Unterdrückung und Ausbeutungsmöglichkeit. Er musste dazu aber vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Vermieter ist nicht der Arbeitnehmer sondern der Arbeitgeber, der damit wie in allen Verhältnissen der locatio conductio die Möglichkeit der Kapitalnutzung vermittelt. Er gibt zwar nicht die Arbeit aber die Arbeitsgelegenheit. Der Mieter wäre dann der Arbeitnehmer. Die Begrifflichkeit stimmt daher. Der Lohn ist dann das Entgelt für die Nutzung der Arbeitsergebnisse durch den Arbeitgeber, nicht aber das Entgelt für die Nutzung der Arbeitskraft wie bei der Sklavenmiete.
Mensch gegen Maschine? (I,223)
Marx hat sich im Kapital Bd. 1 (131. Kapitel 5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine MEW 23, 451 ff) sehr ausführlich mit der Industrialisierung der Weberei beschäftigt. (S. 454) „Die Weltgeschichte bietet kein entsetzlicheres Schauspiel als den allmählichen, über Dezennien verschleppten, endlich 1838 besiegelten Untergang der englischen Handbaumwollweber. Viele von ihnen starben am Hungertod, viele vegetierten lange mit ihren Familien auf 2½ d. täglich.“ Marx erklärte aber auch schon das Missverständnis, mit dem das produktivere Arbeitsmittel in den Augen der Arbeiter zum Schuldigen wurde. Ursache ihrer Misere war nicht die höhere Produktivität industrialisierter Arbeit sondern der Umstand, dass dies individuell nicht zu ihren Gunsten sondern sogar zu ihren Lasten eingeführt wurde (S. 454): „Die verselbständigte und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise überhaupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter gibt, entwickelt sich also mit der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz. Daher mit ihr zum erstenmal die brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel. Das Arbeitsmittel erschlägt den Arbeiter. Dieser direkte Gegensatz erscheint allerdings am handgreiflichsten, sooft neu eingeführte Maschinerie konkurriert mit überliefertem Handwerks- oder Manufakturbetrieb.“ Entsprechend ist auch das Geld nur eine „Maschine“ der Wirtschaft, mit der eine weltweite Kooperation vorangetrieben und organisiert wird. Die romantischen Versuche in der Alternativbewegung, zum geldlosen Tausch oder zu lokalen Geldnetzwerken zurückzufinden sind somit die Fortsetzung der Maschinenstürmerei des 19. Jahrhunderts, bei denen „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird“.
Ausbeutung? (II, 96)
Das Kapital von Marx konfrontiert die Kapitalisten mit ihren eigenen Werten von Gleichheit und Freiheit. Er nennt eine Wirtschaftsweise Ausbeutung, die gesellschaftliche Verhältnisse hervorgebracht hat, wonach die Bestimmung über das Mehrprodukt der Arbeitenden einer Gruppe von Eigentümern an Produktionsmitteln überlassen bleibt. Piketty kritisiert dagegen die Verteilungsergebnisse kapitalistischer Wirtschaft auf der Grundlage des Gleichheits- und nicht des Freiheitspostulates (Verteilungsgerechtigkeit). Er müsste daher den Titel „Das Vermögen im 21. Jahrhundert“ verwenden. Meine eigene Arbeit hier ist mit dem Titel „Das Geld“ überschrieben, weil es einen systemunspezifischen Begriff von Wirtschaft (Kooperation) zugrunde legt und damit die Möglichkeit einräumt, die Möglichkeiten des Geldes zur Verwirklichung sehr widersprüchlicher Ideale (Freiheit, Gleichheit, Empathie, Liebe, Solidarität, Gemeinschaft, Fürsorge, Familie etc.) zu erfassen. (Gestaltungsfreiheit) Was alle drei Ansätze letztlich verbindet ist allerdings, dass der Kapitalismus Armut produziert und sich damit in Gegensatz zu seinen politischen Idealen gleicher Freiheit stellt.
Produktive Arbeit (II, 452)
Marx „Theorien über produktive und unproduktive Arbeit“ Kapitel 4 der „Theorien über den Mehrwert“ (Marx/Engels 1969a) MEW 26,1 z.B. S. 129 will schon dann keine produktive Arbeit i.S. des Kapitalismus mehr annehmen, wenn sie nicht in die Mehrwertproduktion des Kapitalisten einbezogen ist. Er meint „die Köche und Kellner in einem öffentlichen Hotel sind produktive Arbeiter, sofern ihre Arbeit sich in Kapital für den Hotelbesitzer verwandelt. Dieselben Personen sind unproduktive Arbeiter als Dienstboten, insofern ich in ihrem Dienst nicht Kapital mache, sondern Revenue verausgabe.“ Zutreffend stellt er fest, „dass produktive Arbeit zu sein eine Bestimmung der Arbeit ist, die zunächst absolut nichts zu tun hat mit dem bestimmten Inhalt der Arbeit … Dieselbe Sorte Arbeit kann produktiv oder unproduktiv sein.“ (S. 376f) Doch Kapital wächst bei jeder Gewinnerzielung. Deshalb kann auch der Schneider, der direkt seine Dienste verkauft, produktiv sein, wenn er mehr einlöst als wie er für diese Arbeit und sich selber braucht. Die eigentliche Trennlinie ist daher nicht zwischen kapitalistischer und gesellschaftlicher Produktivität sondern zwischen dem geldwerten und dem nicht-finanziellen Gewinn. Die Hausfrau ist unproduktiv, weil sie für Kinder kocht, die dies nicht bezahlen können. Kocht sie im Restaurant oder gegen Geld für die Nachbarn, so ist sie produktiv. Da Akkumulation an das Geld gebunden ist, akkumuliert man üblicherweise nur bei geldwerten Überschüssen. Die gemeinnützige Arbeit nimmt daher nur in geringerem Maße am Fortschritt in der Kooperation teil.
Die Gewerkschaften und die ihr nahestehende Wissenschaft sprechen dieses Problem regelmäßig als Problem der Arbeitslosigkeit an. Ulrich Beck folgt dem im Spiegel Nr. 20/1996 unter der Überschrift „Kapitalismus ohne Arbeit“ und fordert eine „Umverteilung der Arbeitslosigkeit“. (Beck 1996) Doch an Arbeitsmöglichkeiten mangelt es den Menschen nicht. Es mangelt am zu erzielenden Einkommen, um damit die Lebenshaltungskosten bestreiten zu können. Die große Geisel des Kapitalismus ist die Einkommenslosigkeit. Auch die Umschichtung der Arbeitslosen von der Bundesagentur für Arbeit zu privaten Arbeitgebern in geringverdienende Arbeitsstellen verschärft die Einkommenslosigkeit auch wenn die sozialpsychologischen Wirkungen einer Arbeitsstelle hier besser sind. Die Beziehungen sind komplex: der Mensch braucht nicht Arbeit sondern Einkommen für den Konsum. Die Einkommenserzielung bedeutet aber zugleich, dass ein gesellschaftlicher Arbeitsplatz geschaffen sein muss. Ein solcher Arbeitsplatz wiederum schafft einen Handlungsrahmen, der positive psychosoziale Wirkungen hat. Letztlich bedeutet daher das Recht auf Arbeit ein Recht auf einkommenswirksame Arbeitsplätze.
Bedürfnis und Leistung (III,74)
„Es ist aber in Wirklichkeit das Bedürfnis, das alles zusammenhält.“ (Aristoteles 322 vor Chr. S. 215) Dazu (Marx 1969d) S. 31: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (Sen 1985) S. 21f: „The deprivations are suppressed and muffled in the scale of utilities (reflected by desire-fulfilment and happiness) by the necessity of endurance in uneventful survival.” Die Marx’sche Bedürfnisorientierung wurde von Lenin ins Gegenteil verkehrt. Hieß es bei Marx noch deutlich: „Jeder“ nach seiner Leistung, was auf das reziproke Denken des Aristoteles, das freiwillige Geben, hindeutete, das nicht unter Zwang zu erfolgen hat, so dass die Gerechtigkeit der Verteilung dann im zweiten Teil „jedem nach seinen Bedürfnissen“ bedeutete, so machte Lenin (im Anschluss an Engels 1969b Frage 18 Ziff. 5 „Gleicher Arbeitszwang für alle“) daraus den Satz „Somit wird in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft (die gewöhnlich Sozialismus genannt wird) das ‘bürgerliche Recht‘ nicht vollständig abgeschafft,… ‘Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen‘, dieses sozialistische Prinzip ist schon verwirklicht; ‚für das gleiche Quantum Arbeit das gleiche Quantum Produkte‘ – auch dieses sozialistische Prinzip ist schon verwirklicht. Das ist jedoch noch nicht Kommunismus, und das beseitigt noch nicht das ‚bürgerliche Recht#, das ungleichen Individuen für ungleiche (faktisch ungleiche) Arbeitsmengen die gleiche Menge Produkte zuweist.“ (Lenin 1963Kapitel V). Stalin übernahm dies fast wörtlich in Art. 12 der Verfassung der UdSSR und entwickelte daraus den Leistungsterror des Gulag: „Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und Ehrensache jedes arbeitsfähigen Staatsbürgers nach dem Grundsatz: ‘Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.‘ In der UdSSR wird der Grundsatz des Sozialismus verwirklicht: ´Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung´.“ Art. 2 Abs. 3 S.2 der DDR-Verfassung von 1968 stellt fest: „Das sozialistische Prinzip `Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung` wird verwirklicht.“ In der Hennecke/Stachanow-Bewegung wurden darauf aufbauend die Arbeitsnormen heraufgesetzt und eine Bevorzugung der „Helden der Arbeit“ eingeführt. Dies führte zu einer neuen Klassengesellschaft nach „Leistung“, wobei die Partei das exklusive Recht zur Leistungsbewertung erhielt. (Nomenklatura) Eine zutreffende Kritik dazu findet sich bei Leo Trotzki, für den sich hiermit in der Sowjetunion „offenbart(e) …, wie tief das theoretische Niveau der Gesetzgeber gesunken ist, sondern auch, wie stark Lüge die neue Verfassung, den Spiegel der herrschenden Schicht, durchdringt.“ (Trockij 1936 Kapitel 10: …Arbeit „nach den Fähigkeiten“ und Privateigentum)
Marx: zitierte Schriften
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– , Die deutsche Ideologie. Kritik d. neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer u. Stürner und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten, Berlin 31957.
– , Das Elend der Philosophie, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 175–187.
– , Das Kapital – Zur Kritik der politischen Ökonomie. Bd. 1, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969.
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– , Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 149–158.
– , Der Bürgerkrieg in Frankreich, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 313.
– , Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei,, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 15–32.
– , Über P. J. Proudhon, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 25–32.
– , Zur Judenfrage, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 347–377.
– , Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie – Einleitung, in: – /Friedrich Engels (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 378–391.
– , Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, 1983.
– , Theorien über den Mehrwert, Berlin 1983.
– /Friedrich Engels, Briefwechsel, Zürich 1936.
– /Friedrich Engels, Kommunistisches Manifest, in: dies. (Hrsg.), – , Friedrich Engels Werke (MEW), Berlin (ost) 1969, 472.
Glossar zu Das Geld (IV, 185)
Begriff |
Erläuterung |
Arbeit | Mühewaltung zur Erreichung des guten Lebens (Gegensatz Spiel) |
Bank, Kasse, Institut | Finanzdienstleister |
Bedürfnis | individuelle Bestimmung des guten Lebens |
Darlehen | Geldkredit |
faschistisch | Organisation kapitalistischer Wirtschaft nach feudalen Gemeinschaftsprinzipien |
Finanzdienst-leistungen | Transportleistungen, die das Geld zwischen unterschiedliche Menschen vermitteln und an einem anderen Ort (Zahlungsverkehr), in der Zukunft (Sparen, Anlage), vorzeitig (Kredit) oder für die Folgen von Risiken (Versicherung, Future) verfügbar machen. |
Finanzsystem | Summe der Nutzungsmöglichkeiten von Geld |
Forderung | staatlich eintreibbares Recht, von einem anderen ein in Geldeinheiten ausgedrückten Vermögenswert zu verlangen. |
Freiheit | individuelle Bestimmungsmöglichkeit über das gute Leben. |
Geld | zirkulationsfähige Forderung |
Gemeinschaft | Gruppe von Menschen, die durch physische Nähe (Familie, Nation), kulturelle Übereinstimmung (Volk, Ethnie, Religion), Zwang und gemeinsame Feindbilder (Abwehr, Raub) sich nach identischen Normen richtet. |
Gerechtigkeit | gleiche Freiheit |
Gesellschaft | Gruppe der Menschen, die miteinander kooperieren und hierfür entsprechend dem Ausmaß und der Art der Interessenübereinstimmungen gemeinschaftliche Institutionen schaffen. |
Gewinn | Kapitalwachstum durch Kooperation mit anderen oder auf Kosten anderer. |
Gleichheit | Chancengleichheit für ungleiche Menschen |
gutes Leben | Konsum zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse |
Herrschaft | systemische Macht |
Heuristik | eine Ideologie, die systemkonformes erfolgversprechendes Handeln ermöglicht. |
Ideologie | Vorstellung (Theorie) der Realität |
Kapital | Geld(werter) Reichtum, der Gewinne erzielt und aufgehäuft werden kann. |
Kapitalismus | Gesellschaftssystem, in dem Kooperation idealerweise als kapitalbildende Geldbeziehungen gedacht wird. |
kollektiv | Individuelles Handeln zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele. |
Konsum | unmittelbare mühsame oder spielerische Befriedigung der individuellen oder kollektiven Bedürfnisse |
Kooperation | das bewusste oder unbewusste, freiwillige oder erzwungene, egoistische oder fremdbestimmte Zusammenwirken der Menschen, um ihre individuelle Arbeit produktiver zu gestalten und an gemeinsamen Zielen auszurichten. |
Kredit | ungleichzeitige Kooperation |
Macht | Fähigkeit das Handeln anderer zu bestimmen durch Hierarchie (skalar) oder auf Grund der Erfordernisse von Kooperation (funktional) |
Marktwirtschaft | Kooperation, die auf dem Prinzip des gewinnorientierten synallagmatischen Tausch beruht. |
Person | Mensch (natürliche P.) oder ein im Interesse von Menschen verselbständigtes geldwertes Vermögen (juristische P.). |
Recht | politisch erstellte oder genutzte Heuristiken, die als Normen bekannt gemacht zu staatlich sanktionierten Handlungsanforderungen führen. |
reziprok | kollektiver ungleichzeitiger Tausch zwischen Individuen (Hilfe, Schenkung) und Gemeinschaften (Steuern, Spenden) |
Risiko | Heuristik zur Verteilung der Folgen unerwünschter Ereignisse |
Schulden | fremdgenutztes Kapital |
Synallagma | individueller gegenseitiger Tausch von Gütern und Dienstleistungen gegen Geld oder gegen in Geldeinheiten bewertete Gegenstände |
Tausch | Form der Kooperation, bei der Arbeit oder Arbeitsergebnissen über Geld verbunden werden |
Verbraucher | Mensch, der entsprechend seiner Bestimmung des guten Lebens Güter und Dienstleistungen erwirbt, nutzt und verbraucht. |
Verbriefung | Verselbständigung einer Kreditforderung gegenüber dem Ursprungsverhältnis, um sie zirkulationsfähig zu gestalten. Spezielle Form: Geld. |
Verkehrte Welt | Ideologiekritik, die Zweck und Mittel, Instrument und Ziel, Ursache und Wirkung, Theorie und Praxis umkehrt, vom Kopf auf die Füße stellt, indem der Beobachter das Terrain wechselt, in der Sprache Adjektiv mit Substantiv, Subjekt mit Objekt vertauscht und Verben subjektiviert. |
Vertrag | Rechtsverhältnis zwischen bestimmten Personen, dessen autonome Gestaltung durch die Vertragspartner innerhalb einer Rechtsordnung in wechselndem Umfang toleriert wird. |
Wertpapier | verbriefte Forderung. |
Wirtschaft | Kooperation (Zusammen-Arbeit) |
Zins | Beteiligung an garantiertem Gewinn |
Zirkulations-fähigkeit | Fähigkeit einer Forderung, von beliebig vielen Marktteilnehmern als Repräsentant aktuellen oder zukünftiger realer Werte akzeptiert zu werden. Verbriefung sowie staatliche Garantie und unzweifelhafte Solvenz des Schuldners erleichtern dies. |