Überschuldung 2018

Creditreform: Wolfsbericht zum Schafssterben

Pünktlich im Herbst erhalten wir von dem Inkassounternehmen Creditreform einen alarmierenden Bericht über die immer weiter ansteigende Überschuldung der deutschen Haushalte. Jetzt sind es schon 10% der Bevölkerung und damit fast 7 Mio. Bürger über 18 Jahre, die überschuldet sind.

Was treibt Creditreform zu einem Armutsbericht?

Alarmierend? Nein, die Inkassobranche kann sich freuen. Sie lebt von Zahlungsstörungen und verspricht den Gläubigern, etwas herauszuholen. Dramatische Zahlen sind daher Werbung. Gleichzeitig muss sie dafür sorgen, dass Staat und Politik die Überschuldeten darin unterstützen, Geld zu erwerben, das man bei ihnen pfänden kann. Armut ist kein Problem, sie darf nur nicht die Bilanzen trüben.

Es ist also so, als ob Wölfe jährlich einen Bericht über das alarmierende Anwachsen des Schafesterben verfassen. Bei den Ursachen nehmen sie sich allerdings aus. Dann lesen wir: die Schafe wohnen an gefährlichen Orten (z.B. Bremen), grasen unvorsichtig (zu viel Kredit aufnehmen), lassen sich ausbeuten (Wohnpreise), altern zu viel (Altersüberschuldung) und sind häufig mit Lämmern beschäftigt (weiblich). Es werden alle Vorurteile in der Armutsforschung bedient. Armut kommt von Überschuldung, die auf Kreditverschuldung beruht. Die Menschen könnten zahlen, wenn sie wollten. Man muss insbesondere die Frauen und die Alten (in früheren Reports waren es eher die Jugendlichen) besser bilden. Es gibt Gegenden, die Überschuldung fördern. Inkassounternehmen sind die Marktwächter.

Die Message kommt an und passt drohende Altersarmut, Wohnen ist zu teuer, die soziale Schere geht auf, einige Länder sind erfolgreicher als andere,  etc. Benedikt Müller hat in der SZ das wiedergegeben. Wir wollen die Thesen kritisch beleuchten.

Wer ist Creditreform?

„Creditreform: Inkasso, Bonitätsprüfung und Direktmarketing“ Kunden der Dienste sind die Gläubiger der Überschuldeten. Bezahlen tun dies die Schuldner. Ca. 15% durchschnittlicher Aufpreis kostet die Beitreibung den Schuldner. Die Überschuldung selber ist mit Verzug und Umschuldung bis zu 300% teurer.

Woher die Zahlen?

„Die vorliegende Analyse basiert auf den Daten und Karten der Creditreform Tochterfirmen Creditreform Boniversum GmbH und microm Micromarketing-Systeme und Consult GmbH (beide Neuss).“ Und woher die? Die Daten gibt es nicht. Das iff und das statistische Bundesamt sammeln ihre Zahlen von den Schuldnerberatungsstellen, die die Überschuldung in jedem Fall nachprüfen aber nicht alle umfassen. Die SCHUFA hat vor allem Kreditdaten. Sie schließt daraus auf Überschuldungen aber gibt die Daten nicht heraus. Eine Schnittstelle für Schuldnerberatungen, mit denen die SCHUFA-Daten (ebenso wie die von Creditreform) verifiziert werden könnten, wird seit Jahren verweigert. Einkommensdaten fehlen ohnehin beiden Akteuren.

Es gibt nur die jährlichen Stichproben einiger Tausend Haushalte der SOEP-Erhebung des DIW sowie die etwas umfangreichere selteneren Stichproben der Bundesregierung als EVS. Sie sind alle für die Überschuldungsforschung unergiebig, ungenau und aus Betroffenenbefragung ungeprüft erhoben. Creditreform kann daher nur aus Zahlungsproblemen hochgerechnet haben. Stockend auf angemahnte Forderungen zahlen, ist daher auch das Kriterium. Das ist aber eher peinlich, weil zu einer Zeit, als noch Überschuldungsforschung finanziert wurde, eine Studie 1986 herausbekam, dass ein Drittel der Bankkunden mindestens einmal im Kredit säumig wird.

Wer ist überschuldet?

Der Gesetzgeber kennt nur die Insolvenz bzw. Zahlungsunfähigkeit. Sie ist eine wackelige Prognose über zukünftiges Zahlungsverhalten, weil letztlich mit der staatlichen Daseinsvorsorge niemand ohne Mittel zum täglichen Bedarf bleiben kann. Es kommt also auf die Höhe derjenigen Forderungen an, die man sofort bezahlen muss. Viel Schulden sind kein Problem, wenn sie nicht fällig sind. Vergesst daher die Schuldenzahlen. Ein Hausbesitzer ist mit 300.000 € verschuldet. Verkauft er das Haus und bleibt als Mieter, so ist er plötzlich schuldenfrei. Stundet eine Bank den Kredit, so entfällt die Überschuldung, kündigt sie einen anderen, so dass statt zahlbaren Monatsraten die ganze Summe fällig ist, so ist der Kunde plötzlich überschuldet. Gläubigerverhalten ist damit der wichtigste Überschuldungsauslöser.

Die Alten?

Hat sich die Anzahl der Alten nicht erhöht? Dann muss auch die Anzahl ihrer Überschuldeten steigen. Dass Banken zudem bei Krediten alter Menschen eher kündigen, wenn sie von den Erben nichts erwarten, ist leider naheliegend. Sie könnten das Risiko streuen durch Risikolebensversicherungen. Leider verkaufen sie dieses Produkt nicht an die Alten und stattdessen zu Wucherpreisen an Jüngere.

Weiblich?

Zuerst müsste festgestellt werden, welche Forderungen gegen wen gemeint sind. Überschuldung kann ja nur proportional und nicht absolut festgestellt werden. Wozu also setzt man die Zahlen in Beziehung? Wenn mehr Frauen zudem noch länger arbeiten, dann gibt es auch mehr Kredite und damit auch mehr Zahlungsstörungen. Alleinerziehende Frauen nehmen zu, werden ärmer und fallen durch alle sozialen Raster. Ihre Liquidität ist zwischen 30 und 40 Jahren eine Achterbahn. Ohne Kredit können sie nicht Leben. Der Kredit aber ist für sie teuer, unangepasst und gerade durch die Inkassomethoden gefährlich. Man kann daher behaupten, die Gläubiger behandeln die Frauen immer schlechter.

Osten und Norden?

Seit Jahren diffamieren SCHUFA und Creditreform bestimmte Städte wie Wilhelmshaven oder Bremen als besonders Überschuldungsgeneigt. Wir haben die Daten der Schuldnerberatung Wilhelmshaven mit denen aus Hamburg verglichen dabei aber erst einmal vergleichbare Gruppen gebildet. Dazu gehörte eine ähnliche Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit, Krankheit, Ehescheidung und Existenzgründung. Das Ergebnis war: die Chance in Wilhelmshaven überschuldet zu sein ist geringer als in Hamburg. Gleichzeitig aber zeigte sich: in Wilhelmshaven gibt es mehr Arbeitslose als in Hamburg. Mehr bekommen auch SCHUFA und Creditreform nicht heraus.

Man könnte aber Kredite von Arbeitslosen besser vor allem gegen Ausbeutung durch die Inkassobranche und Wucherbanken schützen. Finnland und Frankreich machen das. Das verringert das Überschuldungsrisiko.

Wohnen?

Die Mieten steigen, noch stärker aber die Hauspreise. Dabei wächst der Wert des Hauses um keinen Cent. Dasselbe Haus kostet nach 30 Jahren in Hamburg Ottensen nur sechsmal mehr. Weil man das nicht bezahlen kann, nimmt man einen Kredit auf. Die Zinsen sind ja niedrig. 480.000 € heute kosten an Zinsen 500 € im Monat, vor 30 Jahren waren es auf 100.000 € noch 900 € im Monat. Doch was ist, wenn der Hauspreis fällt, die Zinssätze wieder steigen? Dann sind, wie die Subprime Krise in den USA gezeigt hat, fast alle Hausbesitzer überschuldet. Wir balancieren auf einem Vulkan.

Auch hier hilft nur Kündigungsschutz bei den Hypothekenkrediten und eine französisch/amerikanische Regel, wonach bei Zwangsversteigerung mit dem Erlös alle Hypothekenforderungen abgegolten sind.

mehr zum Thema Überschuldung in Reifner, Das Geld 2 Springer 2017 S. 75 ff.

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