Justizielle Gewalt gegen die Demokratie in Katalonien

Am 14. Oktober 2019 schickten die Richter in Kastilien neun frei gewählte Regierungsvertreter Kataloniens wegen „Aufruhrs“ für 9 bis 13 Jahre ins Gefängnis. Vorher hatte ein deutsches Gericht den Vorwurf für haltlos erklärt. Ihr „Aufruhr“ bestand, so die Richter in Madrid, in der Organisation einer durch die Form der Volksabstimmung qualifizierten Meinungsumfrage. Die Schotten oder die Saarländer hatten dies vorher unbeanstandet durchgeführt. Das katalanische Meinungsforschungsinstitut CEO macht dies ständig und straflos. Herrschaft des Volks erfordert, dass das Volk sich äußern kann. Über das wie und wer kann man sicher streiten. Nicht aber über die ausgeübte Gewalt.

Recht als Gewalt

Kastilien bleibt der Gewalt als Mittel der Politik verhaftet. 600 Jahre Krieg gegen die islamischen Mauren, gewaltsame Vertreibung der Muslime und Juden im Jahre 1492, Putsch des Generals Franco 1936, der wie Hitler und Mussolini die Dominanz der Herrschenden mit dem Schwert herstellte, zunächst ohne Recht, dann aber mit den Juristen.

Recht ist „domestizierte Herrengewalt“. Es bleibt Gewalt aber eben domestiziert. Einst gedacht als Landfrieden zur Ablösung der Kämpfe zwischen den verfeindeten lokalen Herrschern hielt das Recht als Selbsthilfeverbot seinen Einzug in die Moderne. Es sollte in der Demokratie die rohen Stierkämpfe der Gladiatoren auf ein Minimum reduzieren und die Konflikte durch Kommunikation und Politik einer friedlichen Lösung zuführen.

Franco-Spaniens Faschismus, der fast als einziger in Europa dem Bündnis seiner Geburtshelfern entsagte, rettete so seine Gewaltherrschaft über den Rest des Landes. Symbolisch hielt dies bis heute. Erst vor wenigen Tagen wurden die verwesten Knochen des Diktators von dem Ehrengrab, an dem sich die Gewaltbereiten jährlich versammelten, umgebettet.

Faschistische Justiz

Der demokratische Traum von der herrschaftsfreien Diskussion um das was allen nützt hatte aber schon immer einen gut versteckten Feind: das Recht als äußere Form von Gesetz und Urteil. Am Brutalsten im faschistischen Deutschland. Die Nazis hatten nicht das Recht aber die Juristen. Über 30.000 Todesurteile fällte und vollstreckte die Justiz gegen politische Gegner. Es signalisierte den marodierenden Räubern von SA und SS, dass Gewalt, Freiheitsberaubung und Mord erst durch die Justiz und dann durch alle Staatsorgane unpolitisch sei. Sie drehten das Rad der Geschichte zurück. Ihr Recht domestizierte nicht, sondern organisierte nur noch die Gewalt bei den Mächtigsten. Die Vollstrecker in Polizei und Militär waren von Rücksichtnahme befreit. Sie waren selber das Recht. Ihre Opfer waren Feinde und nicht mehr Bürger. Sie waren von den Errungenschaften des Rechtstaates suspendiert.

„Sie taten den Blumen Handschellen an“

Arabal hat dies Theaterstück zur faschistischen Gewalt in Spanien geschrieben. Frederico Garcia Lorca, die literarische Blume aus Andalusien wurde 1936 von zwei Falangisten zertreten. Mit deren Sieg war die Gewalt aber nicht beendet. Die spanische Justiz übernahm sie, so dass Jean Ferrat noch 1975 in seinem Anti-Kriegs-Chanson singen musste: „c’est partout la bruit des bottes …. en Espagne on vous garotte“. Die Domestizierung setzte erst später und lokal unterschiedlich ein. Im Stierkampf, den die Portugiesen längst domestizierten, hat die Gewalt ein symbolisches Bollwerk behauptet, das die Katalanen inzwischen geschleift haben.

Die Spanische Justiz ist nicht faschistisch. Einen Untersuchungsrichter wie Baltazar Garcon, der die Gewalt eines Pinochet angriff, suchte man in ganz Europa vergeblich. Doch das spanische Rechtsverständnis bedarf nach dem Faschismus genauso der Diskussion wie das deutsche und italienische Rechtsverständnis. Recht hat einen politischen Inhalt und eine technische Form. Mit der technischen Form kann man den Inhalt erschlagen.

Der politische Richter

Die Ideologie, dass der Richter nur dann unparteiisch ist, wenn er sich der Politik verweigert, führt zu einer Verschleierung illegitimer Machtausübung. Die Verfassungsgerichte machen deutlich, dass es im Recht eine demokratische Politik gibt, die ihm erst seine Legitimation verschafft. Deshalb werden Gesetze, die gegen dies Recht verstoßen, aufgehoben. Die Politik im Gesetz domestiziert die Politik mit dem Gesetz. Deshalb gibt es Menschenrechte, zu denen auch das Recht demokratischer Meinungsbildung gehört und zwar „in Wahlen und Abstimmungen“, wie es nicht nur das deutsche Grundgesetz festlegt.

Demokratie in der europäischen Union – auch gegen nationale Richter

Der wichtigste Grundsatz der Demokratie ist die freie Meinungsbildung. Ein Volk (demos), das sich nicht äußern darf, kann keine Demokratie leben. Dies Recht ist auch ein Menschenrecht jedes einzelnen. Es schließt Versammlungs- und Abstimmungsverbote nicht aus, wo darüber gerade diese Demokratie der anderen gefährdet wird. Die Einheit der Nation ist kein unabdingbarer Bestandteil der Demokratie, wie die Vielzahl föderaler Systeme sowie die Dominanz des EU-Rechts gegenüber dem nationalen Recht zeigt. Doch alles hat Grenzen. Wo das Recht im direkten Konflikt mit der demokratischen Meinungsbildung steht, dort gefährdet es seine eigene Grundlage. Dies ist nach den faschistischen und stalinistischen Regimen mit den Erklärungen der Menschenrechte und ihrer Durchsetzung allgemein anerkannt. Bei vielen Richtern ist dies noch nicht angekommen. Sie verkörpern eher Staatsmacht als Demokratie.

Spanien verletzt den EU-Vertrag über eine unabhängige Justiz

Das liegt nicht an den Juristen selber. Dass die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen angestrengt hat zum Schutz der Richter vor der Beeinflussung durch die konkrete Politik ist plausibel, weil man vermutet, dass wes Brot ich ess‘ des Lied ich sing.

Die weit größere Gefahr aber, und dies haben der deutsche und spanische Faschismus gezeigt, sind Juristen, die das Recht ohne Rücksicht auf seine demokratischen Fundamente so anwenden, dass es eine Politik gegen die Fundamente der Demokratie sanktioniert. Das gilt auch heute und gerade auch in Deutschland, wo Bewegungen erstarken, die Politik für unrechtmäßig erklären und im Namen ihrer nationalen Rechte die Demokratie der anderen einschränken wollen. Sie treffen im Staatsapparat teilweise wieder auf offene Ohren.

Die EU-Kommission sollte daher nicht nur gegen Polen, sondern auch gegen Spanien ein Vertragsverletzungsverfahren anstrengen. Strafurteile, die die Demokratie infrage stellen, müssen wir gemeinsam angehen. Das Europa der Werte verkommt sonst weiter zu einem Europa der Mächtigen.

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