Corona-Tagebuch 23. März

Keine Enkelversorgung, kein Beruf, keine Gemeinsamkeiten, kein Zeitvertreib im Schwimmbad oder in ehrenamtlichen Treffen. Dafür aber 100de Informationen von CNN, BBC, ARD, ZDF, NTV, Corriere della Sera, Le Monde, Al Jazeera, John Hopkins, RKI u.s.w., die in meinem Kopf zwanghaft sortiert werden. Sie müssen in mein Denkschema von der verkehrten Welt eingepasst werden, bei der der Kapitalismus und auch Wirtschaft insgesamt nur ein Mittel unter anderen sind, um unsere menschliche Gesellschaft lebenswert zu machen. Bisher habe ich daraus die aktuellen Stichworte in meinem Blog gemacht. Da bleibt viel übrig. Ich möchte mit dem Corona Tagebuch die Lücke füllen. Es wird nicht täglich sein.

Die neue Welt

Einst kam Hilfe aus der neuen Welt gegen Krieg, Hungersnot und Krankheiten. Gemeint war die USA. Heute so schreibt man in der italienischen Presse begrüßen wir am Flughafen in Mailand Hilfslieferungen, Ärzte und Pflegepersonal aus Russland, China und Kuba. In Riad treffen die US-Waffen für den Jemenkrieg ein. Deren tägliche Sterbeziffer kommt nicht auf unsere Website. Die Welt habe sich verändert, schreibt die itali4enishce Presse. Selbst, so sagen die Italiener, aus Brüssel kommen keine Schutzmasken und Beatmungsgeräte. Hatte nicht neulich erst die deutsche Presse berichtet, Kuba werde in eine Wirtschaftskrise kommen, weil die neuen US-gestützten südamerikanischen Regime in z.B. Bolivien deren Ärzte hinausgeworfen hätten.

Die Corona-Krise macht deutlich, wen wir immer und überall brauchen – vom Müllarbeiter über den Einzelhandel, die Lehrer und Kindergärtner bis hin zu Pflegern, Ärzten, Feuerwehr und Polizei. Auf die anderen können wir ein paar Monate verzichten. Zeigt sich das in unserer Wertschätzung und Bezahlung?

Sieben Großraummaschinen landen jetzt aus Shanghai auf Malpensa. Unsere Presse wirft Putin KGB-Methoden vor, prangert das „Versagen“ der Chinesen bei der Entstehung der Krise an und hält die Statistiken beider für gefälscht.

EU

Brauchen wir diese EU wirklich? Gestern um 18.00 sollten wir europaweit als Mutmacher „Freude schöner Götterfunke“ von den Balkonen singen und musizieren. Wir haben es auch bei mir zu Hause gemacht für das Kinderfernsehen am Mittwoch. Bin gespannt. Doch Bauchschmerzen hatte ich bei Beethoven und Schiller. 1972 wurde das Lied von der einzig legitimen Vertretung Europas, dem Europarat, zur „europäischen Hymne“ erklärt. Dem Europarat gehören 47 Staaten mit 820 Millionen Bürgern an, der EU nur di eHälfte. Doch 1985 reklamierte die EU mit der Melodie der Hymne auch Europa für sich. Beethoven konnte sich nicht mehr wehren. Sein Urheberrecht ist erloschen. Die EU repräsentiert nur die Hälfte Europas und erhebt doch, so wie es die US-Amerikaner für den ganzen Kontinent tun, den Anspruch, ganz Europa zu sein. Dazu demnächst einen eigenen Block von mir zum Thema Eurexit. Corona braucht keine Spalter.

Trump

Jeden Abend auf CNN jetzt Donald Trump, umringt von Mike Pence, dazu immer eine einzige Frau und ein paar Leiter von Diensten, von denen man bisher nichts wusste und die unaufhörlich jeden Satz beginnen, mit „wie der Präsident gesagt“ oder „wie die großartige Führerschaft des Präsidenten eingegeben hat“ Trump wirkt körperlich fertig. Sie stehen dort dichtgedrängt vor der Kamera. Er liest apathisch jede Zeile ab und schiebt stereotyp aufblickend ein, dass Amerika Great ist und dass man diesen Krieg gewinnen will.

Macron hat das mit dem Krieg angefangen, Xi Jinping und Merkel waren vorsichtiger. Bomben werden nicht helfen. Trump findet dann auch gleich Feinde, für die seine Waffen taugen, wenn er vom China- oder Wuhan-Virus spricht. Er preist dann als Wunderwaffe ein Mittel der Maleria Bekämpfung an. Sein Pharmachef muss ihn drei Mal korrgieren. Für Corona sei es noch nicht zugelassen. Trump lächelt verlegen. Sein Experte müsse es wissen. Eine italienische Virologin schreibt, dass man über dieses Mittel praktisch nichts wisse und es schon bei HIV und Ebola deshalb wohl zur Wunderwaffe erklärt wurde. Dann liest Trump 100te von Maßnahmen vor, die jeder Kleinstadtbürgermeister für sein Gebiet auch vorlesen könnte. Ein „Präsidenten-Forscher“ auf CNN meint, Roosevelt wäre im 2. Weltkrieg auch nur aufgetreten, wenn er was zu sagen hatte. Das könne Trump sich auch mal überlegen.

Trump wird nach unglaublichen Wucherangeboten in den USA (Masken, Desinfektion, Beatmungsgeräte zu extremen Preisen, bisher noch keine Ärzte) gefragt. Der Markt werde das regeln. Dafür erzählt er von wundervollen Hilfsangeboten einzelner Großkonzerne, die in einem Monat Masken liefern wollen. In China werden in einem Werk in Hubei pro Tag 2 Mio gefertigt. Ein Wissenschaftler empfiehlt Trump, sich einfach ans Telefon zu hängen, Xi Jinping um Entschuldigung zu bitten, die lächerlichen Zölle und Importverbote abzuschaffen und die beiden größten Wirtschaftsmächte der Welt zum Segen aller kooperieren zu lassen.

Italien

War es das Fußballspiel der UEFA mit Atalanta Bergamo, für das mein Schwiegervater aus Nembro eine Jahresdauerkarte besaß, als dieser Verein noch in der zweiten Liga spielte? Mein liebgewordenes kleines Städtchen am Alpenrand, in dem ich meine Sommerzeit verbrachte, die ich 2006 in diesem Blog beschrieb,  ist in der Presse zum schlimmsten Corona-Ort der Welt erklärt worden. 5 km von Bergamo entfernt ist es das Tor zum Serio-Tal und ein Wohlstandsbeispiel für die Idee eines vom Süden Italien abgetrennten Padaniens der rechtsradikalen Lega. Jetzt waren fast alle Ärzte und Priester infiziert, 90 Menschen starben bei kaum 13.000 Einwohnern elendig und allein. Beerdigungen waren verboten.

Vielleicht hat der Autor aus Nembro, ehemaliger Chefredakteur der beiden größten Tageszeitungen, dabei auch das Geheimnis des italienischen Desasters, das sich aktuell in den USA wiederholen könnte, gelüftet. Sie waren alle schon krank. Doch in Italien kommt die Lebensfreude vor der Krankheit und so breitete sie sich als Grippewelle mit tödlicher Lungenentzündung aus und machte damit zugleich deutlich, wie absurd die Theorie ist, die Epidemie hätte sich von selbst reguliert, wenn keiner von ihr gewusst hätte.

Der Pfarrer schickt 15-17jährige Jungen von Haus zu Haus. Sie mögen gefeit sein. Ansteckend sind sie trotzdem.

Zahlen

Bitte verschont uns von den Infizierten-Zahlen. Ein bisschen Nachdenken reicht. Wer die Krankheit überwunden hat, ist nicht mehr infiziert. Also sprecht von Infektionen oder lasst es ganz sein. Wir brauchen die Anzahl der Kranken und ihre Entwicklung in einer Kurve jeden Tag neu. Nur das deutet auf Erfolg oder Misserfolg hin. Dann werden Euch schon die Zuhörer zwingen, Vorbilder für unsere Methoden der Überwindung der Krisen zu finden.

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