Der andere Vertrag – Soziale Dauerschuldverhältnisse über Arbeit, Wohnen und Kredit

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Vorwort

Der erste Entwurf lag im Januar 2011 vor. In den darauffolgenden Überarbeitungen wechselten die Arbeitstitel. „Mietvertrag“ oder „locatio conductio“ wurden durch „Nutzungsvertrag“, „Soziale Dauerschuldverhältnisse“, „Dauervertrag“ „Life Time Contract“ oder „Vom Kauf zur Miete“ ersetzt.

Alle hätten ihre Berechtigung. Auf den historischen Fundamenten des römischen „Mietvertragsverhältnisses“, der locatio conductio, soll durch Auswertung der Gemeinsamkeiten von „Arbeits-, Wohnraummiet- und Verbraucherdarlehensvertrag“ die Kritik am rechtsgeschäftlichen Schuldvertragsmodell ernst genommen und konstruktiv gewendet werden. Um aus Symptomen und Geschichte der sozialen Dauerschuldverhältnisse die Grundstrukturen der Rechtsnatur des Vertrages heute zu entwickeln, muss die Revolution im Vertragsdenken von 1789 vollendet werden. Die Sklavenhaltergesellschaft im Denken ist erst überwunden, wenn Abhängigkeit und Unterwerfung im Dauervertrag mit den Prinzipien der Vertragsfreiheit begriffen werden.

Paolo Grossi hat in seiner Arbeit zur Überwindung der Sklavenarbeit durch langfristige Mietverträge im römischen Recht des Mittelalters den Weg gewiesen. Mit Luca Nogler konnte ich die Herausforderungen im wichtigsten Bereich, dem Arbeitsvertrag, diskutieren und begreifen. Gianni Santucci und Roberto Fiori haben mir als Experten für römisches Recht Mut gemacht, Thesen vorzustellen, die diesem Recht unerwartete Aktualität zur Bewältigung der Probleme des Übergangs vom Handels- und Industriekapitalismus zur Dienstleistungs- und Kreditgesellschaft verleihen.

Meine Arbeiten zum Geld halfen, auch juristische Heuristiken vom Kopf auf die Füße zu stellen. Hatte die Marktwirtschaft nicht das Geld, sondern das Geld die Marktwirtschaft ermöglicht, so kehrt sich auch das Verhältnis von Vertrag und Privateigentum um. Die Kritik an dem idealistischen Modell ist bekannt. Es fehlt die Alternative. In den Studien zu den Life Time Contracts haben wir die mangelnde Kompetenz des aus dem Kaufvertrag entwickelten schuldrechtlichen Vertragskonzepts für die Lösung der Probleme der sozialen Dauerverträge analysiert und kritisiert. Das vorliegende Buch baut darauf auf weicht aber in einigen grundlegenden Fragen wie derjenigen zur Rechtsnatur des Arbeitsvertrages von der Meinung in der Gruppe ab, die sich über den Forschungsgegenstand einig weiß, die Ergebnisse aber offen lässt. Mit der vorliegenden Studie wird der in der Geschichte der Kritik meist vernachlässigten umgekehrten Frage nachgegangen: Was wäre die Alternative gewesen, d.h. wie sähe der andere Vertrag aus? Um das zu erfahren haben wir uns auf die Reise zu den Ursprüngen der Verengung des Vertragsgedankens auf das synallagmatische Kaufvertragsmodell begeben und zugleich die Elemente in den sozialen Dauerschuldverhältnissen heute herausgelöst, die sich am Typus des feudalen Feld-, Schuld- und Haussklaven orientieren. Arbeitnehmer, Mieter und Kreditnehmer haben dann ihre gemeinsame Wurzel in der Kapitalnutzung.

Die Ziele sind ambitioniert. Der andere Vertrag soll nicht nur technisch organisieren. Er soll den Vertrag für mehr soziale Gerechtigkeit öffnen und den Menschen helfen, sich besser zu vertragen. Als Pakt (pax) soll er dauerhaft Frieden stiften, als Bund verbinden. Als Konvention soll der Vertrag Menschen zusammenbringen, als Kontrakt divergierende individuelle wie kollektive Interessen zusammenziehen und im Konsens Übereinstimmung der Interessen erreichen kurz er soll seinen eignen Idealen näher gebracht werden. Die Suche nach den gemeinsamen Grundstrukturen sozialer Dauerschuldverhältnisse soll den (schuldrechtlichen) Vertrag einem sozialen wie kollektiven Inhalt öffnen, damit er im doppelten Sinn seiner Aufgabe gerecht wird.

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